: Heym verzweifelt über alte SED-Garde
■ Trotzdem hält der DDR-Autor die Rettung des Sozialismus noch für möglich / Wissenschaftler sind seine Hoffnungsträger / 'Neues Deutschland‘: Flüchtlingsproblem Ergebnis der BRD-Frontberichterstattung
Berlin/Budapest (afp/dpa/taz)- Im Zusammenhang mit der Ausreisewelle wandte sich DDR-Schriftsteller Stefan Heym erneut unmißverständlich an die westdeutsche Öffentlichkeit: „Ich weiß in der Tat nicht, ob diese Partei sich noch ändern kann“, sagte er in einem Interview mit dem 'Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt‘.
Bereits vor zwei Wochen hatte er sich über das Westfernsehen mit deutlichen Worten an die Ost-Berliner Altherrenriege gewandt, sie solle nicht die Chance zu Reformen verstreichen lassen, um dem Massenexodus an DDR -Bürgern Einhalt zu gebieten.
Vor kurzem hatte Heym noch in internem Kreis angedeutet, nun sollten sich mal jüngere Kollegen in die Schußlinie begeben. Die auch im Westen anerkannte DDR-Künstler -Prominenz hält sich jedoch auffallend zurück. Der DDR -Führung, so der Autor, sei es mißlungen, den Bürgern den Sozialismus auch nur annähernd schmackhaft zu machen. „Wenn ich mir vorstelle, was Marx und Engels zu einer Form Sotialismus gesagt hätten, vor dem die Leute davonlaufen, mit welchem Hohngelächte sie sich mit dieser Angelegenheit befaßt hätten“.
Trotz der scharfen Kritik an den politischen Verhältnissen gaubt Heym, der Souialismus in der DDR sei noch zu retten. Als Hoffnungsträger einer gesellschaftlichen Erneuerung nannte er Menschen aus Wirtschaft und Wissenschaft, mit denen man von einer auf die andere Woche Veränderungen durchziehen könnte. Zum Flüchtlingsproblem meinte er, viele der jungen Leute in Ungarn sind „im Grunde genommen Spießbürger und ihre Vorstellungen von Demokratie primitiv“.
Des Flüchtlingsproblems nahm sich auch der Kommentator des SED-Zentralorgans „Neues Deutschland“ an. Wie schon in der vergangenen Woche beschuldigte er die Medien der BRD der Frontberichterstattung, die die Menschen verführen in ein ungewisses Schicksal treiben“ und „Regieanweisungen“ zur Flucht gäben. Entschieden wies der Kommentator Spekulationen der Westpresse zurück, Reisen nach Ungarn, Bulgarien und Rumänien würden demnächst eingeschränkt.
Dies seien Erfindungen einer seit Wochen andauernden Verleumdungskampagne. Mit keinem Wort ging der Kommentar auf jene Gründe ein, die die DDR-Bürger zum Verlassen des Landes bewegen.
Warum sich die DDR mit Händen und Füßen gegen eine Reform wehrt, machte kürzlich Chefideologe Professor Otto Reinhold in Äußerungen über die sozialistische Identität der DDR deutlich: Demnach sei sie die Kernfrage: „Hier gibt es ganz offensichtlich einen prinzipiellen Unterschied zwischen der DDR und anderen sozialistischen Ländern. Sie alle haben bereits vor ihrer sozialistischen Umgestaltung als Staaten mit kapitalistischer oder halbfeudaler Ordnung bestanden...Anders die DDR. Sie ist nur als antifaschistischer, als sozialistischer Staat, als sozialistische Alternative zur BRD denkbar. Welche Existenzberechtigung sollte eine kapitalistische DDR neben einer kapitalistischen BUndesrepublik haben? Natürlich keine.“
Wachsende Probleme
in Ungarn
Ungarn hat zunehmend Probleme mit den steigenden Flüchtlingszahlen. Zur Zeit leben nach Angaben der amtlichen Nachrichtenagentur MTI vom Freitag etwa 20.000 Flüchtlinge aus Rumänien, etwa 2.000 bis 3.000 aus der DDR und eine wachsende Zahl von Flüchtlingen aus anderen Ländern in Ungarn. Nach inoffiziellen Informationen kommen die meisten dieser Gruppe aus den Balkanstaaten und Nordafrika.
Die Behörden hätten zu Anfang des Jahres mit etwa 15.000, vor allem aus Rumänien stammenden Flüchtlingen gerechnet. Außerdem klettere die Zahl derer, die nicht in Ungarn bleiben wollten. Weil es aber keine Einwanderungsländer für sie gebe, wachse die finanzielle Belastung des Landes, obwohl auch Kirchen und das ungarische Rote Kreuz Geld gäben, hieß es bei MTI.
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