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Hirnforscher übers Schulsystem„Jeden Schüler für etwas begeistern“

Gerald Hüther will nicht tatenlos warten, bis das Schulsystem kollabiert. Jedes Kind sei begabt, meint er, und das Schulsystem müsse reformiert werden.

Auch für sie will Hüther ein neues Schulsystem schaffen. Bild: dapd
Interview von Christian Bleher

taz: Herr Hüther, viele Eltern fechten Noten vor Gericht an, weil sie finden, dass der Einstein oder Goethe in ihrem Sprössling verkannt wird. Ihr neues Buch heißt „Jedes Kind ist hoch begabt“. Wollen Sie diesen Eltern den Rücken stärken?

Gerald Hüther: Ich will die Augen dafür öffnen, dass Kinder über viele unterschiedliche Potenziale verfügen. Unsere Schule stellt rein analytisch-kognitive Fähigkeiten in den Mittelpunkt – dadurch fallen viele Kinder durch die Erbsensortieranlage, die Schule geworden ist. Das dreigliedrige System mit seinem Begabungskonzept stammt aus dem vorigen Jahrhundert. Es kommt aber heute nicht mehr so sehr darauf an, möglichst viel auswendig zu lernen. Im Maschinenzeitalter brauchte man Pflichterfüller. Leute, die in den Krieg gezogen sind und abgedrückt haben, wenn jemand es befohlen hat. Im 21. Jahrhundert brauchen wir so etwas nicht mehr.

China als Pisa-Sieger ist ein Land, das stark aufs Auswendiglernen setzt – und sich zur wirtschaftlichen Weltmacht entwickelt hat.

Ja, in Schanghai sind die besten Pisa-Ergebnisse erzielt worden. Experten vor Ort erzählen aber auch: Es ist ein unmenschliches System.

China ist eben China und nicht Deutschland. Man denkt dort eben anders über Leistung und Freizeit.

Auch hierzulande kann man feststellen: Schule macht krank. Möglicherweise ist es gerade die Eigenbrötlerei, das Tüftlertum, die Leidenschaft, sich mit etwas Bestimmten zu beschäftigen, was wir brauchen, nicht das fleißige Abarbeiten, das Pflichterfüllen. Der eigentliche Schatz, auf den wir in unserem Kulturkreis zurückgreifen können, ist die Kreativität der Menschen, sind diese begeisterten Tüftler und Erfinder. Das ist unser Potenzial, das auch für unsere wirtschaftliche Entwicklung entscheidend ist.

Wirtschaftsforscher rechnen uns vor, dass verbesserte Grundfertigkeiten den sogenannten Wohlstandsgewinn verfünffachen würden.

Man sollte vielleicht mal ausrechnen, wie groß der Schaden ist, den allein schon ein einziger Mathematiklehrer anrichtet, der es jedes Jahr fertigbringt, zehn Prozent seiner Schüler die Lust auf Mathe zu versauen.

Das ist nicht ihr Ernst!

Mein voller Ernst. Es wäre volkswirtschaftlich betrachtet günstiger, so jemanden bei voller Bezahlung zu Hause zu lassen. Ein Kind verliert die Lust an Mathe, weil ihm jemand deutlich macht, dass es zu blöd dafür ist. Dann verliert es aber nicht nur die Lust an Mathe, sondern auch an Naturwissenschaft und an allem, was damit zusammenhängt.

Dennoch kann man Ihren Satz, „jeder ist ein Genie“, auch als Polemik verstehen. Was sollen Eltern sagen, deren Kinder ein Handicap haben?

Gerade die sogenannten Behinderten sind doch das beste Beispiel für unerkannte Potenziale: Sehen Sie sich Trisomie-21-Kinder an. In den 50er Jahren waren sogar Experten der Meinung, dass sie schwachsinnig seien und per se nicht lernen könnten. Jetzt studieren die ersten. Heute wissen wir also: Wofür diese Menschen tatsächlich unbegabt sind, ist Frontalunterricht, bei dem ihnen etwas eingetrichtert werden sollte. Wofür sie aber sehr sensibel sind, ist Lernen in Beziehung, dann werden sie zu wahren Potenzialentfaltern.

Was ist das, Herr Hüther?

Es braucht Leute, die Kindern nicht etwas beibringen wollen, sondern etwas aus ihnen herausholen. Unsere Erfahrung heißt: Ein Mathelehrer hat uns versucht, was zu erklären, und wir haben es nicht verstanden. Wir ziehen daraus den deprimierenden Schluss, dass wir einfach zu blöd sind.

Andere Lehrer – ist das die Lösung?

Im Dialog der Arbeitsgruppe „Zukunft der Bildung“ mit der Bundeskanzlerin sind wir jedenfalls zu dem Ergebnis gekommen, dass man Pädagogen ausbilden sollte, die nicht primär dazu da sind, Wissen zu vermitteln. Sondern Lehrer, die in der Lage sind, die in den Kinder steckenden Begabungen und Talente zur Entfaltung zu bringen. Wir arbeiten gerade den Masterstudiengang „Potenzialentfaltungscoach“ aus. Ab Herbst 2013 soll er starten.

Wer ist wir?

Die Initiative „Schule im Aufbruch“. Wir kennen uns schon länger, aber das gemeinsame Nachdenken mit der Kanzlerin über die Frage „Wie wollen wir lernen?“ – und die absurden Beschränkungen, die der Bund im Föderalismus hat – haben uns gezeigt: Wir brauchen diese Initiative jetzt: Der Grundgedanke lautet, dass wir endlich Potenziale entfalten sollten, anstatt Talenten die Lust am Lernen genau dort auszutreiben, wo sie doch fürs Leben lernen sollen. Wenn die Politik es nicht hinkriegt, müssen wir eben selber ran.

Was macht ein Potenzialentfaltungscoach anders als ein Lehrer?

Seine erste Fähigkeit müsste sein, jeden Schüler für etwas zu begeistern, was dem auf den ersten Blick egal ist. Zum Beispiel die Fotosynthese zu durchschauen oder Shakespeares „Macbeth“ aufzuführen – und zu verstehen. Die Hirnforschung bestätigt: Nur wenn man mit innerer Beteiligung lernt, also wenn es für einen selbst bedeutsam ist, werden im Hirn jene neuroplastischen Botenstoffe ausgeschüttet, die die Verankerung von neuen Netzwerken fördern.

Und die zweite Fähigkeit des Potenzialcoachs?

