Hertha gegen Dortmund: K1 der Bundesliga
Hertha BSC Berlin huldigt nach dem 3:2 gegen Dortmund Coach Lucien Favre, dem Anwalt des Kollektivgedankens.
BERLIN taz "Das war nicht irgendein Sieg, das war ein grandioser Sieg", sagte Hertha-Manager Dieter Hoeneß voller Stolz nach dem 3:2-Erfolg gegen Borussia Dortmund. Er bedauerte lediglich, dass man wegen der Vielzahl an Chancen eigentlich höher hätte gewinnen müssen. Als aber Dortmunds Trainer Thomas Doll seinem Berliner Kollegen Lucien Favre völlig zu Recht zu den verdienten drei Punkten gratulierte, wog dieser zweifelnd sein Haupt hin und her.
Der Schweizer ist kaum zufriedenzustellen. Er hatte wohl noch die letzte Viertelstunde vor Augen. In der 76. Minute erzielte Solomon Okoronko die eigentlich beruhigende 3:1-Führung. Wie auf Glatteis schickte der 20-jährige Stürmer den tölpelhaften Christian Wörns mit einer kleinen Körpertäuschung im Strafraum zu Boden und drosch das Leder in die Maschen. Doch im direkten Anschluss beabsichtigten die Hertha-Profis scheinbar, die Dortmunder in Okoronkwo-Manier schonungslos vorzuführen. Und das erzürnte Favre von der ersten Sekunde an. Wild gestikulierend und fuchtelnd tigerte er die Coachingzone rauf und runter.
"Wir waren nach dem 3:1 zu euphorisch. Wir haben zu individualistisch gespielt", kritisierte er hinterher. Man hätte sich beinahe um den Lohn der erfolgreichen Arbeit zuvor gebracht. In der Tat wackelte die Berliner Abwehr insbesondere nach dem Anschlusstreffer von Mladen Petric in der 89. Minute noch einmal bedenklich. Doch es blieb beim 3:2-Erfolg.
"Individualistisch spielen" ist für Favre das größte Kardinalverbrechen im Fußball. In der höchsten deutschen Spielklasse gibt es augenblicklich keinen radikaleren Anwalt des Kollektivgedankens. Hertha BSC kann man folglich als die Kommune 1 der Bundesliga bezeichnen. Dass das Team am Samstagabend nach der besten Saisonleistung auch an erster Stelle der Tabelle stand, nahm Favre gelassen hin: "Das ist besser so als das Gegenteil." Der Mann aus der französischen Schweiz neigt wahrlich nicht dazu, Erfolge aufzubauschen. Nach nur sechs Spieltagen, so der 49-Jährige, könne er nicht bereits eine Analyse vornehmen. Mit dem Erreichten sei er aber zufrieden.
Wie stets lobte er das gesamte Team für seinen Charakter. Als ein Fernsehreporter wissen wollte, wie er die Leistung von Marko Pantelic bewerte, verzog Favre das Gesicht wie nach einem Biss in die Zitrone.
Mit etwas mehr Fortune hätte Pantelic vielleicht für einen Kantersieg der Berliner sorgen können. Die spielentscheidende Figur der Partie war er aber auch so. Er erzielte nicht nur den wichtigen Ausgleichstreffer nach Petric Führungstor zum 1:0, sondern bereitete zudem indirekt das 2:1 durch Lucio vor, weil Roman Weidenfeller seinen Schuss nur abklatschen konnte.
Doch extra dafür preisen mochte Favre ihn nicht. Ein Einzellob kommt ihm nur schwerlich über die Lippen. So würdigte er lediglich Pantelic Beitrag für das Team: "Er ist positiv für die Mannschaft, auch in der Kabine. Und er spielt kollektiv."
Vor gut einem Jahr stand Hertha schon einmal an der Tabellenspitze. Aber laut Verteidiger Malik Fathi kann man diese Daten nicht miteinander vergleichen. Letztes Jahr wäre man oft auf Zufallsprodukte angewiesen gewesen. Nun würden stattdessen eingeübte Automatismen zu den guten Ergebnissen führen. Der Schweizer Coach sei mit seinen beharrlichen taktischen Übungen hauptverantwortlich für das schon gut funktionierende Zusammenspiel. Dabei ist zu bedenken, dass das Team einen großen personellen Umbruch hinter sich hat. Elf Spieler gingen, sieben kamen neu hinzu. So sagte Fathi nach dem Dortmund-Spiel: "Ich sehe die Mannschaft bei 70 Prozent ihrer Leistungsstärke." Das hört sich fast wie eine Kampfansage an die Bayern an. Doch Fathi beschwichtigt selbst: "Es ist nicht primär unser Ziel, deutscher Meister zu werden."
Wie der taktische Lehrmeister Favre gern gebetsmühlenhaft wiederholt: "Es hängt alles an Details." Die Leistungsdichte ist groß in der Liga. "Wenn wir zweimal verlieren, stehen wir auf Platz 14", so Favre. Selbst der oft forsche Manager Dieter Hoeneß warnt vor Rückschlägen: "Das wird nicht so weitergehen. Wir brauchen nach wie vor Zeit."
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