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KRISE IN DER TÜRKEI: DIE EU MUSS DIE CHANCE FÜR KLARE ANGEBOTE NUTZENHinter Ecevit warten die Europäer

In der türkischen Regierung stehen die Zeichen jetzt endgültig auf Wechsel. Doch hinter dem gequälten Abschied von Premierminister Ecevit aus der Politik steht eine größere Fragestellung, mit der sich die türkische Gesellschaft seit der Ernennung zum offiziellen Beitrittskandidaten durch die EU kontrovers beschäftigt.

Europa wurde in der Türkei immer gleichgesetzt mit einem Zivilisationsprojekt, das von Staatsgründer Atatürk mit autoritären Mitteln eingeleitet wurde. Solange sie vor der Tür stand und keine Perspektive auf Einlass hatte, gab es keine ernsthaften Diskussionen über die Bedingungen einer Mitgliedschaft. Europa wurde als Paradies ökonomischer Möglichkeiten idealisiert. Vom Paradies ist inzwischen nur der berühmte Apfel übrig, und man streitet darüber, ob man hineinbeißen sollte oder nicht.

Die türkische Gesellschaft ist gespalten: Eine Mehrheit, etwa zwei Drittel, sind der Ansicht, dass es keine Alternative zu einer EU-Mitgliedschaft gibt. Sie sind bereit, dafür auf den ausgeprägten Nationalismus des türkischen Staates zu verzichten. Im Gegenzug erhoffen sie sich politische und ökonomische Stabilität, den Aufbau einer zivilen Gesellschaft, eine effektive Bekämpfung der Korruption. Nachdem auch die islamisch motivierten Parteien zu Anhängern des Europaprojekts geworden sind, werden seine Gegner nur noch von der rechtsgerichteten MHP politisch repräsentiert. Sie wollen den starken Staat nicht aufgeben. Sie stehen zwar auf verlorenem Posten, hatten aber bis vor kurzem in Ministerpräsident Ecevit einen geheimen Verbündeten. Er ließ sie gewähren und duldete die Blockade der notwendigen Reformen durch seinen Koalitionspartner MHP. Dieses taktische Spiel geht nun zu Ende. Die angeschlagene Gesundheit Ecevits hat den Prozess der Erneuerung eher noch beschleunigt. Die EU hat Fristen gesetzt, die Zeit drängt. Noch nie war die Chance zu einer grundlegenden Reform des türkischen Staates so groß wie heute. Die Befürworter sitzen in allen Bevölkerungsschichten und in allen Parteien außer der MHP, unabhängig von ihrer politischen Orientierung. Zudem gibt es in der Person von Ahmet Necdet Sezer einen Präsidenten, der sich als Verfechter des Rechtsstaats und demokratischer Prinzipien große Sympathien erworben hat.

Die Europäer haben bislang noch nicht deutlich gemacht, wie ernst sie die Perspektive eines türkischen EU-Beitritts meinen. Dies verunsichert die türkische Gesellschaft mehr, als der innere Widerstand gegen die Reformen. Wenn die EU die Türkei wirklich als Mitglied gewinnen will, muss sie jetzt alle Zweifel ausräumen und mit einer Zunge sprechen. ZAFER SENOÇAK

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