Hiphop-Serie im ZDF: Die Welt hier unten
"Wholetrain" handelt von Schönheit und Scheitern des Versuchs, aus engen Verhältnissen auszubrechen. Der Film über vier Jungs, die Graffiti sprühen, eröffnet die Hiphop-Reihe im ZDF.
Es ist sehr schwer, in einem Film über Jugendkulturen den richtigen Ton zu treffen. Ganz grundsätzlich. Wer immer es versucht, hat dieses Problem. Jugendsprachen sind flüchtig, wer immer sie nachzubauen versucht, setzt sich der Gefahr der Lächerlichkeit aus. Zumal in deutschen Filmen, deren Stärken, wenn sie denn welche haben, nur äußerst selten in ihren Dialogen liegen.
Dass Florian Gaag, der Regisseur und Drehbuchautor des Films "Wholetrain", der in der Graffiti-Szene spielt, den richtigen Ton getroffen hat, liegt vielleicht daran, dass er selbst einmal Teil dieser Szene war. Dabei reden die Protagonisten nicht einmal übermäßig viel. Aber in den sich ewig wiederholenden "Alter, was ist mit dir los, Mann?"-Sequenzen treffen Gaag und seine Schauspieler ganz wunderbar diesen Ton postpubertärer Übermännlichkeit, der Hiphop, dieses große Selbstbehauptungsdrama des heterosexuellen Unterschichtmannes, von jeher prägt.
"Wholetrain" ist Teil einer Serie von Spielfilmen und Dokumentationen, die sich mit Hiphop beschäftigen und die das ZDF zeigen wird. Er lief vor zwei Jahren schon einmal in ein paar deutschen Kinos.
Die Geschichte des Films ist rasch erzählt. Da gibt es eine Graffitiwriter-Crew, bestehend aus vier in ihrem Restleben relativ orientierungslosen Jugendlichen, die Ärger mit einer anderen Crew haben. Irgendjemand hat ein Piece des anderen übermalt, ein Zeichen groben Disrespects - und nun versuchen sie sich gegenseitig zu übertrumpfen. Jede Nacht ziehen sie los, brechen in S-Bahn-Depots ein und versuchen, Züge zu bemalen. Ziel: einen "Wholetrain" zu machen, also einen Zug komplett mit Graffiti zu bedecken. Natürlich geht das nicht gut.
Das ist die Geschichte, und wie in jedem guten Film geht es eigentlich um etwas anderes. Etwa um die alte Erzählung von Schönheit und Scheitern von Leuten, die Kunst als Weg aus den beengten Verhältnissen sehen, in denen sie leben. Der eine arbeitet im Dönerladen seines Vaters, der Zweite räumt im Kino Müll weg, der Dritte geht zur Schule, und David, Chef der Gang, wird wegen der Sprüherei zu einer hohen Geld- und Bewährungsstrafe verurteilt. Er weiß weder davor noch danach mit seinem Leben etwas anderes anzufangen als das, was er eben am besten kann: Graffiti sprühen.
Diese Verhältnisse sind ja nicht nur im übertragenen Sinn beengt, sondern ganz real. Wunderbar, wie sich die vier immer wieder durch die grandiose Tristesse der endlosen Korridore der U-Bahn-Stationen bewegen. Ihre ewigen Scharmützel mit den Bahnsteigpolizisten austragen. Wie sie um Territorium und Anerkennung kämpfen. Manchmal denkt man sich: Mann, geht doch mal an die Luft, da laufen auch keine Polizisten herum, die euch erkennen. Aber genau davon handelt dieser Film: dass dieser Gedanke in den Köpfen seiner Protagonisten nicht vorgesehen ist. Dass sie den beengten Verhältnissen eben nicht entkommen, sondern sie nur immer neu vermessen und markieren. Am Ende lässt David, der begabteste der Sprüher, den Termin mit dem Kunstprofessor platzen, um weiter zu sprühen.
Was den Weg in die Welt findet, und auch da ist der Film gut konstruiert, ist die Kunst, nicht die Künstler. Die bemalten Wagen jedenfalls sieht man in langen beeindruckenden Einstellungen durch die Stadt fahren.
"Wholetrain" läuft am 6.10. um 0.25 Uhr im ZDF. Weitere Filme der Reihe "Hip Hop Don't Stop!" sind: 13.10., 0.40 Uhr: "Wild Style". 20.10., 0 Uhr: "Here we come". 27.10., ab 0 Uhr: "Love, Beat and Beatbox", "Lost in Music - Hip Hop Hooray"
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin