Heuschnupfen im Klimawandel: Wenn die Nase schon im Winter läuft
Pollen-Allergiker:innen leiden immer früher im Jahr. Schuld ist der Klimawandel, schuld ist der Mensch. Danke für nichts, homo sapiens.
D ie Frage, die mir in diesen Tagen am häufigsten gestellt wird, lautet: „Wie, jetzt schon?“
Ihr geht folgende Szene voraus: Etwas kribbelt in meinen Nasenhöhlen, erst nur ganz leicht, als würden dort winzige Wesen in meiner Nasenschleimhaut baden und mit dünnen Ärmchen an meinen Flimmerhärchen zupfen. Ich drücke meine Nasenflügel zu, aber das stört sie nicht. Im Gegenteil, das Kribbeln erfüllt nun mein ganzes Gesicht. Mit einem stakkatoartigen „ha, ha, ha“ atme ich tief ein und katapultiere in orkanartiger Geschwindigkeit Wesen samt Schleim in mein Stofftaschentuch. „Gesundheit“, sagt jemand, „Danke“, sage ich, „ist nur Heuschnupfen, nicht ansteckend.“ Dieser Satz kommt genauso reflexhaft aus meinem Mund wie der Schnodder aus der Nase. Dann die entgeisterte Frage: „Jetzt schon?“
Ja, jetzt schon. Schon längst, denn längst sind die Winter so warm, dass die winzigen Wesen, bekannter als Pollen, sich auch schon mal kurz vor Weihnachten auf den Weg in die Nasen machen. So geschehen im Winter 2022 im Süden des Landes. Dem Klimawandel, also uns Menschen selbst, sei Dank. Danke, Homo sapiens, danke für nichts.
Für Allergiker:innen, die nicht nur wie ich auf Frühblüher, sondern auch auf Spätblüher reagieren, ist das ziemlich übel. Denn das symptomfreie Zeitfenster wird durch die kürzeren Winter immer enger. Und damit nicht genug: der Klimastress der Pflanzen lässt diese mehr Pollen produzieren. Sie tun das, um ihre Art zu erhalten. Hinzu kommt die Kombi aus Feinstaub und Stickoxiden in den Städten, die Pollen chemisch verändern und aggressiver werden lassen können, so beschreibt es die Stiftung Deutscher Polleninformationsdienst.
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Die Seele aus dem Leib niesen
Es sind nicht gerade wenige Exemplare der Spezies Homo sapiens, die sich regelmäßig die Seele aus dem Leib niesen, schnupfen und reiben. Laut Daten des Robert-Koch-Instituts leiden in Deutschland, Stand 2022, rund 15 Prozent der Erwachsenen an Heuschnupfen, 12 Millionen Menschen. Und die Häufigkeit der Allergien hat seit den 1970er Jahren „in den Ländern mit westlichem Lebensstil“ stark zugenommen.
Nun ist all das nicht gerade neu, weder die Folgen des Klimawandels noch die wachsende Zahl von Allergiker:innen. Aber die Meldung, dass die Erde in den letzten 12 Monaten erstmals um 1,5 Grad Celsius wärmer war als noch vor der Industrialisierung, die schlug erst vor ein paar Tagen ein, heftiger als jede Niesattacke.
Doch statt effektiv Ursachen zu bekämpfen, werden Symptome gelindert. So ruft eine Infobroschüre des Bundesumweltministeriums (BMUV) mit dem Titel „Den Klimawandel gesund meistern“ uns Schniefnasen dazu auf, als „Primärprävention“ dabei zu helfen, die Ausbreitung der besonders allergenen und nichtheimischen Ambrosia-Pflanze einzudämmen. Im Sinne der „Sekundärprävention“ rät sie dazu, ärztlichen Rat einzuholen und: Pollen zu meiden. Danke, BMUV, danke für nichts.
Wer oder was profitiert?
Ich frage mich: Was ist das für eine sinnlose Krankheit, wer oder was profitiert davon? Keine Bakterien, keine Viren, keine bösen Zellen – eine reine Schikane der Natur? Es muss doch einen Sinn haben, dass mein Körper derart übertreibt, wenn er von ein bisschen Blütenstaub geküsst wird. Vielleicht soll das extatische Verzerren meiner Gesichtsmuskeln, das schwallartige Herausblasen von Pollen und die von Juckreiz und hemmungslosem Reiben feuerroten Augen den Menschen um mich herum etwas signalisieren.
So entschied ich mich kürzlich für einen neuen Umgang mit meiner Allergie und sehe mich seither als Botin. Mein Standardsatz nach einer Niesattacke im Winter lautet nun: „Bin nicht erkältet. Ist nicht ansteckend. Ist nur der Klimawandel.“
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