"Hiob" auf der Bühne: Missglücktes Zusammenleben
Der künftige Intendant der Münchener Kammerspiele, Johan Simons, hat Joseph Roth wohl berühmtesten Roman "Hiob" neu inszeniert. Das Publikum gab schon mal Vorschusslorbeeren aus.
Der künftige Intendant der Münchner Kammerspiele bringt Joseph Roths Roman "Hiob" auf die Bühne, und Bert Neumann, der Berliner Bühnenbildner, hat ihm dafür ein altertümliches Kinderkarussell hingestellt. Eine Chiffre soll das sein, für das ewige Exil der Juden wie für das Leben überhaupt. "Birth", "Love" und "Death" geben am Haupt des Karussells die Richtung an - in großen verschnörkelten Lettern wie an einer billigen Saloontür-Attrappe.
Los geht es mit der Geburt des Epileptikers Menuchim, dessen Zuckungen Sylvana Krappatsch mit wenig Schonung für sich selbst in den Bühnenboden hämmert. Später geht die mit Unglück durchtränkte Geschichte im Niemandsland zwischen "Liebe" und "Tod" weiter und gerät erst ganz zum Schluss richtig in Bewegung. Zwei Söhne des frommen jüdischen Dorflehrers Mendel Singer sind bereits im Krieg geblieben, die Tochter ist im Irrenhaus, die Frau vor Kummer gestorben, da besucht ihn das einstige Sorgenkind Menuchim - und ist ein großer Komponist geworden.
Roth setzte an das Ende seines berühmtesten Romans ein ausgewachsenes Wunder, obwohl Mendel, anders als der biblische Hiob, seinen grausamen Gott mit Lästerungen straft und spät die Menschen und das Leben schätzen lernt. "Ich will die Welt begrüßen", sind André Jungs letzte Worte als Mendel Singer. Da bewegt sich das Lebenskarussell erstmals aus eigener Kraft, und die bunten Stoffe, die es umschließen, sehen im gespenstischen Licht fast wie die verwaisten Kleider der späteren KZ-Opfer aus. 1930 hat Roth seinen berühmtesten Roman geschrieben, und wie Johan Simons ihm das Happy End weder nimmt noch lässt, gehört zu den wenigen rundweg gelungenen Momenten einer klug angelegten Inszenierung. Ein anderer ist Hildegard Schmahls Gesicht, die als Mendels Frau Deborah ihre mannstolle Tochter Mirjam zugleich tadeln wie beneiden muss: Da fließen Sehnsucht, Schmerz und die Trauer um ein verschenktes Leben ineinander, leuchten kurz gemeinsam auf und hinterlassen eine Wüste.
Fort aus dem Schtetl Zuchnow müssen die Singers, weil die Tochter mit einem Kosaken geht. Fort aus dem Schtetl Zuchnow musste der älteste Sohn, weil der Zar Soldaten brauchte. Seinen Bruder Schemarjah hat die Mutter nach Amerika bringen lassen, wo er als Sam zu Geld gekommen ist. Und deshalb geht jetzt auch die Familie in die Neue Welt. Alle, bis auf Menuchim, obwohl der Rabbi der Mutter dessen späte Genesung verheißen hat - wenn sie ihn bloß nie verlässt. Und so beginnt das Unglück der Singers, deren karges Leben bislang nur traurig war. Das Unglück beginnt an den Kammerspielen wiederum mit dem Karussell, das plötzlich wie das leibhaftige Las Vegas blinkt und leuchtet. Nur Mendel Singer verliert allein dort oben vor seiner Familie und seinem Glauben zunächst einmal das Gleichgewicht. Die glitzernde Falschheit des amerikanischen Traumes hat Roth bereits minutiös analysiert.
Simons Bühnenversion bleibt hier eng am Roman, an anderen Stellen übertrifft sie ihn noch an Grausamkeit. Was Roth in Prosapassagen packen konnte, wandert in der Bearbeitung von Koen Tachelet komplett in die Dialoge: "Ich werde die Mädchen schwängern", sagt Jonas dem Vater, "ich liebe alle Männer", Mirjam der Mutter ins Gesicht. Und Vater und Mutter Singer selbst beschließen ihre totale Entfremdung mit drei, vier nüchternen Sätzen.
Diese scheinbare Offenheit zwischen den Familienmitgliedern addiert sich mit einigen neu hinzugekommenen zwischenmenschlichen Ausfällen zum Panorama eines total missglückten Zusammenlebens. Das Scheitern als Vater und Ehemann rückt ins Zentrum von Mendels Unglück, und André Jung bringt das Kunststück fertig, dies zu spielen und dabei weiter liebenswert zu wirken. Einiges aber mutet wenig plausibel und seltsam ungelenk an an diesem Abend, den man so gerne ebenso vorbehaltlos gelungen finden würde wie etwa Johan Simons Bühnenversion von Houellebecqs "Elementarteilchen". "Hiob" wäre jedoch nicht die erste Regiearbeit des sympatischen Niederländers, die mit der Zeit präziser und stimmiger würde. Premierenabende zeichnen bei diesem Regisseur fast immer ein falsches Bild. Das Münchner Publikum jedenfalls gab schon mal Vorschusslorbeeren aus und scheint Frank Baumbauers Nachfolger ab 2010 herzlich willkommen zu heißen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!