Herz-OP im SWR: Live zur Herz-Lungen-Maschine
Blick in den Brustkorb: „Skalpell bitte“ zeigt Live-Bilder von einer Herz-OP. Weitere Folgen der TV-Reihe sind schon in Planung.
Plötzlich sieht Susanne Holst auf dem Bildschirm, dass Herr Eberle in den Anästhesieraum geschoben wird. Sie reagiert, wie ein Fernsehprofi zu reagieren hat: Schnell schaltet sie zu Patrick Hünerfeld, „unserem Wissenschaftsreporter im OP-Bereich“. Hünerfeld ist in dieser Übertragung das, was Kai Ebel bei den Formel-1-Übertragungen von RTL ist: Der Mann mittendrin in der Schlacht, nur dass Hünerfeld besser gekleidet ist. In seiner OP-Montur schreitet er von einer Kamera an die Liege: „Guten Tag, Herr Eberle!“ „Mmmmm“, brummt Herr Eberle leise zurück.
Wolfgang Eberle scheint ein wenig sediert zu sein, er bekommt aber immerhin auch gleich drei Bypässe gelegt – und der SWR ist live dabei. Na ja, zumindest fast live. Auf eineinhalb Stunden gerafft überträgt der Sender die vier Stunden dauernde Operation am offenen Herzen – mit einer Anmutung wie bei einem Sportevent. Im Foyer der Uniklinik Tübingen sitzt Holst und moderiert, assistiert von Professor Christian Schlensak, der kommentiert, was die drei Ärzte nebenan gerade mit Herrn Eberle machen.
„Die Grundüberlegung war, sich mit dem Killer Nummer eins in der westlichen Überflussgesellschaft zu beschäftigen“, sagt Hans-Michael Kassel, „den verstopften Blutgefäßen.“ Kassel ist Redakteur im Ressort „Betrifft“ des SWR und mitverantwortlich für „Skalpell bitte“. Mit dem neuen Format will er so nah wie möglich an eine Live-Übertragung heranreichen. Vorbild ist ein ähnliches Format aus den Niederlanden.
Herz-OP live im Fernsehen
Sieben Monate bereitete Kassels Redaktion den Dreh vor: Erst musste eine Uniklinik gefunden werden, es folgten etliche Besichtigungen des OP-Saals mit Haus- und Fernsehtechnikern, ein Casting der Operateure – wer kann gleichzeitig schnippeln und reden? Und wie legt man eigentlich einem komplett steril verpackten Arzt ein Headset und ein Mikrofon an? Denn nicht nur die Experten, auch die Chirurgen kommentieren ihre Handgriffe?
„Und jetzt hören wir aus dem OP, dass nun die Herz-Lungen-Maschine zum Einsatz kommt“, unterbricht Holst die Aufklärungsarbeit mit Professor Schlensak am Touchscreen. Der Brustkorb von Herrn Eberle ist da schon zersägt und auseinandergespannt: Kaltes Wasser wird über das offen liegende Herz gegossen. Langsam hört es auf zu pumpen.
Dann hebt eine Hand das Organ aus dem Brustkorb, das Blut-Wasser-Gemisch wird abgepumpt. Die dem Arm entnommene Arterie liegt schon bereit. Sie sieht aus wie ein zerfasertes, labbriges Gummiband. Auf der Rückseite des Herzens wird vorsichtig das Kranzgefäß geöffnet und Stich für Stich die Arterie daran genäht. Dann ein Test: Die Flüssigkeit läuft durch, noch ein bisschen Kleber auf die Nahtstelle – der erste Bypass hält.
„Ein sehr ästhetisches Feld“
Das sind die stärksten Momente der Live-OP-Show. Sie sind fast erhaben. Dieses wichtige Organ schlägt nicht mehr. In fast schon künstlerischer Feinstarbeit wird es repariert. Das ist zu keinem Zeitpunkt eklig oder schwer verdaulich.
„Ein sehr ästhetisches Feld“, nennt Kassel die Operation. Er hofft, dass „wenn man weiß, wie es geht, der Zuschauer vielleicht die Furcht davor verliert“. Doch aus Rücksichtnahme wird mit viel Vorlauf an die Bilder herangeführt. Explizite Bilder von der Arbeit am offenen Herzen machen vielleicht ein Drittel der Sendezeit aus. Und: „Wer will, kann auch mal wegschauen“, sagt Kassel.
Dabei war die Ursprungsidee des SWR überhaupt nicht wegzuschauen, den Eingriff komplett live zu senden. Doch die Praxis stand dagegen. „Bei einer OP kann schließlich immer etwas passieren“, erklärt Kassel, „und ich hätte Bauchschmerzen dabei, live drauf zu sein, während die OP aus dem Ruder läuft.“
Zum Glück lief nichts aus dem Ruder. Herrn Eberle geht es gut. Kassel möchte die OP-Reihe gerne fortführen. Eine Knie-Operation fände er schön.
„Skalpell bitte", 20.15 Uhr, SWR.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe