Hertha BSC und Lars Windhorst: Kapitulation des Wunderkinds

Die 50+1 Regel hat bei Hertha BSC Schlimmeres verhindert. Die gegenseitige Geiselhaft, in der man sich nun befindet, ist indes auch nicht schön.

Hertha-Fans fordern auf Transparent Windhorst auf, Verein zu verlassen

Wenn das so einfach wäre: Hertha und Windhorst werden noch eine Weile miteinander auskommen müssen Foto: Andreas Gora/dpa

Der Kampf gegen die exzessive Kommerzialisierung des Fußballs wird in Deutschland seit vielen Jahren mit besonders großer Leidenschaft geführt. Als Schlüsselinstrument dafür gilt seit jeher der Erhalt der im Jahre 1998 eingeführten 50+1 Regel, die verhindern soll, dass Investoren sich die Stimmmehrheit in den Bundesligavereinen und die Verfügungsgewalt erkaufen können. Etliche Akteure, insbesondere die organisierte Fanszene haben sich in diesem Kampf große Verdienste erworben. Aber Ein Verein für Spinnerniemand hat so plastisch, überzeugend und praxisnah veranschaulicht, wie groß die Gefahr ist, die von Investoren für deutsche Profivereine ausgeht wie Hertha BSC und der Unternehmer Lars Windhorst.

Am Mittwoch erklärte der einst als „Wunderkind der deutschen Wirtschaft“ gefeierte Windhorst via Facebook die Kapitulation. Die Grundlagen für eine Zusammenarbeit zwischen Hertha und seinem Unternehmen Tennor Group seien zerstört, deshalb beende man das Engagement. Der Verein könne die Anteile zum damaligen Einkaufspreis zurückkaufen. 374 Millionen Euro hatte Windhorst im Sommer 2019 für knapp 65 Prozent an der Profiabteilung von Hertha ausgegeben. Und das befähigte den Verein unter anderem dazu, in der Wintertransferphase der Saison 2019/20 europaweit das meiste Geld für Spielereinkäufe zu verprassen – angesichts des dauerhaften sportlichen Stillstands an der Pforte zur zweiten Liga lässt sich das kaum anders ausdrücken.

Natürlich kann man einwenden, ohne die 50+1-Regel hätte Windhorst Einfluss darauf genommen, was mit seinem Geld gemacht wird und alles wäre besser gelaufen. Ein genauerer Blick auf die Ereignisse der letzten Jahre lässt aber eher vermuten, dass alles noch schlimmer gekommen wäre. Der nicht geringe Einfluss, den Windhorst bereits geltend machen konnte, wirkte sportlich verheerend.

Die Beförderung seines Vertrauensmanns im Aufsichtsrat zum Trainer von Hertha, die kurze Ära von Jürgen Klinsmann also, in der auch die überteuerten Verpflichtungen getätigt wurden, brachten dem Verein nur Probleme. Auf ihre Kosten kamen lediglich die unbeteiligten Be­ob­ach­te­r:in­nen ob der Schlammschlacht zwischen Klinsmann und dem Verein. Dass Windhorst danach auf den sportlichen Rat des exzentrisch veranlagten Jens Lehmann setzte, hätte übel enden können. Ärgeres hat die 50+1 Regel verhindert.

Bestimmen ohne Stimmen

Lars Windhorst hat die Kraft der 50+1 Regel indes unterschätzt. Er glaubte offenbar, dank seiner gewaltigen Einlage unabhängig von einer Stimmenmehrheit bei Hertha aus dem Hintergrund heraus bestimmen zu können. Geradezu provokant erklärte er auf der letzten Mitgliederversammlung dem Hertha-Wahlvolk, dass sie ihn ja nicht abwählen könnten und er noch lange bleiben werde.

Wie wenig er vom Prinzip der Teilhabe in der deutschen Vereinskultur hält, legt sein mutmaßlicher Versuch nahe, mit Hilfe seines Geldes und einer israelischen Firma den Wahlkampf ums Hertha-Präsidentenamt zu manipulieren und die Wiederwahl von Werner Gegenbauer zu verhindern.

Das Dilemma ist nun aber: Wer soll die Anteile von Windhorst, die längst keine 374 Millionen Euro mehr wert sind, kaufen? Dafür kämen eigentlich nur Spinner in Frage. Hertha BSC Berlin ist sowieso pleite. Investor und Verein sind wohl wie bei 1860 München auf unabsehbare Zeit in gegenseitiger Geiselhaft miteinander verbunden.

Dieses Szenario müsste jetzt dank Windhorst und Hertha abschreckend auf alle Vereine und Investoren wirken.

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Jahrgang 1971, bis Ende März 2014 frei journalistisch tätig. Seither fest mit dem Leibesübungen-Ressort verbunden.

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