Er müsste in der Lage sein, aus einem zusammengewürfelten Haufen ein leistungsorientiertes Team zu machen. Da hätten Sie dann eine neunte Klasse, in der alle unbedingt wissen wollen, wie die Fotosynthese funktioniert. Sie dürfen sicher sein, dass es höchstens zwei Wochen dauert, bis es alle wissen, weil sie sich das alles selbst erarbeitet haben.

Ist es nicht so, dass Pädagogen eher an den kleinschrittigen Lehrplänen scheitern, die sie nun mal erfüllen müssen.

Dann muss man eben all diese Lehrpläne noch einmal genau anschauen – und wohl auch die Bedeutung der Schulzensuren kritisch hinterfragen.

Noten abschaffen? Dagegen würden sich viele ehrgeizige Eltern und sogar Schüler wehren.

Schüler brauchen und wollen eine Rückmeldung auf ihre Leistung. Aber als Auswahlkriterien dürften Zensuren nicht benutzt werden. Immer mehr Personalverantwortliche in Unternehmen berichten schon, dass Noten kein verlässliches Kriterium für die Leistungsfähigkeit eines späteren Mitarbeiters sind. Selbst die Studienstiftung des deutschen Volkes verlässt sich nicht mehr nur auf Noten. Das zeigt uns, dass das Schulsystem an zwei Stellen morsch ist. Es sind schon immer zu viele nach unten durchgefallen. Und heute kann man sich nicht mal mehr darauf verlassen, dass die, die mit 1,0 abschließen, auch die Besten sind.

Klingt nach Utopie. Gibt es denn schon Schulen, an denen so gearbeitet wird.

Die evangelische Gemeinschaftsschule Berlin Zentrum ist so eine. Diese Schule hat eine Schülerfirma aus der 8. Klasse, die Lehrerfortbildungen für Lehrer anbietet. Eine Gruppe von jeweils fünf Schülern besucht ein Kollegium, das sie gebucht hat, und beschreibt, wie lernen funktioniert und wie es bei ihnen an der Schule zugeht. Das ist den Rückmeldungen der Lehrer zufolge oft die wirksamste Art von Fortbildung, die sie je hatten.

Klingt wie Kinder an die Macht.

Gerald Hüther

ist Professor für Neurobiologe. Er leitet die Zentralstelle für Neurobiologische Präventionsforschung der Psychiatrischen Klinik der Uni Göttingen und des Instituts für Public Health der Uni Mannheim/Heidelberg. Hüther hat eine ganze Reihe von Büchern geschrieben. Er engagiert sich nun unmittelbar für die Veränderung des Schulsystems.

Darum geht es nicht. Aber wenn wir Schulen haben, in denen das Lernen gelingt, dann ist es natürlich sinnvoll, die Schüler berichten zu lassen, wie das gelingt. In Lernteams, wo Schüler voneinander lernen, würden beide Seite profitieren: diejenigen, die es schon können, weil sie ihr Wissen weitergeben. Die anderen, weil sie von gleichaltrigen Schülern lernen. Da entstehen Lerndynamiken, die sich keiner vorstellen kann, der nur konventionellen Unterricht kennt.

Wird denn bei diesem selbstbestimmten Lernen wirklich genug gelernt?

Schule im Aufbruch

Seit vergangener Woche gibt es eine Art zivilgesellschaftlichen Dachverband für Schulentwicklung und ein anderes Lernen. Die Initiative „Schule im Aufbruch“ von Stephan Breidenbach, Margret Rasfeld und Gerald Hüther (siehe Interview). Der Hirnforscher Hüther, der Dekan der Viadrina School of Governance Breidenbach und die Berliner Schulleiterin und Autorin Rasfeld (EduAction) wollen die vielen Schul- und Lerninitiativen mit Ideen und Best Practice helfen. Und sich umgekehrt von denen inspirieren lassen. Insgesamt 100 Schulen werden gesucht, die einen neuen, potenzialorientierten Begriff von Lernen verfolgen. Hüther, Breidenbach und Rasfeld waren Lernexperten im Bürgerdialog der Kanzlerin.

Wenn man davon redet, dass Schule Freude machen soll, kommt oft reflexartig: Das sind Spaßschulen. Wir reden aber von Hochleistungsschulen. Die beste Abiturientin Niedersachsens kam vergangenes Jahr von einer Gesamtschule. Und die Christoph-Lichtenberg-Gesamtschule praktiziert seit Langem selbstgestaltetes Lernen – und hat dafür den Deutschen Schulpreis gewonnen. Ein hervorragendes Abitur machen dort auch jene, die anderswo von vornherein abgewiesen worden wären. Solche Schulen sind die Vorbilder, mit der unsere Initiative andere lokale Initiativen anstoßen will.

Herr Hüther, Sie arbeiten schon lange daran, die Erkenntnis der Hirnforschung in die Schulwelt zu tragen, und müssen doch bei zahlreichen Gelegenheiten konstatieren: Schule macht krank. Verbittert Sie das nicht?

Ich bin extrem optimistisch. Wie schnell die DDR zusammengebrochen ist, das hätte auch keiner geglaubt. Die alte Form von Schule wird es in sechs Jahren schon nicht mehr geben, davon bin ich überzeugt.

So schnell?

Zehn Jahre wird unser Land sich solche Schulen nicht mehr leisten können. Es ist zu teuer und zu gefährlich, Schüler durch ein Schulsystem zu schleusen, in dem sie genau das verlieren, was sie dringender als alles andere brauchen, um ihr Leben und ihre Zukunft zu gestalten, ihre angeborene Lust am Lernen, am eigenen Entdecken und Gestalten.

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18 Kommentare

 / 
  • R
    Rike

    Ich kann gar nicht recht nachvollziehen, dass so viele herauslesen, dass Lehrer die Buhmänner sein sollen.

    Selbst verstehe ich Hüter anders.

    Vielleicht wäre ich aber auch so empfindlich, wäre ich auch Lehrerin - halt! Das bin ich ja!

     

    Ich bin heilfroh, dass es eine Initiative wie Schule im Aufbruch gibt. Gut, vieles ist vielleicht noch nicht ausgereift und Experiment - na und? Wie kann man denn sonst herausfinden, wie es am besten klappt? Ach so, am besten gar nicht.

     

    Ich will hier gar nicht lange aufführen, warum ich mit Hüther (Spitzer, Breidenbach, Ken Robinson etc.) einer Meinung bin, das haben andere vor mir schon.

