Hochwasser in Indonesien: Beton für die Armen
In Jakarta wird eine Mauer gegen Überschwemmungen gebaut. Das trifft vor allem die Armen. Sie fühlen sich von Gouverneur Ahok verraten.
„Die Überschwemmung ist furchtbar“, sagt Fendi. Vor dem Haus des 48-Jährigen steht auch einen Tag nach dem Regen das Wasser noch knöcheltief. Mit einem Plastikeimer schöpft Fendi, der wie viele Indonesier nur einen Namen hat, die braune Brühe weg. Dann zeigt er auf die dicke Schlammschicht vor seinem Haus. „Früher konnten wir den Schlamm einfach in den Ciliwung schaufeln. Wegen der Mauer geht das nicht mehr.“
Das Haus von Fendi war schon einmal größer. Den vorderen Teil hat die Stadtverwaltung von Jakarta aber zusammen mit vielen anderen Häusern am Flussufer im Namen des Hochwasserschutzes am 28. September 2016 abreißen lassen. Platz musste her für die Mauer und den noch zu betonierenden Schlammweg davor.
„Wir hab gegen den Abriss geklagt. Aber Gouverneur Ahok ließ noch während des Gerichtsverfahren abreißen“, sagt Sandyawan Sumardi, der Kopf der Bürgerinitiative Ciliwung Merdeka bei einem Spaziergang durch Bukit Duri. Der Name der Initiative ist Programm. Das indonesische Wort Merdeka bedeutet so viel wie „Freiheit“ oder „Unabhängigkeit“.
Ahok will Gouverneur bleiben
Eigentlich ist Basuki Tjahaja Purnama, den sie hier alle nur Ahok nennen, beliebt. Er ist seit 2014 Gouverneur des für Indonesiens wichtigen Distrikts Jakarta – und er will es bleiben. Seine Chancen bei der Stichwahl am 19. April stehen gut, obwohl Ahok als Christ und ethnischer Chinese zur Zielscheibe von Islamisten geworden ist. Ihr Credo: Kein Ungläubiger darf Muslime regieren.
Trotzdem erhielt Ahok schon in der ersten Runde der Gouverneurswahl im Februar auf Anhieb 43 Prozent der Stimmen. Zweitplatzierter wurde der moderate Muslim Anies Baswedan. Islamistenparolen prallen bei der Mehrheit der muslimischen Mittelklassewähler ab. Sie stimmen für den Macher Ahok. Doch mit der „Flussnormalisierung“ stößt der 50-Jährige die Armen vor den Kopf.
Sie haben bei der ersten Runde der Gouverneurswahl mehrheitlich für seinen Konkurrenten Anies Baswedan gestimmt. Der ehemalige Bildungsminister versprach ihnen, keine Vertreibungen zuzulassen. Beide Kandidaten werden von losen Parteienbündnissen gestützt, die sich im Kampf um die Macht im wirtschaftlichen Zentrum Indonesiens warmlaufen. Denn 2019 sind im größten muslimischen Land der Welt mit seinen rund 200 Millionen Muslimen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen.
Dreizehn Flüsse fließen durch die indonesische Hauptstadt, bevor sie in der Bucht von Jakarta in die Javasee münden. Während der Monsunzeit treten sie über die Ufer und verursachen schwere Überschwemmungen. Seit vielen Jahren verspricht die Stadtverwaltung von Jakarta, dem Hochwasser des Ciliwung durch „Flussnormalisierung“ den Kampf anzusagen – mit Hilfe der Weltbank, holländischer Experten und eines gigantischen Betonkorsetts.
Keine Alternativlösung für Bewohner
Die Bürgerinitiative Ciliwung Merdeka hatte Ahok ein alternatives Konzept zum Hochwasserschutz vorgelegt. Auch darin war in Bukit Duri und dem gegenüberliegenden Viertel Kampung Pulo der Abriss von Häuser vorgesehen, die direkt am Fluss liegen. Für die Bewohner sollten jedoch als „vertikale Lösung“ an Ort und Stelle mehrstöckige Wohnhäuser erbaut werden. Als natürlicher Hochwasserschutz sollten Büsche, Bäume und Mangroven an den Ufern angepflanzt werden. Daraus wurde nichts.
„Ahok hält nichts von Bürgerbeteiligung“, sagt Sandyawan Sumardi, der 56-jährige Vorsitzende der Bürgerinitiative. „Ahok ist der Mann der Bau- und Immobilienkonzerne. Wenn er in Bukit Duri nachgegeben hätte, hätte das eine Signalwirkung für andere Slums in Jakarta gehabt“, ist er sich sicher.
„Ahok hat uns verraten“, schimpft auch der Tapezierer Mukris, der ebenfalls nur einen Namen hat. Sein Haus in Bukit Duri wurden auch abgerissen. „Ich habe keine Entschädigung erhalten“, erzählt der Mann mit dem dünnen Schnauzbart. „Sie haben mir eine Wohnung in der Nähe zugewiesen.“ Die koste 800.000 Rupien im Monat, etwa 56 Euro. Hinzu kommen Kosten von 200.000 Rupien für Wasser und Strom. „Mein altes Haus gehörte mir. Es stand auf einem Stück Land, das mir ein Freund umsonst überlassen hatte.“
Die meisten der vielen tausend Menschen in Bukit Duri verdienen ihren Lebensunterhalt als kleine Handwerker, Markthändler und Garküchenbesitzer. Oder sie arbeiten als Kellner, Zimmermädchen, Taxifahrer und Büroangestellte in Jakartas Nobelviertel Kuningan, dessen glitzernde Hochhäuser von Bukit Duri aus in der Ferne zu sehen sind.
