■ Hinterbank: Phantom-Richtlinie
„Fassen Sie sich kurz!“ drängte Ursula Birghan (CDU), Vorsitzende des Bauausschusses im Abgeordnetenhaus, am Mittwoch abend, bevor sie als nächsten Punkt die Förderung baulicher Selbsthilfeprojekte aufrief. Noch fünf Minuten bis zum geplanten Sitzungsende. Seit über zwei Jahren wird eine Neufassung der Selbsthilfeförderung diskutiert. Einziges Ergebnis bisher: Die alte Richtlinie lief zum Jahresende aus, eine Förderung ist derzeit nicht möglich. Eile ist folglich geboten, dachte die Große Koalition und beschloß ohne weitere Diskussion, „die seit Sommer 1994 vorliegenden neuen Richtlinien bis zum 30. April umzusetzen“.
So weit, so gut, wären da nicht die irritierten Gesichter in den Zuschauerreihen. Weder die Sanierungsträger noch die Selbsthelfer konnten sagen, welche Richtlinie gemeint sein soll. Auch ein kundiger Mitarbeiter der Senatsbauverwaltung zuckte mit den Schultern: „Kenne ich nicht.“ In der Tat: Die von den Volksvertretern beschlossene Richtlinie existitiert überhaupt nicht. 1994 gab es allenfalls einen Entwurf zur Neufassung. Letztes Jahr blieb ein neuer Versuch im Berliner Finanzloch stecken. Die neueste Überarbeitung kursiert bisher noch so intern, daß sie kaum jemand kennt. Offensichtlich auch die Bauausschußmitglieder nicht. Sie liegt höchstens seit einer Woche vor und nicht schon seit Sommer 1994.
Barbara Osterheld (Bündnisgrüne) hatte gebeten, daß die gemeinte Richtlinie wenigstens kurz vorgestellt werde. Aber die Großkoalitionäre sahen keinen Bedarf. Sie wollten auch nicht dem Antrag der Grünen zustimmen, die alte Förderung wiederaufzunehmen. „Die alte Richtlinie verlängern und in zwei Wochen die neue einführen? Das wäre Unsinn“, meinte Fritz Niedergesäß (CDU).
Da ist es wohl sinnvoller, eine Phantom-Richtlinie zu verabschieden. Walter Fox
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