     

    Was mich tatsächlich ärgert ist dieses Rumgemotze. Statt sich angegriffen zu fühlen und auf das System zu schimpfen (das ohne Frage nicht mehr zeitgemäß ist), könnte man doch auch ein paar der Ideen mal wirken lassen. Nicht immer dagegen, sondern auch mal für was sein. Die eigene Einstellung beobachten (nicht bewerten!), Neues probieren, sowohl als Pädagoge als auch als Eltern. Es geht doch letztlich nicht um die Schuldfrage, sondern darum, wie wir alle (!) unsere Kinder auf eine Zukunft vorbereiten können, die wir nicht kennen.

  • FJ
    Franz Josef Neffe

    BIL, das ist die Wunderkraft,

    die heut niemand mehr versteht,

    weshalb man nur DUNG erschafft,

    weil man nicht weiß, wie es geht.

     

    Es ist nicht die SCHULE, die G.Hüther kollabieren sieht, es sind unsere Lehrplanvollzugsanstalten.

    SCHULE ist etwas gan anderes.

    Unsere Schulen sind keine Schulen.

     

    SCHULE ist eine geistig-seelische Lebensqualität, die wir durch "Schule" längst vernichtet haben.

    SCHULE bedeutet: aufhören, innehalten, zu sich und zur Besinnung kommen, wieder mit sich eins werden. Man stelle sich vor, die Schüler sagen um 8 Uhr morgens zum Lehrer: "Heute machen wir mal SCHULE."! Dann fällt "Schule" aus.

    SCHULE ist kein Haus. Der Mensch lernt nicht in Häusern, er lernt IN SICH. Jeder Mensch trägt seine ICH-KANN-SCHULE in sich - und wird ausgerechnet durch "Schule" abgehalten, sich ihrer bewusst zu werden und sie zu nutzen.

    In unseren "Schulen" stört GEIST nur. GEIST kommt in der "Schule" heute gar nicht mehr vor. Bei einem meiner Ich-kann-Schule-Vorträge fragte ich die anwesenden LehrerInnen, wie oft sie in den letzten drei Jahren in ihrer "Schule" die Worte GEIST & SEELE gehört haben. Alle bekundeten, sie hätten diese Worte dort überhaupt noch nie gehört.

    Wie will man ohne GEIST BeGEISTERN?

    Freundlich grüßt

    Franz Josef Neffe

  • ME
    Manuela Engl

    Macht Lernen dumm?

    Richard David Precht mit Gerald Hüther im Gespräch

     

    Die ersten kritischen Stimmen zum reflektierend-philosophischen Bildungsgespräch am Sonntagabend tauchten bereits während der Sendung in Gerald Hüthers Gästebuch auf.

     

    Die einen wollten mehr Diskussion, Zoff, Auseinandersetzung, statt eines ruhigen Austauschs, die anderen verlangten nach „dem Patent-Rezept“, das es so gar nicht geben kann.

     

    Was wollten die Zuschauer denn hören?

    Was wollten sie sehen?

     

    Was haben sie erwartet?

     

    Ein fertiges Konzept für eine bessere Schule?

    Hatten sie das erwartet?

     

    Ja?

    Na, dann waren sie wohl im falschen „Film“.

     

    Es gibt keine fertigen Konzepte.

     

    Es gibt keine fertigen Konzepte

    für eine „bessere Schule“ – so einfach ist das.

     

    Lernen geht über viele und sehr unterschiedliche Ebenen.

     

    Und zu allererst gilt es, die Rahmenbedingungen

    für das Lernen zu ändern, so dass aus den vielen „Dressuranstalten“ wahre Lernorte

    entstehen können.

     

    Der Bildungsbegriff an sich, und das wurde klar

    in der Sendung angesprochen, ist zu reflektieren, zu diskutieren und begreifbar zu machen.

     

    Bildung findet eben nicht, wie in der breiten Öffentlichkeitsmeinung wahrzunehmen ist, in der Schule statt.

     

    Und Bildung ist weit mehr als das,

    was man derzeit in den allermeisten Schulen,

    insbesondere der Regelschulen, finden kann.

     

    Und was finden wir in den meisten Schulen?

     

    Wissen, wir finden Wissen, abfragbares Wissen, wir finden das Anhäufen von Wissen, das Anhäufen von abfragbarem Wissen, und das hat meiner Meinung nach kaum mehr was mit Bildung zu tun.

     

    Bildung ist mehr!

     

    • Soziale Kompetenzen,

    • Wertebewusstsein,

    • Teamfähigkeit,

    • Flexibilität,

    • Empathie,

     

    um nur ein paar wenige Bausteine zu nennen,

    die einen Menschen zu einem gebildeten Menschen reifen lassen.

     

    Wissen und Verstand – ist das Bildung?

     

    Ein klares NEIN!

     

    Neben Wissen und Verstand, so steht es wunderbar

    in unserer Bayerischen Verfassung in Artikel 131,

    sollen Herz und Charakter gebildet werden.

     

    Und wie bildet man Herz und Charakter?

     

    Indem man den Schülern Lernstoff hineinpresst,

    der aller Wahrscheinlichkeit nach ein paar Tagen

    wieder aus dem Gedächtnis verschwunden ist?

     

    Wohl kaum …

     

    Verschwunden ist, weil der Lernstoff

    gar keine Zeit hatte, sich im Gehirn zu „verschalten“?

     

    Eine neue Lernform scheint einen Platz

    eingenommen zu haben.

     

    Bulimie-Lernen?

    Wie Herr Precht es in der Sendung benannte.

     

    Ess-Brechsucht-Lernen?

     

    In vielen Fällen scheint das in der Tat so zu sein.

    So zu sein, dass ein Lernstoff hineingefressen wird,

    hineingepresst wird – weit über den Sättigungsgrad hinaus, um dann, spätestens bei der nächsten Abfrage - oder der nächsten Stegreifaufgabe - oder der nächsten Klausur - wieder herausgewürgt zu werden.

     

    ACHTUNG!

     

    • Lernen braucht Zeit.

    • Lernen braucht Aufmerksamkeit.

    • Lernen braucht vor allem, und das scheint

    mittlerweile komplett in Vergessenheit

    geraten zu sein:

     

    Lernen braucht Begeisterung,

    wie Hirnforscher Gerald Hüther so anschaulich darstellt.

     

     

     

    Die Hirnforschung liefert seit vielen Jahren Informationen,wie Lernen funktioniert,

    wie Lernen gelingen kann.

