Hoffnungsträgerin der bayerischen SPD: Mutige Münchnerin
In Berlin soll sie eine Regierung auf die Beine stellen, in München die Alleinherrschaft der CSU brechen. Ein Treffen mit Natascha Kohnen.
Kohnen, ihres Zeichens bayerische SPD-Chefin, Spitzenkandidatin für die Landtagswahl im Oktober und seit Kurzem stellvertretende Vorsitzende der Bundespartei, hat es sich in einem der Sessel im Akademiesaal des Bayerischen Landtags bequem gemacht. Es ist der Dienstag der vergangenen Woche, die SPD-Politikerin ist für wenige Tage in der Heimat, Sondierungsgespräche und Parteitag hat sie gerade hinter sich, die Koalitionsverhandlungen noch vor sich.
Die 50-Jährige muss sich erst in ihre neue Rolle finden. Vor gut einem Jahr, als sie noch Generalsekretärin der Bayern-SPD war, da kannte sie selbst im Freistaat nicht jeder. Inzwischen spricht man auch außerhalb Bayerns voller Respekt von der blonden Genossin aus dem Süden. Die „Tagesthemen“ kommentierten am Abend des Sonderparteitags das Hauptereignis des Tages: Nicht Parteichef Schulz sei das Ja des Parteitags zu Koalitionsverhandlungen zu verdanken, sondern drei Frauen – Andrea Nahles, Katarina Barley und, richtig, Natascha Kohnen. „Hey, ist ja ein Ding“, denke sie sich dann.
Opposition ist Mist, das wissen sie in Bayern
Gerade mal drei Minuten und 25 Sekunden hat ihre Rede auf dem Parteitag in Bonn gedauert in einer fast fünf Stunden währenden Debatte. Denen, die forderten, die SPD solle stolz in die Opposition ziehen, rief Kohnen zu: „Ich sage euch als bayerische Sozialdemokratin, und das meine ich todernst: Geht mit so einem Satz differenziert um!“ Wer in Bayern zur SPD geht, weiß schließlich, was Opposition wirklich ist: Mist. Kohnens Rede war engagiert, ihr ausgestreckter Zeigefinger diente ihr als Degen im Kampf um die Argumente. Aber sie sagte auch: „Nein, wir sind nicht gespalten, sondern wir debattieren.“
Tatsächlich gibt sich die SPD derzeit wieder diskussionsfreudig. Von einem „echten Ringen“ spricht Kohnen. Und dass sei gut so. Überall sei die Debatte um die Große Koalition doch gerade Gesprächsthema. „In der U-Bahn höre ich die wildesten Debatten. Wann war das denn zuletzt?“ Es sei doch super, wenn die politische Debatte wieder in der Gesellschaft ankomme.
Kohnen zur Groko-Diskussion
Aber schlagen da nicht zwei Herzen in der Brust der Partei? Unsinn. „Es gibt nur ein Herz, und das schlägt sozialdemokratisch.“ Auch die Delegierten ihres eigenen Landesverbands stimmten mehrheitlich gegen Verhandlungen mit der Union. Und Kohnen rang – zunächst mit sich selbst. Dass sie zu Beginn der Groko äußerst skeptisch gegenübergestanden sei, ist bekannt. Aber dann hat sie das Ergebnis der Sondierungsgespräche selbst überrascht. Nach der letzten Verhandlungsrunde las sie im Hotelzimmer die 28 Seiten noch einmal in aller Ruhe durch – und befand: „Ja, das kann funktionieren.“
Gorleben, Wackersdorf, Volkszählung
Geboren wurde Natascha Kohnen 1967 in München, aufgewachsen ist sie mitten in der Stadt, nur einen Steinwurf vom Englischen Garten entfernt. „Mehr Fingerfarben, als ich gesehen habe, gibt’s nicht“, erzählt Kohnen. „Bei uns war 68 durch und durch.“ Ihre Mutter, eine Irin, war Goldschmiedin, der Vater verdiente sein Geld als Anwalt, engagierte sich aber auch in der Kleinkunstszene. Nachdem sich die Eltern getrennt hatten, wuchsen Natascha und ihr Bruder überwiegend beim Vater auf.
Dann Schulzeit am Luisengymnasium, für Münchner Verhältnisse eine eher linke Schule. Es waren die Achtziger: Wackersdorf, Tschernobyl, Falklandkrieg, Pershing-Raketen. Und natürlich jede Menge Protest, Ostermärsche. Kohnen immer mittendrin. Der Ministerpräsident in Bayern hieß zu dieser Zeit Franz Josef Strauß. Damals war es noch leicht, für oder gegen etwas zu sein. Schon in der sechsten Klasse eckte die Schülerin mit einem Button an, den sie im Unterricht trug: „Gorleben soll leben!“ In der zwölften dann das Flugblatt gegen die Volkszählung, das sie und drei Mitschüler verteilten: „Nur Schafe lassen sich zählen.“ Und Geldscheine. Fast 3.000 Mark mussten die Schüler wegen dieses Aufrufs zu einer Straftat zahlen.
Ihre politische Heimat sah Kohnen von Beginn an in der Sozialdemokratie. Parteimitglied wurde sie aber erst mit 33 Jahren. Davor noch ein Biologie-Studium in Regensburg, ein Job als Lektorin bei einem Schulbuchverlag und zwei Jahre in Paris.
Auslöser für den Parteieintritt war ein ganz persönliches Erlebnis: Eben aus Frankreich zurückgekehrt, landete sie mit ihren zwei Kindern im Münchner Speckgürtel, in Neubiberg, und war auf der Suche nach einer Kinderkrippe. Auf die entsprechende Nachfrage im Rathaus ließ sie ein älterer Herr wissen: „So was brauchen wir hier nicht, Frauen gehen eh nur shoppen, wenn sie freihaben.“ Dann noch ein zufälliges Treffen mit der damaligen SPD-Bürgermeisterkandidatin, und schon wenig später saß Kohnen im Gemeinderat. 2008 Einzug in den Landtag, 2009 Generalsekretärin, Anfang 2017 setzte sie sich in einer Urwahl gegen fünf männliche Mitbewerber durch und wurde Landesvorsitzende, im Dezember schließlich auch noch stellvertretende Bundesvorsitzende. Und dazwischen nominierte sie der Parteivorstand noch en passant als Spitzenkandidatin für die Landtagswahl.
Söder gegen Kohnen: das ungleiche Duell
In diesem Jahr nun kommt es zum Duell: Kohnen gegen Markus Söder. Wobei es natürlich kein echtes Duell ist, da Kohnen selbst bei starken Verlusten der CSU keine realistische Option auf den Regierungschef hat. Auch bei einer Direktwahl würden sich laut „BayernTrend“ des Bayerischen Rundfunks 55 Prozent der Bayern für den designierten Ministerpräsidenten entscheiden, nur 25 für Kohnen. Noch düsterer sind die Werte für ihre Partei: Bei 16 Prozent sieht die Umfrage die SPD derzeit. Von den ohnehin mickrigen 20,6 Prozent der letzten Landtagswahl ist das noch weit entfernt.
Womit also jetzt noch punkten? Wohnen, das wäre eigentlich genau Kohnens Thema. „Ich hab schon vor dem Parteitag gesagt: Leute, das muss ein ganz anderes Gewicht kriegen. Das ist bei uns in Bayern das Thema Nummer eins.“ Aber inzwischen ist es nicht mehr nur ihr Thema. Auch Söder hat es jetzt zu einem der großen Wahlkampfthemen erhoben. Eine staatliche Wohnungsbaugesellschaft kündigte er vor zwei Wochen an, die 4.000 Wohnungen in Bayern bauen solle. „Grotesk“, findet Kohnen. „Schließlich war es Söder, der vor Jahren 33.000 staatseigene Wohnungen verkauft hat. Und jetzt kommt er mit seiner Wohnungsbaugesellschaft. Das macht den alten Fehler nicht wett. Damit wird er nicht durchkommen.“ Glaubt sie. Außerdem brauche man jährlich mindestens 20.000 neue Wohnungen.
Wenn man sie nach Wahlzielen fragt, vermeidet es Kohnen von Prozentzahlen und Regierungsoptionen zu sprechen, lieber propagiert sie den neuen politischen Stil, den sie in die Debatte bringen will: „ernsthaft, sachlich geprägt und ruhig“. Wie nötig ein solcher Umgang sei, habe sie gerade bei den Sondierungsgesprächen gesehen. Vor allem die beiden CSU-Politiker Alexander Dobrindt und Andreas Scheuer hätten sich da wie Rüpel benommen.
Bloß keine Spekulationen über die Zukunft der Bayern-SPD
Dabei ist es durchaus interessant, sich über mögliche Konstellationen nach der Wahl Gedanken zu machen. Grüne, Freie Wähler und FDP tun das: Sie haben bereits ihre Bereitschaft signalisiert, mit der CSU in eine Koalition zu gehen. Söder tut das: Er kann sich, sagt er, ein Bündnis mit der FDP oder den Grünen nicht vorstellen. Und auch die Wähler tun das: Am besten schnitt bei ihnen im „BayernTrend“ mit 46 Prozent die Option Schwarz-Grün ab.
Kohnen dagegen sagt nur: „Ich werde möglichst viel dafür tun, dass die SPD einen guten Sprung nach vorne macht. Und dann entscheiden die Wählerinnen und Wähler.“ Was Politiker halt so sagen, wenn sie nichts sagen wollen. Immerhin noch das: „Natürlich will ich regieren in Bayern.“ Dass es realistischerweise nur einen gibt, mit dem das möglich ist – geschenkt.
Aber jetzt gilt es ja erst einmal, in Berlin eine Regierung auf die Beine zu stellen. Vielleicht eine gute Übung für Oktober. Denn in Bayern kann man sich nicht so viel Zeit lassen. Hier sieht die Verfassung eine Regierungsbildung innerhalb weniger Wochen vor.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“