Historiker-Studie über NS-Diplomaten: "Mord als Dienstgeschäft"
Bei der Übergabe der Historikerstudie zur Rolle deutscher Diplomaten in der Nazizeit findet Außenminister Guido Westerwelle ausnahmsweise mal das richtige Maß.
Das sperrige Wort "Nachruf-Praxis" sprach Guido Westerwelle nicht aus. Aber das musste der Minister auch nicht. Auch so hing es in der Luft der holzgetäfelten Bibliothek im Auswärtigen Amt, wo er seine Rede hielt. Seit zwei Tagen drohte der Außenminister in den Strudel einer Debatte darüber zu geraten, wie das Außenministerium mit einstigen Mitarbeitern mit Nazivergangenheit umgeht. Eine von ihm geänderte Praxis der Nachrufe für Mitarbeiter geriet in die Schlagzeilen. Jedes Wort konnte da das falsche sein.
Aber der Reihe nach.
Am Donnerstagnachmittag nahm Westerwelle eine von seinem Vorvorgänger Joschka Fischer in Auftrag gegebene Studie entgegen namens "Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik". Die von vier Historikern aus Deutschland, den USA und Israel geleitete Kommission hat seit 2006 erforscht, in welchem Ausmaß sich das Amt an Nazi-Verbrechen beteiligte und wie es in der Bundesrepublik mit diesem Erbe umging.
Das Ergebnis war für Experten nicht ganz neu: Das Amt machte nicht nur mit, schob Verbrechen sogar selbst an und war niemals ein Hort hinhaltenden Widerstands gegen Hitler. Doch überraschte selbst die Kommissionsmitglieder das Ausmaß der Vertuschung und Gleichgültigkeit der selbsterklärten Elite nach dem Krieg.
Auch deshalb bemühte sich Westerwelle in seiner Rede um etwas, das ihm seit Beginn seiner politischen Karriere schwer fällt: ums richtige Maß. Es gelang ihm.
Das seit Ende der 70er-Jahre immer genauer erforschte Bild des Auswärtigen Amts in der Nazizeit werde durch die Studie "runder", sagte Westerwelle mit staatstragender Miene, in Details auch "klarer". "In diesem Amt konnte man Mord als Dienstgeschäft abrechnen." Am Ende sei die Forschung "längst nicht".
So weit, so unstrittig. Doch ging Westerwelle auch auf einen pikanten Punkt ein. Wie erst vor wenigen Tagen bekannt wurde, hat das Auswärtige Amt im vergangenen Februar eine Regelung geändert, die der damalige Außenminister Joschka Fischer 2003 eingeführt hatte. Dieser bestimmte, begleitet von heftigen Protesten ehemaliger Diplomaten: Der Tod einstiger Mitglieder von NSDAP, SS und SA, die im Auswärtigen Amt arbeiteten, wird in der Mitarbeiterzeitschrift "Intern AA" nur noch mit Namensnennung verkündet. Zuvor hatte jeder Tote eine ausführliche Würdigung erhalten inklusive der Formulierung, das Ministerium werde ihm ein "ehrendes Andenken" bewahren.
Seit acht Monaten gilt eine abgeschwächte Regelung: Für Mitarbeiter, die 1928 oder später geboren wurden, ist laut Auswärtigem Amt ohne Prüfung eine persönliche posthume Würdigung im Mitarbeiterblatt wieder möglich. Begründung: Bei Kriegsende 1945 seien diese Personen noch nicht volljährig gewesen. Wer vor 1928 geboren wurde, werde weiterhin überprüft. Mitglieder der NSDAP oder einer ihrer vielen Unterorganisationen bekämen "in der Regel" keinen individualisierten Nachruf. Nur die Nachricht des Todes werde, wie in den vergangenen Jahren üblich, vermeldet.
Daraufhin kritisierte die Grüne Kerstin Müller, Staatsministerin unter Fischer, gegenüber Spiegel Online: "Vor dem Hintergrund der Ergebnisse der Historikerkommission mutet die Aufweichung der Nachrufregelung wie ein Kniefall vor denjenigen an, die sich seinerzeit über die Maßnahme Fischers aufgeregt haben."
Westerwelle als Erfüllungsgehilfe selbstgerechter Ex-Bediensteter eines Ministeriums, das fast drei Jahrzehnte lang von der FDP geführt wurde? Diesen Verdacht wollte der Minister abschütteln. "Einem Menschen wird man nur gerecht, wenn man sehr genau hinsieht", sagte er. Zu jenen wenigen, die im Auswärtigen Amt Widerstand leisteten und dafür getötet wurden, zählten auch NSDAP-Mitglieder. Doch: "Eines ist ganz klar. Nazis werden nicht geehrt."
Deshalb werde sich eine Arbeitsgruppe unter Leitung seines Staatsministers Peter Ammon mit der Frage befassen, welcher Ex-Mitarbeiter künftig welche offizielle Ehrung erhält. Die Studie werde "fester Bestandteil der Ausbildung deutscher Diplomaten sein". In den hinteren Reihen applaudierte der Nachwuchs. Bislang aber, sagte einer von ihnen, hätten sie in ihrer Ausbildung nichts gehört über die Vergangenheit des Hauses.
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