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Historiker über Krieg und Nationalismus„Je mehr Kriegstote, desto mehr NSDAP-WählerInnen“

In Regionen mit vielen „Gefallenen“ des Ersten Weltkriegs wurde in den 1930ern stark nationalistisch gewählt. Das belegen Forschungen aus Osnabrück.

Viele Kriegstote machen nationalistischer: Soldatenfriedhof im französischen Cerny für 5.000 „Gefallene“ des Ersten Weltkriegs Foto: Rolf Haid/dpa
Interview von Petra Schellen

taz: Herr De Juan, machen Kriege nationalistisch?

Alexander De Juan: Das hängt von Merkmalen der Kriege und ihrem politischen Kontext ab. In unserer Studie haben meine KollegInnen und ich eine bestimmte Dimension von Kriegen untersucht: die Erfahrung der Zivilbevölkerung mit Tod und Verlust. Studien aus anderen Kontexten zeigen, dass diese Konfrontation in unterschiedliche Richtungen ziehen kann: Sie kann eine stärkere Orientierung auf die eigene nationale Gruppe und eine stärkere Abgrenzung nach außen befördern. Sie kann aber auch, im Gegenteil, die Sehnsucht nach Frieden, Stabilität und Versöhnung erzeugen. Das hängt auch davon ab, wie Krieg und Verlust gesellschaftlich rezipiert werden.

taz: Was haben Sie und Ihr Team nun konkret untersucht?

De Juan: In unserer Studie haben wir die Wirkung des Ersten Weltkriegs auf die Unterstützung der deutschen Zivilbevölkerung für die NSDAP und die DNVP untersucht – die zentralen nationalistischen Parteien der Weimarer Republik. Dazu haben wir die Wahlen zum Reichstag zwischen 1924 und März 1933 angeschaut.

taz: Wie sind Sie vorgegangen?

Wir versuchen erstmals den Zusammenhang zwischen Kriegstoten und Wahlverhalten systematisch flächendeckend zu erfassen. Dazu werten wir aus, wie sich Kriegstote gemäß ihren Geburtsorten auf das Territorium der Weimarer Republik verteilen. Daraus können wir ableiten, ob die NSDAP und DNVP in Landkreisen, aus denen überdurchschnittlich viele „Gefallene“ des Ersten Weltkriegs kamen, erfolgreicher war als in Landkreisen mit weniger getöteten Soldaten. Diese Methode birgt allerdings Risiken.

taz: Welche?

De Juan: Wir wissen nicht, ob sich Landkreise mit besonders hoher Totenzahl schon vor dem Krieg strukturell von anderen Landkreisen unterschieden. Wenn zum Beispiel mehr Freiwillige aus besonders nationalistischen Landkreisen in den Krieg zogen, hatten sie auch mehr Todesopfer. Dann wäre aber nicht die Zahl der Kriegstoten für die NSDAP-Unterstützung verantwortlich, denn die war ja schon vorher da. Solche Scheinkorrelationen wollten wir vermeiden.

taz: Wie genau?

De Juan: Wir haben gesagt: Wir können nicht einfach die absolute Anzahl der Toten anschauen, denn die ist stark geprägt durch strukturelle Merkmale der Landkreise schon vor dem Ersten Weltkrieg. Wir brauchen ein anderes Maß, das unabhängig ist von der schon zuvor bestehenden politischen Ausrichtung der Landkreise.

taz: Das heißt konkret?

De Juan: Wir schauen uns für jeden Landkreis an, wie viele Kriegstote und wie viele Kriegsverwundete es gab und berechnen das Verhältnis zwischen beiden. Wir vergleichen zum Beispiel zwei Landkreise, in denen je 1.000 Menschen in den Krieg zogen. In dem einen Landkreis sind 800 umgekommen und 200 verletzt. Im anderen Landkreis sind nur 200 umgekommen und 800 verletzt. Die Konfrontation mit Tod in den beiden Landkreisen unterscheidet sich stark, obwohl beide gleich viele Männer in den Krieg geschickt haben. Dieser Unterschied beruht nicht auf Merkmalen der Landkreise, sondern auf Dynamiken an der Front, also exogenen Faktoren.

Bild: Privat
Im Interview: Alexander De Juan

Jg. 1979, Soziologe, ist Professur für Vergleichende Politikwissenschaft an der Universität Osnabrück.

taz: Welche wären das?

De Juan: Wir haben Karten von der Front verarbeitet, aus denen hervorging, welche militärischen Einheiten wo an der Front stationiert und von Angriffen der Alliierten besonders stark betroffen waren. Es zeigte sich, dass die Wahrscheinlichkeit, getötet oder verletzt zu werden, stark davon abhing, in welchem Frontabschnitt man eingesetzt war. Wir konnten zeigen, dass das Verhältnis von Toten und Verletzten getrieben ist durch diese Dynamiken an der Front, ganz unabhängig von strukturellen Merkmalen in den Landkreisen zu Hause. Wenn wir dann herausfinden, dass die Anzahl der Toten korreliert mit der Unterstützung für die NSDAP, wird deutlich, dass es keine Scheinkorrelation ist, sondern dass ein echter kausaler Zusammenhang besteht.

taz: Und den gibt es?