     

    Und wer macht sich auf den Weg,

    all diese Informationen in der Praxis umzusetzen?

     

    Auf den Weg, all diese Informationen und Erkenntnisse unseren Kindern zugute kommen zu lassen?

     

    Ja, ich weiß, ja, ich kenne die Stimmen,

    die hier an dieser Stelle laut werden.

     

    Es sollen die Lehrer sein, die diese Erkenntnisse

    in ihre Unterrichtsmethoden einbauen.

     

    Welche Unterrichtsmethoden?

     

    Eben, da bin ich jetzt an einem entscheidenden Punkt angekommen, der zu allererst in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gelangen darf:

     

    Solange wir Kinder unterrichten,

    so lange werden wir auf keinen grünen Zweig kommen.

    Kinder sind keine Objekte.

    Ein wahres Lernen bedarf keines Unterrichtens.

     

    Oder kennen Sie ein Kind, das bspw.

    im Laufen-Lernen unterrichtet wurde?

    Oder gar im Erlernen der Muttersprache?

     

    Zumindest meine eigenen vier Kinder lernten

    das Laufen und Sprechen,ohne dass ich ihnen je eine einzige UNTERRICHTsstunde im Laufen und Sprechen angeboten hätte.

     

    Kinder sind von Natur aus neugierig, Kinder haben eine angeborene Entdeckerfreude, Kinder lernen, weil es ihnen – schlicht und einfach - Spaß macht.

     

    Sie lernen, weil sie bei jedem „Lern-Schritt“

    die Erfahrung machen, dass das, was sie da gerade neu gelernt haben, einen SINN und eine Bedeutung für ihr Leben – im ALLTAG – hat.

     

    Und sie lernen, weil sie jemanden,

    in der Regel die eigenen Eltern,

    um sich haben, die sich mit ihnen freuen.

     

    Mit ihnen freuen, weil es ihnen gelungen ist,

    etwas Neues zu lernen.

     

    Ja, und diese Freude löst in dem Gehirn

    unserer Kinder ein, wie Gerald Hüther so schön sagt, ein regelrechtes Feuerwerk, ein Neuronen-Feuerwerk aus.

     

    Und genau das braucht das Gehirn,

    um überhaupt neue Verschaltungen im Gehirn

    bilden zu können.

     

    So einfach ist das Lernen!

     

    Und wo bleibt das Neuronen-Feuerwerk

    in den Gehirnen unserer Kinder,

    sobald sie in der Schule sind?

     

    Wo bleibt die Begeisterung?

     

    Wo bleibt die so wohltuende Erfahrung,

    dass sich jemand mit ihnen darüber freut,

    etwas Neues gelernt zu haben?

     

    Wo bleibt sie, diese wohltuende Erfahrung?

     

    Kinder machen in der Regel ganz andere Erfahrungen in der Schule.

     

    Und wenn die Entwicklung in den Kindergärten und

    Kindertagesstätten weiter in dieser Form ihren Lauf nimmt, dann werden unsere Kinder möglicherweise bereits in den ersten Lebensjahren, noch bevor sie in die Schule kommen, dieses Neuronen-Feuerwerk der Vergangenheit angehören.

     

    In dieser ZDF-Sendung mit Herrn Precht und Herrn Hüther kamen viele dieser - von mir grade eben aufgeführten Punkte - zur Sprache.

     

    Und die Folge?

     

    Seit Tagen hagelt es Kritik in den Medien.

     

    Don’t worry!

     

    Do not worry about media reactions - they do not know better …

     

    Und die Kritik, die im Netz – und auch auf Gerald Hüthers Gästebuch nachzulesen ist, diese Kritik wird genau diejenigen, die auf seiner Wellenlänge sind, die so ähnlich denken und fühlen wie er, diese Kritik wird genau diejenigen animieren und motivieren - und mit ziemlicher Sicherheit

    weiter für dieses Thema „Bildung auf allen Eben“ sensibilisieren.

     

    Und damit kommt Bewegung in unsere Bildungslandschaft.

     

    Der ruhende See „Bildungslandschaft“

    ruht schon lange nicht mehr.

     

    Der ruhende See, der in Bewegung kommt,

    sobald ein frischer Wind die Oberfläche berührt.

     

    Der ruhende See, der in Bewegung kommt,

    sobald ein kleiner Stein die Oberfläche berührt - ganz sanft und leise.

     

    Die Oberfläche kommt in Bewegung - und

    zieht immer weitere Kreise.

     

     

    Ein frischer Wind

    und viele kleine Steine,

    die die Oberfläche unserer Bildungslandschaft

    in Bewegung bringen.

     

    Schritt für Schritt,

    ein Schritt nach dem anderen.

     

    Bildung kann gelingen, davon bin ich überzeugt.

    Sie kann gelingen, sofern wir Rahmenbedingungen schaffen, in denen sich alle Beteiligten:

    Schüler, Lehrer, Erzieher, Bildungspolitiker

    UND Eltern, wohlfühlen können.

     

    Ich freue mich, dass es Menschen gibt,

    die sich für BILDUNG engagieren.

     

    Und ich freue mich, dass Sie meinen Gedanken

    gefolgt sind – und bis zum Ende mitgelesen haben.

     

    Bildung kann gelingen.

    Bildung - im Sinne von Potential-ENTFALTUNG.

     

    Herzliche ♥ Grüße aus Bayern an alle,

    die sich im Großen oder Kleinen

    für wahre Bildung engagieren

     

    Manuela Engl

  • DD
    donald duck

    DAS ist Wissenschaft: Die beste Abiturientin Niedersachsens kommt von einer Gesamtschule. Daraus zieht unser Hirnforscher den kühnen Schluss - oder legt ihn zumindest nahe: Gesamtschulen for ever - sie sind toll und überhaupt die besten im System. Vielleicht liegt's aber am Zufall oder Glück gehabt oder massiv gefördert oder die Eltern... Noch schlimmer Pauschalisierungen wie "Die Hirnforschung..." - jede Wette, dass es innerhalb "der Hirnforschung" jede Menge WissenschaftlerInnen gibt, die das ganz anders sehen als Herr Hüther? Es fehlen bloß noch die Standard-Sprachflops wie "Wir wissen heute..." und "Lehrer müssen..." - und, wie einige hier schon zutreffend anmerkten: "Potenzialentfaltungscoach" (PECO) ist "voll der Loriot", ist ein echter Brüller und DER Vorschlag zum Unwort des Jahres. Was würde Herr Hüther sagen, wenn hier in der "taz" sagen wir mal 2-3 LehrInnen aus verschiedenen Schularten mal kurz und zackig "der Hirnforschung" die Meinung geigen würden? Zum Beispiel warte ich seit 30 Jahren darauf, dass "die Hirnforschung" endlich vorführt - en detail!!! -, wie aus elektrochemischen Signalen komplexe Bilder, Träume usw. werden. Und wo soll das enden? Sollen die LehrerInnen der Zukunft Geräte ("Brain-Scanner") haben, mit denen sie genau sehen können, was sich gerade im Gehirn der lieben JUHUgend abspielt - das wird doch weil niemand ernstlich wollen - allenfalls die Eltern aus der ORWELL-oder Philip K. DICK-Gruppe.

