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■ HöflichkeitManieren, Chic und Moral leichtgemacht

Benimmbücher haben Konjunktur. Falls es einen deutschen Sonderweg auf dem Gebiet der Umgangsformen je gab, so hat er seine Rechtfertigung verloren. Im amerikanischen Eurokanal „Super Channel“ empfiehlt nunmehr die Dame des Managermagazins Executive Lifestyles den „German friends“ auf die „kurzen weißen Socken“ zu verzichten, Cora Stephan liefert dazugehörige Zeitdiagnosen und Helmut Lethen einen historischen Unterbau.

Natürlich ist das Thema damit nicht erschöpft, man mag es theoretisieren oder politisch in Frage stellen, man kann es aber auch für den Alltagsgebrauch anwendbar machen. Einen Beitrag hierzu liefert C. Bernd Sucher, Theaterkritiker der Süddeutschen Zeitung, mit einem voluminösen Nachschlagwerk. Auf über 350 Seiten erhält der Leser ebenso Aufklärung über die Klippen der Abendgarderobe wie über den Ursprung des Wortes „Snob“ und die Frage, was ein Espressolöffel ist.

Das Leben im „postkonventionellen Zeitalter“ (J. Habermas) muß kein Leben ohne Konventionen sein. Diese müssen nur eine andere Rechtfertigung finden als den schlichten Hinweis auf Tradition oder die Möglichkeit der Distinktion zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Schichten.

Das Vorwort des Buches nimmt diese Einsicht auf, wenn es auf die kommunikationsfördernde und befreiende Funktion von Konventionen hinweist.

Doch Sucher möchte zuviel. In der von ihm angestrebten Konkordanz von Manieren, Chic, Moral und gutem Leben bleibt für neue Einsichten oder eine flotte These kein Raum. Dies zeigt sich nicht allein in der eigenartigen Mischung von abstrakten und konkreten Stichwörtern („Lippenstift“, „Spaghetti“, „Parvenu“, „Erfolg“), die durch das Fehlen eines konsequenten gedanklichen Ausgangspunkts bedingt ist.

Es erweist sich besonders deutlich in der – oft umständlichen – Ausführung von Aussagen, denen beim besten Willen niemand widersprechen wird. Bei problematischen Begriffen wird dann das Scheitern offensichtlich. Es kommt zum Bekenntnis: „Ich bleibe dabei: Political Correctness beschränkt den Umgang der Menschen in einem erschreckenden Maße“, „Erfolg muß man sich erkämpfen mit harter Arbeit, Disziplin – und auch dies – mit ein wenig Selbstverleugnung“ oder zum Krisenmanagement: „Sollte der mißglückte Auftritt indes Absicht sein, so ist er ein gezielter Affront.“

Da ist es nur konsequent, wenn der Autor unter dem Stichwort „Esprit“ mitteilt, daß der wahre Esprit darin bestehe, nicht zuviel von ihm zu zeigen. Dies wäre in Suchers Welt richtig, in der ebensowenig Platz für eine protzige Golduhr ist wie für eine geschliffene Gemeinheit. Dem Leser bleibt da die Frage, wer dieses Buch mit welchem Gewinn studieren soll, und die Einsicht, daß das letzte, was in dieser Welt konventionell sein darf, ein Buch über Konventionen ist. Christoph Möllers

C. Bernd Sucher: „Hummer, Handkuß, Höflichkeit. Das Handbuch des guten Benehmens“. dtv-tb, München 1996, 360 Seiten, 28 DM

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