Hoffung für den RAW-Tempel: Die RAW-Ausbesserung
Die Projekte auf dem einstigen Reichsbahnausbesserungswerk in Friedrichshain schöpfen neue Hoffnung. Der Eigentümer hat dem Verein RAW-Tempel einen Nutzungsvertrag angeboten. Grüne hoffen auf Kompromiss, auch um glaubwürdig zu bleiben.
Wird jetzt alles gut? In die Auseinandersetzungen um die Zukunft des Friedrichshainer RAW-Geländes zwischen dessen Eigentümer und gegenwärtigen Nutzern kommt zumindest Bewegung. "Uns liegt ein erstes Vertragsangebot vor, das wir gerade prüfen", sagt Kristine Schütt aus dem Vorstand des gegenwärtig Mietvertrags-losen Vereins RAW-Tempel. "Wir sind zuversichtlich, bis Ende April zu einem unterzeichenbaren Entwurf zu gelangen", so Schütt. Unabdingbar sei eine mindestens zehnjährige Laufzeit des Kontrakts. Gelänge der Abschluss, wäre das ein Meilenstein auf dem Weg hin zu einem alle Beteiligten befriedigenden Zukunftskonzept für das sieben Hektar große Areal.
Bis Anfang der 90er-Jahre wurden in dem damaligen Reichsbahnausbesserungswerk (RAW) noch Züge gewartet. Heute unterhalten soziokulturelle Träger wie der RAW-Tempel Kunstprojekte. Auch kommerzielle Nutzer wie die Skatehalle, der Kletterkegel und diverse Clubs haben zwischen Modersohn-, Revaler und Warschauer Straße ihr Zuhause gefunden.
Die bunt besprühten Fabrikhallen entsprechen dem in vielen Reiseführern bemühten Image Friedrichshain-Kreuzbergs. Zehntausende kommen jährlich zu Konzerten, Theateraufführungen oder um sich etwa im Verein zur Überwindung der Schwerkraft selbst in Akrobatik und Clownerie zu üben.
Doch die R.E.D. Berlin Development GmbH, die Mitte 2007 das Gelände kaufte, hat anderes vor: "Generationsübergreifendes Wohnen, Gewerbeflächen und Einzelhandelskonzepte mit den Schwerpunkten Bio, Organic und Fair Trade, Existenzgründer aus der Kreativwirtschaft" sollten auf dem Areal angesiedelt werden. Für den östlichen Bereich sind Lofts zu Wohn- und Arbeitszwecken angedacht.
"Wir haben hier nicht unser ganzes Herzblut reingesteckt, nur um mit anzusehen, wie irgendwelche Halunken den Kiez ruinieren", steht auf der Internetseite des RAW-Tempel. R.E.D. lasse Grünanlagen der Nutzer zerstören und Bäume fällen.
"Aufräumarbeiten in Vorbereitung der ordentlichen Begrünung und Nutzung im Frühling" nennt das der Grundstückseigentümer. Doch seinen Versicherungen, mit allen Zwischennutzern das Gelände entwickeln zu wollen, schenkt kaum einer viel Vertrauen. "Wir arbeiten weiter daran", mehr mag Tobias Freitag von der Skatehalle derzeit nicht sagen über die zusammen mit dem Club Cassiopeia sowie dem Kletterkegel geführten Mietvertrags-Gespräche.
Für den Grundstücksbesitzer sitzt dabei Moritz Müller mit am Verhandlungstisch. Als Geschäftsbesorger agiert er für R.E.D. und die dahinter stehenden Gesellschaften wie die isländische Kapital North EHF. Die wiederum handelt im Interesse skandinavischer Banken und Investoren. Als Ende 2008 die Finanzkrise Islands Staatshaushalt wie Banken zu Fall brachte, weckte das Hoffnungen: Dem RAW-Investor würde womöglich auch das Kapital ausgehen, munkelten auf dem Gelände Aktive. "Das Projekt ist von der Finanzmarktkrise nicht betroffen", entgegnet Müller. Zwar hat R.E.D. ausgerechnet gegenüber der mittlerweile verstaatlichten Glitnir-Bank, Islands drittgrößtem Kreditinstitut, laut Grundbuch eine mit satten 20 Prozent verzinste Grundschuld von 5 Millionen Euro auf das Grundstück im Friedrichshainer Süden eintragen lassen. Doch als Kreditnehmer dürfte die Finanzkrise R.E.D. kaum berühren. "Das Geld steckt im Grundstück, und unsere isländischen Partner sind froh, es hier bei uns zu haben", so Müller.