    Herr Hüther et al. möge seine Forschung vorantreiben, StudentInnen lehren - und uns in Ruhe lassen!

  • GB
    G. Bley

    Der Autor sollte Bildung und Schule nicht in eins setzen. Bildung ist viel umfassender.

    Die deutsche Halbtagsschule kann das nicht alleine leisten, nicht für jede einzelne Schüler/in und schon gar nicht ohne eine gute Vorschulausbildung der Kinder.

    Wie der Professor wissen könnte, ist Merkels Land in der OECD ganz hinten mit den Bildungsinvestitionen.

    Der „Potentialentfaltungscoach“ wirkt in diesem Zusammenhang eher wie die Forderung nach Loriots Jodeldiplom.

    Der zwanghaft hergestellte Gegensatz zwischen Wissen und „Potential“ oder „Kompetenz“ ist sinnlos. Man braucht beides.

    Ebenso der Gegensatz „Kreativ“ gegen „Pflichterfüller“.

    Wir brauchen beides - dieser Hype des Kreativen ignoriert, dass in vielen Bereichen auch einfach das gemacht werden muss, was dran ist oder verabredet. Wenn das Auto kreativ konstruiert ist, muss es ganz spießig so gebaut werden. Auch Ärzte sollten ganz langweilig wie gelernt die Leute behandeln.

    Immer spalten, immer Gegensätze hochjazzen - hier klingt das Interview einfach unreif und billig.

    Als noch unterrichtender Berufsschullehrer (auch Mathe) finde ich diese Aussagen in ihrer Gesamtheit und Allgemeinheit beleidigend. Schule ist ein Faktor von vielen. Matheförderung beginnt im Elternhaus und in der Kita – oder in unserer Gesellschaft eben nicht. Wieso gibt es zuwenig MINT-(Mathe, Informatik, Naturwiss. - Technik)-Interesse?

    Welche Kita, welche Eltern fördern das denn? Welche Grundschule hat Fachleute dafür?

    Und ich bin schlecht als Mathe-Lehrer, wenn die Leute nicht vor Begeisterung quietschen?

    Natürlich sind alle Schulen verschieden, alle Bundesländer und auch noch alle Lehrkräfte.

    Da hülfe Statistik, um sinnvolle Aussagen zu machen. Das ist dem Professor wohl zu viel Arbeit gewesen. Also Besuch bei der Kanzlerin und dann Allgemeinplätze.

    Natürlich gibt es schlechte Lehrkräfte oder gar Mathe-Lehrerinnen. Typisch Merkel-deutsch ist es aber, monokausal mit populistischen Versatzstücken die knappen Lehrkräfte von 30 oder 32-Leute-Klassen – die auch oft gar nicht kommen – für ein gesamtgesellschaftliches Problem haftbar zu machen.

     

    Problem 1: Unser Bildungssystem ist unterfinanziert – daher volle Klassen und Halbtag. Das geht auf Merkel und die Politik. Da sollte doch mal mehr investiert werden? Egal. Wir nehmen Prof. Hüther, lassen ihn kühn herumtexten und sparen die Investitionen.

    Die Initiative hat scheinbar das Thema Investitionen ausgespart. Selbstausbeutung der Beteiligten findet die Kanzlerin sowieso besser. Nur die MINT-Lehrkräfte bekommen Sie so nicht mehr. Die können, wenn sie was können, nämlich auch woanders.

     

    Problem 2: Bildung wird als alleinige Sache der Lehrkräfte gesehen – stimmt nach allen Schulgesetzen, die ich kenne, nicht. Da sind nach Art 6 GG die Eltern immer mit im Boot – zu gleichen Teilen! Auf unseren Elterabenden am Gymmi kommen auch die Professoren – und danach wissen sie auch, wo die Probleme wirklich sind.

    Durchaus nachahmenswert.

     

    Der Zusammenbruch unseres Noch-Schulsystems ist ein anderer – Lehrermangel besonders bei den MINT-Fächern, Überarbeitung – ja, die Behinderten schafft die Lehrperson unter 30 anderen Normalschwierigen ja auch noch bis zum Abi! – und Privatschulen für die Normaleltern, die einfach eine realistische Ausbildung für die Kinder wollen – und dabei mitarbeiten, wie es das Grundgesetz vorsieht.

    Wie wäre es zur Abwechslung mal mit einem Interview mit einer Fachkraft von der GEW?

    Ist ja nur eine Frage.

  • C
    Carsten

    Interessant ist, dass einerseits das Bild des Lehrers in der Gesellschaft immer besser wird, weil die Menschen endlich erkennen, dass es eben KEIN "gut bezahlter Halbtagsjob" sondern eine (allerdings freiwillig gewählte) Knochenarbeit ist.

    Jeder darf Lehrer werden, keinem ist das verboten. Aber die, die es sind, sollten wissen, worauf sie sich eingelassen haben.

    Andererseits scheinen sich aber plötzlich die pädagogischen Wissenschaftler auf die Lehrer als Buhmänner einzuschießen - und das obwohl sie von der alltäglichen Praxis und dem engen bürokratischen Korsett, in denen Lehrer gefangen sind, meist keine Ahnung haben. Ob diese Wissenschaftler wohl vom eigenen Versagen, endlich praktikable neue Konzepte zu entwickeln, ablenken möchten?

  • M
    @Mirabel (Lehrerin?)

    "Wenn das Kind mit 6, 7 Jahren in die Schule kommt, erst recht aber mit 10, 11 beim Übergang zur weiterführenden Schule, können die Lehrer nur mit der Lust zum Lernen arbeiten, die noch vorhanden ist"

     

    Da spricht wohl ein/e Lehrer/in, oder?

