Hertha BSC bleibt in Bundesliga: Wundersame Verwandlung
Überraschend souverän sichert sich Hertha BSC noch den Klassenerhalt und steht vor einer Neuausrichtung. Der HSV überrascht durch Mutlosigkeit.
![Santiago Ascacíbar spring in die Arme von Torhüter Oliver Christensen Santiago Ascacíbar spring in die Arme von Torhüter Oliver Christensen](https://taz.de/picture/5580208/14/30238539-1.jpg)
Der ganze unmenschliche Nervenkitzel, den das Format „Relegation“ erzeugt, ließ Felix Magath offenbar völlig kalt. Während neben ihm auf der Hertha-Bank getobt wurde und sein Hamburger Kollege Tim Walter jede Schiedsrichter-Entscheidung gegen den Hamburger SV mit Gestik und Mimik quittierte, schaute Magath, 68, Buddha-gleich zu. Er stand 96 Minuten fast nur an einem Fleck.
Vielleicht hat es ihn wirklich bewegt, nun ausgerechnet dem HSV als Trainer der Berliner Hertha begegnen zu müssen – nach mehr als 300 Bundesligaspielen für die Hamburger, nach dem größten Titel der Vereinsgeschichte dank seines Tores im Mai 1983. Vielleicht wollte Magath deswegen keine Regung zeigen, wie Spieler, die gegen ihren früheren Verein Tore schießen, aber nur abgespeckten Jubel zeigen. Aus Respekt. Was dann aber doch nur theatralisch wirkt.
Theatralisch wirkt bei Magath gar nichts, und dass man über seine wahren Beweggründe rätselt, hat er sich mit seiner undurchsichtigen Art über die Jahre erarbeitet. Jedenfalls war es ihm gelungen, aus der verzagten Hertha von der 0:1-Hinspielniederlage am Donnerstag eine Elf im Relegations-Modus zu machen: Entschlossen, teamfähig, von höherer individueller Klasse als der Gegner – die diesmal auch abgerufen wurde.
Der 2:0-Sieg im Rückspiel am Montagabend war vor 55.000 Zuschauerinnen und Zuschauern im ausverkauften Volksparkstadion ein zu knappes Ergebnis, denn Hertha hätte noch mehr Treffer erzielen können, wohingegen der schwache HSV in 96 Minuten nur einen Torschuss abgab – in der 80. Minute, Suat Serdar blockte den Versuch Josha Vagnomans. So waren es die Tore von Dedrick Boayata nach nur vier Minuten und Marvin Plattenhardts Treffer in der 63. Minute, die den HSV bezwangen.
Kevin-Prince Boateng wirkt als Institution
Die Souveränität, mit der die Berliner in Hamburg auftraten, überraschte nach der schwachen Leistung vor fünf Tagen – und erinnerte daran, dass der Erstligist in vergangenen Relegationen häufig das erste Spiel gebraucht hatte, um sich auf den unterklassigen Gegner und das spezielle setting dieser Saisonverlängerung einzustellen.
Bezwungen worden waren die Hamburger auch davon, dass Magath seiner Hertha in Kevin-Prince Boateng und vor allem Santiago Ascacibar zwei Profis ins Mittelfeld stellte, an denen sie sich festhalten konnte. Im Hinspiel hatten sie noch gefehlt. Er habe bezweifelt, dass Boateng zwei solche Spiele durchhalten würde, sagte Magath später: „Ich habe ihn im Finale gebraucht.“ Boateng war da am Montagabend, mehr als Institution denn als Fußballspieler, und da Ascacibar so viel lief und wegarbeitete, passte es wunderbar zwischen den beiden.
An anderer Stelle war der Unterschied zum HSV noch größer. Weil Marc-Oliver Kempf und Dedrick Boyata als Innenverteidiger-Pärchen nahezu jedes Duell gewannen, kam der beste Hamburger Stürmer Robert Glatzel überhaupt nicht zu Geltung. „Wir haben kein Larifari gespielt, wir haben uns in jeden Zweikampf reingehauen und das Ding am Ende verdient gedreht“, sagte Kempf. Plattenhardt sprach später von der besten Saisonleistung.
Wenn man die allerdings im letzten Saisonspiel kurz vor dem Abgrund bringt, ist doch ziemlich viel schief gelaufen beim Big-City-Klub mit seinen Millionen aus dem Windhorst-Investment. Und so war der Jubel um den Klassenverbleib nur der Prolog vor der Neuausrichtung. Auf jeden Fall ohne Magath, der seine Retter-Mission beendet und erst mal zu Hause „Holz hacken“ wollte. Und Präsident Werner Gegenbauer soll nach 14-jähriger Amtszeit auch keine gestaltende Kraft mehr sein, wie die Wirtschaftwoche und die Bild-Zeitung am Dienstagmorgen berichteten. Hertha BSC dementierte am Nachmittag allerdings die Meldung, der 71-Jährige werde auf der Mitgliederversammlung am Sonntag zurücktreten. Geschäftsführer Fredi Bobic sagte, er bedauere die Gerüchte. Bestätigt wurde vom Verein indes, dass der Vertrag mit Finanzchef Ingo Schiller im Herbst aufgelöst wird.
Seitens des HSV entbehrte es nicht einer gewissen Tragik, dass im wichtigsten Spiel der Saison die größte Tugend unter die Räder kam: der Mut. Aller Voraussicht nach werden Trainer Walter, Sportchef Michael Mutzel und Vorstand Jonas Boldt weitermachen dürfen und versuchen, den HSV nach seinem dann fünften Jahr im Unterhaus wieder in die Bundesliga zu bringen.
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