Froh sind jene Investoren wohl auch darüber, dass sie ein echtes Schnäppchen gemacht haben dürften. 4 Millionen Euro zahlte R.E.D. laut Grundbuch an die Vivico Real Estate GmbH. Auf einen Quadratmeterpreis von 90 Euro und damit insgesamt 6,3 Millionen schätzt hingegen der Berliner Gutachterausschuss den Wert der Fläche.
Bis zum Verkauf war das Gelände quasi öffentliches Eigentum. Über die in Besitz des staatlichen Bundeseisenbahnvermögens befindliche Vivico sollten alte Eisenbahn-Liegenschaften so veräußert werden, dass sie der öffentlichen Hand möglichst hohe Erträge bringen. Ende 2007 wurde das Unternehmen an die österreichische CA Immo verkauft. Zum RAW-Verkauf will man sich in der Vivico-Zentrale in Frankfurt am Main nicht mehr äußern.
Mit der Vergangenheit will sich Antje Kapek, Fraktionsvorsitzende der Grünen in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Friedrichshain-Kreuzberg, nicht lange aufhalten. "Wir müssen gemeinsam an der Zukunft arbeiten", beschwört sie das Zusammenwirken von Eigentümer, Nutzern und Bezirk. "Stadtentwicklung von unten" haben sich die Grünen auf die Fahnen geschrieben, "Bezirksinteressen vor Investoreninteressen" und "Brachen mit Kultur erfüllen", lauten Schlagworte aus dem letzten Bezirkswahlprogramm.
"Für den Einbezug der Öffentlichkeit gibt es kein besseres Gelände", sagt Kapek. Die Grünen wollen einen städtebaulichen Vertrag, der die Integration aller Zwischennutzer sichert und die künftige Gestalt der Gegend festschreibt. Auch angesichts der Drohung von Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD), dem Bezirk das Mediaspree-Verfahren zu entreißen, stehen die Grünen unter Druck. Zwar sind die Handlungsspielräume der Bezirkspolitik bei beiden Themen begrenzt. Doch es geht um die Glaubwürdigkeit grüner Stadtpolitik.
Die Grünen sind zum Kompromiss verdammt. Sie wollen vermeiden, dass der Grundstückseigentümer seine Pläne auf dem Rechtsweg durchsetzt. So müssen Kapek und die ihren auch stillhalten, wenn R.E.D.-Mann Müller in einem TV-Interview Volksbefragungen - etwa zum Projekt Mediaspree - als "gefährliches Instrument" bezeichnet und giftet, alle Veränderungen auf dem RAW-Areal müssten gegen den Widerstand des Bezirks durchgesetzt werden: "Am liebsten würde man das Gelände als Naherholungsgebiet umfunktionieren."
Tatsächlich sieht der Entwurf, den Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) in der BVV vorgelegt hat, öffentliche Grünflächen vor. Die vorgesehene Klassifizierung der Fläche als Mischgebiet würde dem Investor aber auch ermöglichen, wie beabsichtigt Wohnraum zu errichten.
Einen ersten Änderungsantrag zur Bauleitplanung hat bereits die Linksfraktion eingebracht: Damit die Wagenburg Laster und Hänger (siehe Spalte) an der Modersohnstraße bleiben kann, soll ein dort geplanter Sportplatz nun auf dem RAW-Grundstück entstehen. Es ist nahe liegend, dass ein Konflikt mit R.E.D. im Bauausschuss Ende Januar das Votum der Linken zu Gunsten von Laster und Hänger befördert hat. In einem "Offenen Brief" beschwerte sich Moritz Müller über den Linkspartei-Abgeordneten Mirko Assatzk. Der stehe als früherer Vereinsvorsitzender dem RAW-Tempel zu nahe, so Müller. Darüber hinaus stellte Müller in den Raum, Assatzk habe die Zweckentfremdung öffentlicher Fördermittel durch den Verein zu verantworten. In seiner Antwort warf der Ausschussvorsitzende Joachim Pempel (Linke) Müller Vertrauensbruch vor und warnte ihn vor "nicht bewiesenen Anschuldigungen". Was R.E.D. von der Verlegung der Sportfläche auf sein Grundstück hält, ist nicht in Erfahrung zu bringen: Müller und Kollegen befänden sich auf Geschäftsreise, heißt es von deren Kommunikationsagentur.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Umgang mit nervigen Bannern
Bundesrat billigt neue Regeln für Cookies