     

    Ich behaupte mal, dass meine Kinder eine Mutter hatten und haben, die den Kindern "durch Vorleben und Miteinander-Lernen" und v.a. durch die entsprechende Umgebung, Materialien, Zeit und Freiraum die Lust an Forschen und Wissen vermittelt hat.

     

    Dann kam die konventionelle Grundschule und schließlich das Gymnasium. Während der Grundschulzeit ging der Spaß und die Neugier am Lernen über in ein "das muss ich so und so machen und lernen, damit ich eine gute Note bekomme".

    Ich kann mich nicht beklagen, meine Kinder kommen sehr gut mit in den bisherigen, "normalen" Schulen, aber auch bei meinen Kindern ist die Schule einfach nur noch Schule und diese dominiert eigentlich den ganzen Tag. Meine Kinder sind ganz "normale" Teenager und entdecken langsam mit den anderen, dass es mehr Spaß macht, den Unterricht bzw. den Lehrer/die Lehrerin irgendwie abzulenken. Schule ist halt "doof".

    Wie gesagt, meine Kinder hatten eine von Ihnen gewünschte Mutter und sie sind auch immer noch gut in der Schule. Aber sie haben in den vergangenen 5 bis 7 Schuljahren einfach erfahren, was Schule in Deutschland bedeutet und lernen dort auch, wie man als Schüler/Schülerin mit der Situation am besten umgeht: Kein Bock haben (zumindest so tun), kein Interesse, lieber mit den anderen rumhängen. Auch das finde ich in diesem Alter und bei diesem Schulsystem völlig normal und verständlich. Wir haben es nicht anders gemacht. Aber soll das immer so bleiben?

     

    Sind meine Kinder aber in den Ferien mit anderen Kinder- und Jugendgruppen mit Trägern der freien Jugendhilfe unterwegs, lernen sie auch und haben gemeinsam viel Spaß. Das ist dann zwar nicht analytische Mathematik, aber vieles andere auch sehr wichtige, wie z.B. demokratische Strukturen und selbstbestimmtes Lernen mit Spaß.

     

    Ich kann nicht sagen, ob wirklich alle Kinder und Jugendlichen mit einer anderen Lernkultur und entsprechender Umstrukturierung der Schulen zu erreichen wären, aber ich bin mir sicher, dass es mehr wären als zurzeit und dass die Kinder die Schule als einen interessanten und Spaß bringenden Ort einstufen würden.

     

    P.S.: Auch meine Kinder würden sicher gern das Benoten zur Orientierung beibehalten wollen. Noten aber zur Einstufung ihrer Blödheit, wie manche Lehrer/innen das Benoten nutzen und auch aussprechen, bemängeln sie jetzt schon, obwohl sie außer dem Kindergarten kein anderes Lernsystem kennen gelernt haben.

     

    P.P.S.: Die Eltern dieser Kinder haben trotz Abitur erst nach der Schulzeit angefangen, sich ihre Lernbegeisterung und ihre Lernmotivation selbst neu zu erfahren und zu erarbeiten. Ich hätte allerdings gerne schon früher dafür die Zeit und den Raum gehabt. Aber da musste ich zur Schule...

     

    P.P.P.S.: Wann sollen unsere Kinder das machen, wenn direkt nach dem Abi mit 18 "planmäßig" der verschulte Bachelor mit anschließendem, verschulten möglichen Masterabschluss kommt? Mit 23 Jahren, wenn sie mit den sog. Studium bereits fertig und dann arbeistlos sind???

  • CO
    c. omosigho

    Herr Hüther spricht mir aus der Seele. In Kindergärten, in denen nach diesen Erkenntnissen gearbeitet wird, bestätigt sich alles hier geschriebene und in der Schule wird dann alles wieder zurückgeschraubt auf alte Bildungsstandards. Natürlich sind da nicht nur die Lehrer schuld aber auch hier braucht es Mut zum Umdenken.

  • G
    Georgius

    Leider sind die Zusammenhänge komplizierter, als von Herrn Hüther dargestellt. Er geht von einem idealisierten Schülerbild aus. Er beleuchtet nicht den Einfluss von Familie und Gesellschaft auf Bildung. Dies sind aber die größten Fehler, die alle neueren pädagogischen Konzepte machen. In vielen Familien besonders der so genannten bildungsfernen Schichten, sind keine Bücher zu finden. Gelesen werden nur SMS und e-mails. Das Textverständnis dieser Kinder sinkt kontinuierlich. Daran ist nicht die Schule schuld, sondern Familie und Gesellschaft, die dies vorleben. So greifen auch heute schon viele Schulbücher die vereinfachte bildhafte Darstellung von Zusammenhängen auf. Das genügt aber zum selbst erarbeiten oft nicht. Da beißt sich die Katze in den Schwanz und diesen Mangel werden auch die neuen Potenzialentfaltungscoaches nicht beheben können. Außerdem kann ich nur hoffen, dass ein Studiengang, der zu so einer schrecklichen Berufsbezeichnung führt, nie eingerichtet wird. Darüber hinaus hat der Neurobiologe Hüther eine völlig falsche Vorstellung von Zeiträumen. In den nächsten zehn Jahren wird sich das deutsche Bildungssystem nicht grundlegend ändern. Wenn andere reformpädagogische Konzepte dies in den letzten hundert Jahren nicht geschafft haben, wird es Hüther auch nicht schaffen. Im Zweifel scheitert das Ganze an der Bildungshoheit der Länder. Was mich aber richtig ärgert ist, dass nicht auf die Probleme des Lehrenden, oder nach Hüther des "Potential entwickelnden", eingegangen wird. Ich will diese Aussage an einem kleinen Beispiel erklären. Die seit jahrzehnten existierende Montessori-Pädagogik wird ähnlich dem Hüther- Konzept durchgeführt. In einer großen Montessori-Grundschule in Köln finden sich kaum Lehrerinnen und Lehrer, die über vierzig sind. Die Kolleginnen und Kollegen sind nur für ihre Schule tätig, haben kaum freie Zeit(ja,ja die faulen Lehrer). Nach zehn bis fünfzehnjähriger Tätigkeit sind sie ausgebrannt. Seit einiger Zeit hat es auch die Direktorin erwischt; sie ist dauerhaft erkrankt. Was ich damit sagen will ist dieses, wenn man solche pädagogischen Konzepte umsetzen will, braucht man zunächst viel mehr Personal, wenn das Vorhandene sich nicht total verschleissen soll. In Zeiten der Schuldenbremse wird dies auf keinen Fall geschehen.

