berliner szenen: Hierarchie der Drecksarbeit
Fünf Männer und eine Frau machen die Straße sauber. Sie sind zu dünn angezogen für diese Temperaturen. Sie tragen Alltagsklamotten. Jeder hält in einer Hand eine graue Mülltüte, in der anderen einen langarmigen Greifer. Gesammelt wird alles, was sich greifen lässt: Getränketüten, Pizzaschachteln, Schokopapier. Einer pickt sogar Kippen auf.
Im Gebüsch finden sie mit geübtem Blick Bierflaschen. Sie könnten sie im Supermarkt gegenüber abgeben, es käme einiges zusammen an so einem Putzvormittag. Aber nein, sie sind ja nicht privat hier. Einer der Putzmänner trägt jede Flasche zum nächsten Mülleimer und stellt sie am Fuß ab. Kann bestimmt noch jemand brauchen. So wie das zerfledderte Taschenbuch, das er auf der Bank ablegt. Die Gruppe heißt Fegeflotte und gehört zu einem Drogenprojekt, erzählt er mir. Mit der Arbeit soll Struktur in den Tag kommen, die 2 Euro pro Stunde gingen in Ordnung.
In einiger Entfernung fegt ein BSR-Trupp Laub zusammen. Das meiste hat schon vor Wochen ein Kastenwagen zusammengekarrt, Hightech, mit Ansaug- und Abwurffunktion. Allerdings musste der Fahrer immer wieder eine verstopfte Düse freikratzen. Heute kommen andere Kollegen mit anderen Kastenwagen dazu – und schütteln den Kopf. Erst mal Rauchpause. Der Laubhaufen bleibt schließlich liegen, ihre Kippen auch. Die Fegeflotte wird sie beim nächsten Mal aufsammeln – Hierarchie bei der Drecksarbeit. Immerhin leuchten weiterhin zwei Laubhaufen in Herbstfarben. Von mir aus können die bleiben.
Später kommt der vierte BSR-Wagen, diesmal mit Schaufelbagger. Der Fahrer steigt aus und steuert per Konsole die Greifarme, als wär’s ein Spielzeugauto. Das war’s dann mit dem Laub. Ich glaube, die Fegeflotte wäre schneller gewesen.
Claudia Ingenhoven
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