Hessens Ministerpräsident und die Presse: Bouffiers Presseboykott
Einst berichtete die „Frankfurter Rundschau“ über einen Prozess gegen Volker Bouffiers Neffen. Seitdem gibt er dem Blatt kein Interview mehr.
Diesen Boykott machten SPD und Linke zum Thema im Hessischen Landtag. Ein Ministerpräsident, dem die Pressefreiheit ein Anliegen sei, müsse auch einer kritischen Zeitung Rede und Antwort stehen, so argumentierten die Oppositionsparteien. Bouffier verteidigte seine Weigerung. Wenn sich eine Zeitung kritisch mit seiner Politik auseinandersetze, sei das in Ordnung, sagte der Ministerpräsident in der Parlamentsdebatte im August: „Ich werde es aber niemals akzeptieren, dass die FR Kinder und Jugendliche meiner Familie an den Pranger gestellt hat, auf ewig, denn das Netz vergisst nie!“
Mit dieser Begründung erinnerte Bouffier unfreiwillig an eine Geschichte, die er eigentlich vergessen machen will. Vor mehr als sieben Jahren hatten sich drei seiner Neffen vor dem Gießener Amtsgericht verantworten müssen. Der Vorwurf: schwere Körperverletzung. Zusammen mit drei anderen jungen Männern waren sie in Gießen vor dem Tanzlokal „Alpenmax“ in eine Schlägerei verwickelt gewesen.
Barhocker, Flaschen und eine Tisch seien zum Einsatz gekommen, hieß es in der Anklageschrift. Es gab Verletzte, der Hauptangeklagte war einer von Bouffiers Neffen. Doch die Staatsanwaltschaft machte überraschend kurzen Prozess. Noch vor Verlesung der Anklageschrift wurde das Verfahren, ursprünglich auf drei Verhandlungstage terminiert, ohne Sanktionen eingestellt.
Frage nach dem Bouffier Clan
Die FR berichtete darüber mit der Überschrift „Bouffiers böse Neffen“. Der Hauptangeklagte sei ja zuvor wegen einer anderen Schlägerei zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden, erklärte später eine Gerichtssprecherin; es sei ein normaler Vorgang, dass dieses zweite Verfahren eingestellt worden sei, zitierte die FR die Sprecherin; mit der prominenten Verwandtschaft habe das nichts zu tun. Die FR erlaubte sich damals die Frage, ob Bouffiers „Clan“ in Gießen möglicherweise unter einem besonderen Schutz stehe. Das nimmt der hessische Regierungschef ihnen seither übel. Im Landtag sagte er: „Ich verweise niemanden des Saales, wenn er seiner journalistischen Arbeit nachgeht. Von mir kann aber niemand verlangen, dass ich ein solches Verhalten auch noch dadurch würdige, dass ich persönliche Interviews gebe.“
Auf Anfrage der taz, ob der Interviewboykott auf ewig gelte, verwies Regierungssprecher Michael Bußer auf Bouffiers Erklärung vor dem Landtag. Die Staatskanzlei richte sich nach den Informationspflichten und dem Grundsatz der Transparenz; Anfragen der FR würden selbstverständlich beantwortet. Es werde allerdings von Fall zu Fall entschieden, „welche Exklusivinterviews der Ministerpräsident gibt und welche TV-Formate er wahrnimmt“-
Der Autor des FR-Artikels ist Matthias Thieme, mittlerweile Chefredakteur der Frankfurter Neuen Presse (FNP). FNP und FR gehören seit einem Jahr der Verlegerfamilie Rempel und dem Großverleger Ippen. Die Verlagsgruppe, in der auch zahlreiche andere Lokalzeitungen kooperieren, gibt in weiten Teilen Hessens den Ton an. Auf die Frage, ob Bouffier seinen streitbaren Boykott ausweiten möchte, gab es keine Antwort.
Jürgen Bothner, Landesbezirksleiter der Gewerkschaft Verdi, hat Verständnis dafür, dass sich Bouffier gelegentlich über die Berichterstattung ärgere, erklärte der Gewerkschafter, der eine große Anzahl von JournalistInnen in Tarifverhandlungen vertritt. Gegenüber der taz sagt er: „Was ich nicht verstehe, ist ein seit sechs Jahren währender offener Interviewboykott der FR. Sie ist nicht irgendeine Zeitung. Das geht zu weit. Wie groß der Ärger auch immer war.“
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