Ungleiche Stadtentwicklung
Dort oben, im schöneren Teil des Ciliwung, hat sich die Elite Jakartas in schicken Villen eingerichtet. „Da leben Leute von der Armee, ehemalige Minister des New-Order-Regimes von Suharto und sogar ein ehemaliger Gouverneur von Jakarta“, zählt Bosman Baturaba auf. Für den Geologen und Hydrologen ist Bukit Duri ein Paradebeispiel für die ungleiche Stadtentwicklungspolitik in Jakarta. „Bei der „Normalisierung“ des Ciliwung geht es also auch um Machtverhältnisse und um die Frage, wer vertrieben wird und wer nicht.“
Bosman Baturaba, Aktivist
Der Ciliwung war schon ein wichtiger Wasserweg, als Indonesien eine holländische Kolonie war und Jakarta noch Batavia hieß. Damals begann die Abholzung der Wälder entlang des Flusses. Bald wuchsen Fabriken empor, die ihren Dreck und ihre Gifte in den Fluss leiteten. Später wurden Wälder abgeholzt, um Platz für Häuser zu schaffen.
Bendi, ein Fischer im Stadtteil Muara Baru im Norden von Jakarta, wird über kurz oder lang auch Opfer dieser Politik. Auch sein Viertel steht regelmäßig unter Wasser. Das Niveau liegt unter dem Meeresspiegel. Eigentlich wäre Muara Baru heute schon versunken, würde nicht auch hier eine meterhohe Betonmauer das Meer fernhalten.
Doch das geht nicht mehr lange gut. Der Meeresspiegel steigt. Um den Norden von Jakarta vor dem Meer zu schützen, soll ein Betonwall quer durch die Bucht von Jakarta laufen. Er wird 32 Kilometer lang sein und die Form eines Garuda haben, des halb mensch-, halb adlergestaltigen Reittiers des hinduistischen Schöpfergottes Vishnu.
Eine Inselstadt für zwei Millionen Menschen
„Giant Garuda“ heißt das Projekt, das 40 Milliarden US-Dollar kosten soll. Den Großteil der Kosten sollen indonesische Bau- und Immobilienkonglomerate tragen. Im Gegenzug dürfen sie vor der Mauer 17 Inseln aufschütten und darauf eine neue Stadt für zwei Millionen Menschen errichten. Natürlich ist Ahok ein glühender Befürworter des Projekts. Das hatte schon der heutige Staatspräsident Joko Widodo gefördert, als er noch der Stadtregent von Jakarta war und Ahok sein Vize.
Von dem „Giant Garuda“ hat der Fischer Bendi schon gehört. Genaues weiß er aber nicht. „Die Behörden informieren uns kleine Leute nicht“, sagt er, während er sein kleines, altes Holzboot, von dem die blaue Farbe abblättert, für die nächste Fangtour vorbereitet. Der Mann mit dem runden Bäuchlein unter dem T-Shirt fürchtet um seine Existenz, wenn der Garuda erst einmal seine Flügel ausbreitet. „Schon heute muss ich immer weiter hinausfahren, um überhaupt noch Fische zu finden“, erzählt Bendi.
Der „Giant Garuda“ und die „Normalisierung“ des Ciliwung gehören zusammen und sind die Zutaten für eine Katastrophe. Durch die ungehemmte Abholzung erodiert der Boden. In der Folge schwemmt der Fluss immer mehr Sedimente in die Bucht. „Die künstlichen Inseln werden für die Sedimente und das Wasser der Flüsse wie Barrieren wirken“, fürchtet Baturaba.
Jakarta versinkt im Erdboden
Zudem, so der Wasserexperte, versinke Jakarta unter seinem eigenen Gewicht zwischen 7,5 und 14 Zentimetern pro Jahr. „Wenn das Gewicht der Gebäude eines der Hauptursachen für das Absacken von Jakarta ist, dann wird durch die Betonbauten noch mehr Last hinzugefügt. Das ist kontraproduktiv.“
Wegen allerlei Klagen vor Gerichten zur Klärung der Umweltverträglichkeit und wegen massiver Korruptionsvorwürfe ruht derzeit das Bauvorhaben „Giant Garuda“. Am Ciliwung aber geht die Arbeit weiter. Die Ruinen der Häuser sind Symbole der sozioökonomischen Ungleichheit geworden.
Die werde es auch in Zukunft geben, befürchtet der Aktivist und Experte Bosman Baturaba. Beide Kandidaten für die Stichwahl, Ahok und Anies, sind Teil des Problems. „Ahok, weil er keinen Respekt vor Menschen hat, und Anies wegen seiner Nähe zu Öl- und Gasfirmen, die seine Bildungsstiftung sponsern“, sagt Baturaba. Er glaubt nicht, dass sich etwas ändert: „Keiner der beiden Personen gibt Hoffnung auf ein besseres Jakarta.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland