: High-noon bei den "Maikäfern"
■ Wo heute der Schutt des Stadions der Weltjugend liegt, stand früher die "Maikäferkaserne" / Dort starben am 9. November 1918 drei Revolutionäre
Ein Blick auf den Berliner Stadtplan aus den 20er Jahren zeigt, daß das Gebiet zwischen Chausseestraße, Spandauer Schiffahrtskanal und Invalidenstraße fest in militärischer Hand war: Exerzierplätze, Militärturnanstalt, Kasernen, Krankenhäuser, Invalidenhaus, Invalidenpark und Invalidenfriedhof – kurzum alles, was ein Soldat so braucht.
Heute stößt man an diesem Ort immer noch und schon wieder über das Militär. Das Bundeswehrkrankenhaus am Ende der Scharnhorststraße ist eingezäunt: „Militärischer Sicherheitsbereich, Betreten verboten, Der Standortkommandant“, heißt es auf Schildern. Da, wo die Schutthalden des Stadions der Weltjugend, früher Walter-Ulbricht-Stadion, liegen, standen einmal Kasernen. Im Volksmund hießen die an der Chausseestraße gelegenen Kästen „Maikäferkaserne“, denn die dort stationierten Gardefüsiliere wurden „Maikäfer“ genannt, weil sie in Friedenszeiten immer im Mai zu den Manövern ausrückten. Hier starben drei der ingesamt 15 Revolutionäre, die am 9. November 1918 ihr Leben ließen.
Am Morgen des 9. November waren die Belegschaften der großen Fabriken nach der Frühstückspause in den Streik getreten. Große Demonstrationszüge formierten sich in Richtung Innenstadt. Mit Forderungen nach der Republik und der Beendigung des Krieges zogen die von Moabit kommenden ArbeiterInnen durch die Chausseestraße und erreichten gegen Mittag die Maikäferkaserne.
In seinem Buch über die Novemberrevolution schildert Richard Müller – damals selbst Mitglied des Berliner „Vollzugsrates“ der vorläufigen revolutionären Regierung in Berlin – die Ereignisse. Ein Arbeiter- und Soldatenrat meldete an den Vollzugsrat: „Gegen 12 Uhr kam ein Demonstrationszug zur Maikäferkaserne, der von den Soldaten mit Jubel begrüßt wurde. Sie riefen, man solle sie herauslassen, sie seien eingesperrt und würden von der Wachmannschaft aus Weißensee gehindert, die Kaserne zu verlassen. Mit Hilfe der beim Zuge befindlichen bewaffneten Soldaten erbrach man die Türen. Vor einer der letzten fielen Schüsse, die ein Offizier abgab ... Ein Teil der ,Maikäfer‘ schloß sich den Demonstranten an, ein anderer Teil, meist im Kriege verwundet, blieb in der Kaserne, während der Rest mit gefülltem Rucksack ,auf Urlaub‘ nach Hause fuhr.“ Durch die Schüsse starben der 26jährige Erich Habersaath, Arbeiter bei Schwartzkopf, sowie ein Führer der Berliner Jungsozialisten, ein Arbeiter der AEG und ein Arbeiter von Schwartzkopf.
Die DDR ließ am Eingang des 1950 für die III. Weltfestspiele der Jugend gebauten Sportstadions eine Gedenktafel anbringen, die an die Erstürmung der Kaserne erinnerte. Mit dem Stadion ist auch die Tafel verschwunden. An den erschossenen Erich Habersaath erinnert aber immer noch die nach dem Werkzeugmacher benannte Straße im Süden des Kasernengeländes. 1951 war die frühere Kesselstraße, benannt nach einem Kommandanten des Invalidenhauses, von der DDR in Habersaathstraße umbenannt worden.
Die Gräber der am 9. November Erschossenen befinden sich auf dem Friedhof der Märzgefallenen in der Landsberger Allee. Neben den 1848 ums Leben gekommenen Revolutonären wurden am 20. November 1918 sieben der Toten der zweiten Revolution in Berlin beerdigt. Karl Liebknecht hielt die Trauerrede. Das Grab von Erich Habersaath befindet sich gleich links neben dem Eingang, bewacht von einem Matrosen mit eisernem Gesicht. Jürgen Karwelat
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