De Juan: Ja. In der Weimarer Republik wurde in Landkreisen mit mehr „Gefallenen“ des Ersten Weltkriegs im Durchschnitt häufiger NSDAP gewählt. Wir können also sagen: Die Konfrontation mit Tod im Kontext zwischenstaatlicher Kriege beförderte in diesem Fall die Unterstützung für nationalistische Parteien. Wir haben uns außerdem Beitrittszeitpunkte zur NSDAP und zur HJ sowie die Darstellung des Kriegs in Briefen von NSDAP-Mitgliedern zu ihrer Motivation angeschaut. Alle Quellen deuten in die gleiche Richtung: dass es vor allem die Gruppe der Zivilisten ist, die den Krieg nicht direkt vor Ort erlebt haben. Und dass deren Konfrontation mit dem Verlust von Familie, Freunden, Bekannten die nationalistische Ausrichtung wesentlich befördert.

taz: Wie haben Sie das im Einzelnen analysiert?

De Juan: Wir haben stichprobenartig in NSDAP-Mitgliederkarteien den Zeitpunkt des Beitritts angeschaut. Jürgen Falter von der Universität Mainz hat uns die Daten zur Verfügung gestellt. Ein Beitritt in der Frühphase, also vor der Machtübergabe an die NSDAP im März 1933, erfolgte vermutlich eher aus Überzeugung, während spätere Beitritte stärker opportunistisch getrieben waren. Außerdem haben wir geschaut: Wie wahrscheinlich ist es, dass Menschen, die der NSDAP beitraten, selbst an der Front waren?

taz: Was kam heraus?

De Juan: Alter und Geschlecht der Parteimitglieder zeigen: Viele frühe NSDAP-Mitglieder waren Frauen sowie Männer, die zu jung waren, um im Ersten Weltkrieg eingezogen worden zu sein. Zivilisten also. Wir haben festgestellt, dass gerade diese Zivilisten in stark betroffenen Landkreisen früh in die NSDAP eingetreten sind. Das sind Menschen, die im Ersten Weltkrieg zwar Verluste erfahren haben im unmittelbaren Umfeld, die zudem der Kriegspropaganda der Nationalsozialisten ausgesetzt waren, den Krieg aber nicht an der Front erlebt hatten. Außerdem fanden wir heraus, dass die NSDAP-Unterstützung besonders stark in den Regionen ausfiel, die schon vorher eine ausgeprägte Kultur des Kriegsgedenkens hatten. Dort, wo besonders viele nationalistische Kriegsdenkmäler aus dem deutsch-französischen Krieg von 1870/71 standen, war die NSDAP-Unterstützung besonders stark.

taz: Wie ist das zu erklären?

De Juan: Unsere Vermutung: Das war die Hochphase des Nationalismus im Kontext der Reichsgründung. Da sollten die Kriegsdenkmäler eine bestimmte Botschaft über den Krieg kommunizieren und eine nationalistische Erinnerungskultur befördern. Denn es ist ein Unterschied, ob ein Mahnmal an die Opfer, den menschlichen Verlust erinnert oder an „unsere Helden, die im mutigen Kampf gegen den Feind gestorben sind“. Diese Botschaft, verstärkt durch NS-Propaganda, wirkte noch lange nach.

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1 Kommentar

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  • Ein wirrer Artikel. Ich habe in zweimal durchgelesen, aber er ist immer noch wirr. BSP: "Wir konnten zeigen, dass das Verhältnis von Toten und Verletzten getrieben ist durch diese Dynamiken an der Front, ganz unabhängig von strukturellen Merkmalen in den Landkreisen zu Hause."



    Dass in Frontabschnitten, an denen es weitgehend ruhig war, weniger Tote und Verletzte gab wie bei den Schlachten von Verdun (bei dem ein General das schreckliche Wort "weissbluten" verwendet hatte) oder an der Somme, sollte jedem klar sein. Und auch das Verhältnis von Toten zu Verletzten dürfte an "ruhigen" Frontabschnitten auch günstiger sein, sprich prozentual weniger Tote im Verhältnis zu Verletzten.



    Einfacher Grund: insgesamt weniger Verwundete, die medizinische Versorgung ist dann durch die vorhandenen Sanitätseinheiten einfacher und besser, während in einer Schlacht zuviele Verwundete auf einmal nicht mehr versorgt werden können und dann verbluten oder an Wundinfektionen sterben (Stichwort Triage). Dass dies mit " strukturellen Merkmalen in den Landkreisen zu Hause" nichts zu tun hat, ist eine Binse(nweisheit).