: „Hoffe, daß er sich davon abbringen läßt“
■ Streit ums Existenzminimum: Bremer Sozialressort und CDU-Sozialpolitikerin gegen Scherf
Hans-Christoph Hoppensack, seit Jahren Staatsrat im Sozialressort und enger Vertrauter von Henning Scherf, kann es kaum glauben: Scherf ist in seiner neuen Rolle als Bürgermeister voll auf CDU-Linie in der Sozialpolitik eingeschwenkt. Am kommenden Montag will Scherf, das hatte er Anfang der Woche erklärt, in Bonn im Vermittlungsausschuß die CDU-Position in Sachen Existenzminimum unterstützen. 12.000 Mark soll die Grenze sein, die SPD hatte mindestens 13.000 Mark gefordert. Hoppensack glaubt noch an Scherfs soziale Ader: „Ich hoffe, daß er sich noch davon abbringen läßt“.
Mitten in der parlamentarischen Sommerpause erhitzen sich die Gemüter der SozialpolitikerInnen: Drei Jahre kämpften sie für ein angemessenes Existenzminimum von mindestens 13.000 Mark jährlich, ein Kindergeld von 250 Mark für das erste Kind und einen höheren Kinderfreibetrag. Daraus wird nun nichts.
Theo Waigel, Finanzminister in Bonn, will das steuerfreie Existenzminimum auf 12.000 Mark im Jahr begrenzen, es soll erst bis ins Jahr 2001 auf 13.000 Mark angehoben werden. Das wäre kaum ein Ausgleich für die Inflationsrate.
„13.000 Mark ab nächstem Jahr ist unser Ziel“, sagt Volker Kröning, SPD-Bundestagsabgeordneter und Vertreter der SPD im Finanzausschuß. Als Kompromiß könnte er sich höchstens vorstellen, die 13.000 Marks-Grenze bis ins Jahr 1999 zu erreichen.
Für Hoppensack wäre auch das zu wenig: „Wir haben dem Rathaus daher geraten, den Stufenplan bis 1999 mit mehr als 13.000 Mark zu befürworten“, sagt er. Alles was darunter bleibe, sei schließlich „verfassungsrechtlich anfechtbar“. Denn bereits 1992 hatte das Bundesverfassungsgericht das Existenzminimum für Ledige mit mindestens 12.000 bis 14.000 Mark im Jahr angegeben. Aber offensichtlich hat Scherf bislang nicht auf den Rat aus dem Fachressort gehört.
Der ehemalige Sozialsenator Henning Scherf fürchtet bei einem höheren Steuerfreibetrag um Einnahmen für das Land. Das überzeugt aber den Bonner Vertreter der Bremer SPD, Volker Kröning, nicht. Der findet den Verteilungsstreit t zwischen den norddeutschen SPD-Ländern und der SPD-Spitze in Bonn „überflüssig wie einen Kropf“. Denn schon bevor der Streit um das Geld der Armen losging, hatte der Finanzausschuß des Bundesrates signalisiert, daß die Länder mit 12 Milliarden Mark weniger Steuern auskommen könnten. Die Länder könnten schließlich auch durch andere Steuerinstrumente unterstützt werden, findet der ehemalige Bremer Finanzsenator Volker Kröning: „Der politische Wille zur Entlastung der Länder ist im Bundestag vorhanden“
Unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit fürchten die Bremer SozialpolitikerInnen eine lasche Haltung Scherfs beim Bonner Poker um das Existenzminimum. „Ich persönlich meine, daß 12.000 Mark zu wenig sind. Eigentlich müßte man sofort auf 13.000 Mark kommen“, sagt Elke Kröning, Bürgerschaftsabgeordnete der AfB. Auch für Silke Strietzel, sozialpolitische Sprecherin der CDU-Fraktion, ist es „wichtig, daß Familien einen großen Schritt an Steuerentlastung erfahren“. „Ich bedauere, daß nicht gleich ein voller Schritt unternommen wird“, sagt sie unabhängig von der Parteiräson. Die CDU-Politikerin peilt offenbar die sozialere 13.000 Mark-Forderung an.
Nach der entscheidenden Sitzung des Vermittlungsausschusses wollen die Bremer Sozialpolitikerinnen aktiv werden. Falls dann noch etwas für die Niedrigverdiener zu retten ist. ufo
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