: Hilfe oder Test?
Auch baden-württembergischer Gesetzentwurf zu anonymen Geburten erntet harte Kritik von Adoptierten
STUTTGART taz ■ Baden-Württemberg will einen eigenen Gesetzentwurf in den Bundesrat einbringen, um anonyme Geburten zu regeln. Dies kündigten Justizminister Ulrich Goll (FDP) und Sozialstaatssekretärin Johanna Lichy (CDU) gestern bei einer Anhörung in Stuttgart an.
Anders als der interfraktionellen Antrag im Bundestag, dessen Verabschiedung vorige Woche verschoben wurde, sieht der Stuttgarter Entwurf eine Beratungspflicht vor. Krankenhäuser sollen die Frauen, die anonym gebären wollen, auf Beratungsangebote von freien Trägern hinweisen. Ziel sei, dass die Frauen ihren Kindern wenigstens knappe Informationen über ihre Herkunft hinterlassen. „Eine Pflichtberatung macht aber keinen Sinn“, so Lichy, „denn dann erreichen wir gerade die Frauen nicht, denen wir eigentlich helfen wollen.“
Goll zitierte die üblichen Zahlen: Jedes Jahr würden schätzungsweise 50 Neugeborene in Deutschland ausgesetzt, von denen nur die Hälfte überlebe. Deshalb müsse den verzweifelten Müttern eine Alternative geboten werden. Doch wurde auch er mit den Protesten konfrontiert, die schon den Bundestagsantrag stoppten. „Der Gesetzentwurf ist überflüssig“, so Bernd Wacker von Terre des hommes, „solange wir keine Erkenntnisse haben, dass er wirklich zu einem Rückgang von Aussetzungen führt.“ Er spielte dabei auf Erkenntnisse aus Hamburg an, wo die Zahl der Kindsaussetzungen trotz einer viel genutzten Babyklappe nicht zurückging.
Lichy und Goll wollen aber nicht auf langwierige wissenschaftliche Untersuchungen warten. „Nur wenn das Gesetz angewandt wird, erhalten wir aussagekräftige Zahlen“, sagte der Justizminister. Theresia Liebs von der Stuttgarter Selbsthilfegruppe der Adoptierten sprach daraufhin von „Menschenversuchen wie im Dritten Reich“. Tausende von Kindern würden durch die anonymen Geburten „entpersonalisiert“. Dagegen stieß der Stuttgarter Entwurf bei den MitarbeiterInnen von Schwangerenberatungsstellen überwiegend auf Zustimmung.
Der Gesetzentwurf soll am 4. Juni im Landeskabinett verabschiedet werden. In derselben Woche dürfte auch die Beratung über den interfraktionellen Entwurf im Bundestag weitergehen. Falls der Bundestag einen Beschluss fasst, könnte dieser später im Vermittlungsausschuss mit der Stuttgarter Regelung zusammengeführt werden. Schließlich ist die Materie zustimmungspflichtig und im Bundesrat haben die CDU-regierten Länder inzwischen die Mehrheit. CHRISTIAN RATH
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