  • R
    RoseKreuzberg

    Dass Testen, Messen, Punkte zählen ... in den Schulen vielen Schülerinnen, Schülern UND den Lehrkräften die Lust am gemeinsamen Schule machen, verleiden, sehe ich auch so!

    Ich wünsche mir auch viel mehr Zeit, um die Stärken und Fähigkeiten von Kindern und Jugendlichen mit ihnen gemeinsam herauszufinden... aber : das Wort Potenzialentfaltungscoach schlage ich schon mal als Unwort des Jahres vor! Da ist Herr Rüther typisch deutsch... Mir fallen jetzt schon ein paar Witze ein mit Potenzialentfaltungscoach... Auch ein Fall für die Karikaturistin Marie Marcks und fürs Kabarett!

  • MA
    Maria Anna Röttger

    Unser Schulsystem muss sich ändern!

    Im Interesse ALLER Beteiligten: "Packen wir es an!"

     

    Besondere Anerkennung verdient Herr Hüther, der die Dinge hier unmissverständlich auf den Punkt gebracht hat! Vielen Dank.

  • H
    Hansi

    Ich kann D. Mutz nur zustimmen.

    Sowohl Hüther als auch Precht sind in meinen Augen polemische Schaumschläger, die sich mit Hilfe extremer Effekthascherei in Szene setzen wollen.

    Gerade Precht hätte mal ein vernünftiges Studienfach wählen sollen. In jedem Mathe/Physik Studium sind Leute mit einer solchen Lerneinstellung

    schlicht zum Untergang verdammt. Ich habe genug Erfahrung in effektivem Lernen und kann davon ein Lied singen. Natürlich könnte ich auch einfach

    Kunstgeschichte/Philosophie/Pädagogik, etc. studieren und fast ohne Lernen durchkommen, aber in jedem mathematisch/naturwissenschaftlichen Fach hat

    man sich damit geschnitten. Lernen ist natürlich nur mit Begeisterung möglich, aber die Tatsache Begeisterung für ein von mir selbst gewähltes Fach

    zu haben ist für mich nicht der rede Wert, sondern einfach selbstverständlich. Ich spreche hier nicht von Auswendiglernen, was ich ebenfalls für nicht

    besonders geistreich halte und auch an keiner Schule in den geschilderten Ausmaßen tun musste, sondern vom Schulen des (logischen/analytischen) Denkvermögens.

    Dies ist nun mal nur durch Training möglich und ja es Funktioniert genau wie das Training eines Muskels. Lernen ist geistige Anstrengung und

    erzeugt im Extremfall geistigen Schmerz, den man aber auf sich nehmen muss um seine Ziele (nämlich das Verständnis des Faches für das man sich begeistert)

    zu erreichen.

    Jeder der solche Sprüche wie "Lernen macht dumm" von sich gibt, der hat noch nie richtig gelernt.

    Am effektivsten lernt man wenn man dazu gezwungen ist (China soll hier mal als Beispiel herhalten), was natürlich weder menschlich noch angenehm ist,

    aber ich zwinge mich dennoch selbst dazu, weil ich den Lernstoff verstehen will. Effektiver habe ich noch nie zuvor gelernt! Wenn ich dann solch einen

    Schwachsinn wie eingliedriges Schulsystem und gemeinsames Gruppenlernen höre, bekomme ich schon was zu viel. Das kenne ich auch zu Genüge aus meiner

    Schulzeit und solche Ideen kommen von eben solchen Schaumschlägern, die als Berater im Ministerium ihren Unfug verzapfen.

    Gruppenarbeit: 5 Schüler, einer kann es, woraus folgt: Er lernt nichts neues mehr, da ihn der an den Durchschnitt angepasste Lernstoff bereist langweilt.

    Die restlichen Vier freuen sich darüber nichts mehr machen zu müssen, da sie ohnehin keine Lust auf Lernen haben. Die eintönige Fleißarbeit bleibt

    schließlich an den Guten hängen. Deshalb: Selektion! Wir brauchen genau diese Erbsensortieranlage, um den Stoff auf die Lernenden anzupassen.

    Man muss immer den Lernstoff lernen, der einen fast überfordert, aber dennoch mit anstrengung zu verstehen ist. Hat man ihn verstanden und erlebt

    sein Erfolgserlebnis, dann sucht man sich etwas schwierigeres! Das ist effektives Lernen! Nicht der Lehrer kann für die Schüler lernen, sondern die Schüler

    müssen für sich lernen. Der Lehrer muss prinzipiell nur die Anforderungen vermitteln und anleiten was gelernt werden soll und Tipps geben wie man lernt.

    Lernen kann man am besten alleine! Wenn man etwas erklärt und vorgerechnet bekommt, dann versteht man es fast immer, aber davon kann man es noch lange nicht.

    Erst wenn man es ohne Hilfsmittel alleine lösen kann, hat man etwas wirlkich verstanden. Daher üben, üben, üben!

    Viele wollen das nicht hören, aber so ist es nun mal. Manche Schüler sind einfach zu faul (auch das kenne ich von mir selbst).

    Diese Schüler müssen sich selbst zum Lernen zwingen! Manche können nur schlecht analytisch denken.

    Diese Schüler sollen einfach eine andere Schluform (handwerkliche Ausbildung, etc.) wählen und ein Beruf der ihnen liegt ausüben.

    Man braucht nicht nur Akademiker, sondern auch Arbeiter! Das klingt hart, aber so ist die Realität.

    Wir brauchen Noten und Selektion, sonst ist ein Abschluss eben nichts mehr wert.

    Wer das anders sieht, kann auf die Waldorfschule gehen. Schulen sollen qualitativ hochwertig ausgebildete Kräfte liefern,

    die in der Wirtschaft gebraucht werden.

    Wer rausfliegt und es nicht schafft, wird Arbeiter oder Angestellter.

    Wenn es jemand nicht schafft, dann ist er entweder stärker in handwerklichen Tätigkeiten interessiert oder zu faul.

    Es sind jedenfalls nicht die Lehrer, die an allem Schuld sind. Ich höre auch immer den Spruch: "Der Lehrer hat es erklärt,

    keiner hat es verstanden, also sind wir dumm." Damit ist man dann schnell fertig und muss nichts mehr tun. Ich entgegne darauf:

    "Warum setzt ihr euch dann nicht zu Hause hin und lest die Erklärung des Lehrers erneut durch (Mitschreiben) und rechnet die Aufgabe

    anschließend so lange, bis ihr sie selbstständig lösen könnt und verstanden habt." Das könnte ja Arbeit machen, soll aber helfen!

    Mein Fazit: Wir brauchen Leistung und Selektion und wir brauchen mehr Eigenverantwortlichkeit. Die Schüler müssen den Stoff verstehen wollen

    und bereit sein Opfer dafür zu bringen. Wer das nicht einsieht ist selbst schuld!

  • KK
    Kein Kunde

    So wie manchesmal über angeblich unnützen Bildungsbalast gesprochen wird frage ich mich ernsthaft was Schule denn leisten soll?

     

    Den Kindern bei bringen wie gegooglet wird? Damit ja kein Wissen so in den Kopf kommt?

    Damit es immer erst einer extrinsischen Motivation bedarf um Wissen (dann wohl über Google und Wikipedia) abzufragen?

     

    Ich mag ja persönlich die Variante, bei der man Wissen bekommt, im Übermaß, und damit raus darf die Welt entdecken.

     

    Dann braucht es auch nicht mehr die Noten als Lernmotivation.

  • MO
    M. Oellrich-Wagner

    Wie ich den ersten Kritiken entnehme, hat Hüther sich nicht gerade beliebt gemacht. Um so mehr schätze ich als ehemalige Hauptschullehrerin seine sachkundige Stellungnahme und seine Initiative für das neue Denken und Handeln zum Thema "Lernen". Allen Skeptikern empfehle ich, auszuprobieren, mit welcher Energie Schüler/innen begabt sind, wenn sie im Rahmen ihrer Gruppe als selbstständige, selbstverantwortliche Menschen wahrgenommen werden und sich durch kompetente Unterstützung auch ernsthaft als solche empfinden. Diese Lernwelt ist dann erfolgreich, wenn sie nicht mit laissez-faire verwechselt wird und Mitverantwortung für die Lerngruppe als unverzichtbar gilt.

    Durch überholte Richtlinien und Schulstrukturen und die Vorbilder der eigenen Schulkarriere ist das alte Denken und Handeln im Schulsystem so schwer aus den alten Ecken zu fegen. Aber es ist wieder einen Versuch wert. Und ich würde mich freuen, wenn Hüthers Stimme von möglichst vielen Schulen gehört und ernst genommen würde, damit sie sich Unterstützung von der Initiative "schule-im-aufbruch.de" holen können.

  • A
    aleister

    Absolute Zustimmung! Vielen Dank für dieses Interview und die klaren Worte. Ich bin sehr erleichtert, daß es doch noch Menschen gibt, die die richtigen Schlußfolgerungen ziehen und den Mut haben, gegen den derzeitigen Moloch "Schulsystem" anzugehen. Ein schwerfälliges Monster aus längst vergangenen Zeiten, wie richtig bemerkt wurde, das sich eine moderne und am "Erfolg" orientierte Gesellschaft bei knappen Kassen nicht mehr leisten sollte. Wenn man an all die vergeudeten Potentiale der vergangenen Jahrzehnte denkt, an all die verschwendete Lebenszeit, in der man sich sinnvoll mit den Kindern hätte beschäftigen können, dann könnte man wütend werden. Wie oft hat man sich als Kind frühst aus den Federn gequält, um dann verschlafen irgendwelchen Kram auswendig zu lernen, den man nie wieder brauchte, als in der Schule um benotet zu werden. Vergeudung. Und erschreckend, daß sich seit meiner Schulzeit am System Bildung im Grunde so wenig geändert hat... Endlich alles auf den Prüfstand damit. Ein neuer Rahmen, neue Anreize und Lehrer, denen Ihr Beruf wieder Spaß machen kann...

  • J
    Jengre

    "China ist eben China und nicht Deutschland. Man denkt dort eben anders über Leistung und Freizeit." -Und über Menschenrechte. Wenn für einen Staat die Meinungsfreiheit von Herrn Bleher einen anderen Stellenwert hat als für ihn und mich, findet er das sicher auch in Ordnung. Finde ich super entspannt von ihm.

  • D
    D.Mutz

    Hüther ist ein Schwätzer, wenn der mal selbst 5 Jahre in einer hauptschule unterrichten würde, wüsste er gar nicht mehr wohin mit seinem Potenzialentfaltungscoach.

    Mathematik ist oberhalb der Primarstufen ein abstraktes Fach und ich selbst kenne genug Schüler, die schlichtweg nicht das Potential haben manche Abstrakte gegebenheiten zu verstehen, mal ganz unabhängig von Vorerfahung und Lernblockaden. Es sind Dinge die nicht mal einer noch so winzigen didaktisch, methodischen Worgehensweise bedürften. Da wird sich jeder Lehrer und jeder PEC (Potenzialentf....) die Zähne ausbeissen. Dazu kommen Schüler, die zu keinem Fach einen Antrieb mitbringen.

     

    Natürlich gib es Schüler, die nach Hüthers Ideen gut arbeiten und es zu Ihnen passt. Ich selbst arbeite in einer solchen Schule und sehe dass 2/3 nicht mit diesem System kompatibel sind. Ich kenne nicht nur die marketingrelevanten Argumente und Schaumschlägereien dieser pädagogischen Bewegung sondern vor allem auch die Ergebnisse und die negativen Aspekte, die keiner ausspricht.

  • M
    Mirabel

    Und wieder sind die Lehrer die Buhmänner, gähn... Warum kommt man in einem Land, in dem die Bildungschancen eines Kindes stärker als anderswo vom Bildungsgrad der Eltern, besonders der Mutter, abhängig sind, noch immer nicht auf die Idee, dass es eben die Eltern sind, welche Kindern durch Vorleben und Miteinander-Lernen die Lust am Wissen vermitteln oder austreiben, und zwar bereits in der frühen Kindheit? Wenn das Kind mit 6, 7 Jahren in die Schule kommt, erst recht aber mit 10, 11 beim Übergang zur weiterführenden Schule, können die Lehrer nur mit der Lust zum Lernen arbeiten, die noch vorhanden ist - und die leider allzu oft nicht ausreicht. Bewusste Zusammenarbeit statt kleinkriegerisches Gegeneinander von Elternhäusern und Schulen wäre vielleicht mal einen Versuch wert.