Herthas Trainer Lucien Favre: Der Wiederholungstäter
Hat er was, was andere nicht haben? Lucien Favre ist weder ein Motivationsguru noch ein messianischer Revoluzzer. Und doch ist der stille Schweizer ein verdammt guter Trainer.
Es war eine außergewöhnliche Pressekonferenz vor dem Samstagsspiel gegen den VfB Stuttgart. Normalerweise sind die Antworten von Hertha-Trainer Lucien Favre so stereotyp wie diese: "Stuttgart ist ein sehr schwerer Gegner. Wir müssen hoch konzentriert sein." Und meistens schickt er seinen kargen Einlassungen ein charmantes Lächeln hinterher wie eine Art Entschuldigung: "Tut mir leid, mehr sage ich nicht."
Diese Woche gelangte aber Prekäres an die Öffentlichkeit. Es wurde nachgehakt. Und Favre erklärte zuerst mit entschiedenem Ernst: "Ich will nicht mehr darüber sprechen." Es ging darum, wie lange nun Patrick Ebert zu den Amateuren abgeschoben wird. Favre hatte gerade seine Suspendierung aus dem Profikader bekannt gegeben, weil Ebert nachts um halb vier von der Polizei mit seinem ehemaligen Teamkollegen Kevin Boateng aufgegabelt wurde. Ein Verstoß gegen das Mannschaftsreglement ist für Favre bereits ein Kapitalverbrechen. Hinzu kommt in diesem Fall noch die von den Beschuldigten heftig bestrittene Zeugenaussage, sie hätten Autos zerkratzt und Seitenspiegel abgetreten. Während Fans selbst gebastelte Meisterschaftsschalen als Sammelautogrammvorlage herumreichten, machte sich bei Favre Krisenstimmung breit: "Es war eine enorm schwere Entscheidung für mich. Wir haben sehr viel gemacht für Patrick. Es ist unglaublich. Ich bin enttäuscht."
Solche Emotionsausbrüche kennt man von Favre nicht. Der Bauerssohn aus der französischen Schweiz hat sich schon in seiner Heimat den Ruf eines Radikalsanierers erworben. Wo er hinkommt, entledigt er sich meist komplett des alten Personals und schafft es trotz bescheidener finanzieller Mittel, eine Mannschaft zu formen, der nicht nur spielerisch, sondern auch menschlich zusammenpasst und der finanzstärkeren Konkurrenz Paroli bieten kann. Das machte ihn für Berlin so interessant, da sich Hertha von einer Reihe seiner begabten, aber undisziplinierten Spieler trennen wollte. 29 Profis verließen in knapp zwei Jahren unter Favre die Hertha - darunter auch die schlecht beleumundeten Boateng-Brüder. Deren Spezi Ebert war einer der wenigen, den Favre für resozialisierungsfähig hielt. Resigniert stellte der Coach am Donnerstag fest: "Er hat solche Fortschritte zuletzt gemacht. Es ist schade. Wenn du jung bist, brauchst du Spielpraxis, um dich weiterzuentwickeln." Diese wird er ihm aber vorerst nicht gewähren. "Für Favre zählt nur die Mannschaft, das ist seine Message", sagt Steve von Bergen, der bereits beim FC Zürich unter ihm trainiert hat.
Diese banale Botschaft wird zuweilen sogar als das Erfolgsrezept von Favre verkauft, dabei predigen seine 17 Bundesligakollegen nichts anderes. Überhaupt klingen die Erklärungen des 51-Jährigen, wie er denn eine mittelprächtig begabte Mannschaft noch vor Bayern München an die Spitze führen konnte, erstaunlich schlicht: "Wir arbeiten sehr hart. Wir sind diszipliniert und bleiben am Boden." Solche Sätze erinnern vielleicht an das Schweizer Sprichwort "Tee, Kaffee und Leckerli bringen den Bürger ums Äckerli". Zur Enträtselung der phänomenalen Hertha-Erfolgsserie können sie nur unzureichend beitragen. Das Charisma eines Motivationsgurus besitzt Favre nicht. Der jenseits des Trainingsplatzes stets akkurat mit Hemd und Jackett gekleidete Coach ist ein Freund der leisen Töne. Er gilt als feinsinnig. Deshalb kann der bescheidene Favre, dem Selbstinszenierungen zuwider sind, noch so viele Plattitüden von sich geben, er wird trotzdem dem erlauchten Kreis der Fußball-Intelligenzia zugerechnet.
Andere, wie Hoffenheims Ralf Rangnick, mussten dafür erst Gelehrtenvorträge im Fernsehen halten. Von Bergen aber versichert, es gäbe gar kein Geheimnis zu lüften. Von Taktik würden fast alle mittlerweile viel verstehen. "Ich glaube nicht, dass er etwas Besonderes macht. Vielleicht macht er überall ein bisschen mehr. Er denkt Tag und Nacht nur an den Fußball." Womöglich sind es nur diese Nuancen, die sich bei Hertha zum Erfolg addiert haben: Favres etwas genauere Vorstellung, wie das Spiel organisiert sein muss, seine etwas ausgereiftere Fähigkeit, diese den Spielern zu vermitteln, und seine etwas systematischere Arbeit im Training. Trotz seines bescheidenen Auftretens ist Favre von seinem Tun überzeugt: "Überall, wo ich gearbeitet habe, hatte ich Erfolg."
Dieses Wissen hat ihn für Manager Dieter Hoeneß auch zu einem harten Verhandlungspartner werden lassen. Es gibt ihm aber auch die Ruhe, sich von den konjunkturellen Aufgeregtheiten des Spielbetriebes nicht beeinflussen zu lassen. Er misst seine Elf nicht an Sieg oder Niederlage, sondern daran, wie nah sie seinem Ideal kommt. Davon ist Hertha noch ein Stück entfernt, wie er immer beteuert. Gerade nach dem letzen Erfolg gegen Leverkusen hat er bemängelt, dass es im Spiel nach vorne sehr viel zu tun gibt. Es soll noch schneller und präziser kombiniert werden. Dabei liegen die Berliner dabei jetzt schon ganz vorne in der Liga: Nur 1,1 Sekunden halten die Hertha-Profis durchschnittlich den Ball. Doch im Training vor der Partie gegen Stuttgart wurden immer wieder der gleiche Spielzug, die gleichen Positionswechsel und Bewegungsabläufe nach vorn eingeübt. Favre lobt. Favre kritisiert. Und immer wieder geht es von vorne los. Er hält alles im gleichmäßigen Fluss.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!