Herta BSC gegen Eintracht Frankfurt: Der Club der Visionäre
Nach der Niederlage gegen Frankfurt will Präsident Werner Gegenbauer Ordnung ins Chaos beim Tabellenletzten Hertha BSC bringen - und gibt zu, keine Ahnung vom Fußball zu haben.
BERLIN taz | Zentnerschwer lastete sie, die Stimmung, die sich in den Katakomben des Olympiastadions breitgemacht hatte. Nicht allein die 1:3-Niederlage gegen Frankfurt war es, sondern vor allem die desolate Vorstellung von Hertha BSC Berlin, die erstmals das Oberhaupt des Vereins vor die Mikrofone zwang. Präsident Werner Gegenbauer, der ansonsten nur in der Rolle des stillen Beobachters im Medientrakt auftaucht, versuchte dem Chaos auf dem Platz Ordnung und Struktur entgegenzusetzen.
Zuerst forderte er von den Kamerateams statt der Journalistenmeute eine blanke Wand als Hintergrund für sich ein. Dann bat er die Fragesteller um etwas mehr körperlichen Abstand und trug sein durchnummeriertes Statement vor. "Erstens: Hoffnung gibt es immer. Zweitens haben wir rechnerisch noch alle Möglichkeiten. Und drittens müssen aus dem Spiel die richtigen Konsequenzen gezogen werden." Zu letzterem Punkt wollte sich Gegenbauer nicht näher äußern. Seine Begründung: Andere verstünden um ein Vielfaches mehr vom Fußball als er.
Einer dieser anderen ist Trainer Friedhelm Funkel. Als Fachmann hatte er vor dem Spiel verkündet: "Dieses Spiel müssen wir unbedingt gewinnen". Im Blick hatte er wohl das komplizierte Restprogramm des Tabellenletzten in diesem Jahr: Schalke, Leverkusen und Bayern München. Und gewiss auch die von der Vereinsführung mit Bangen erwartete Mitgliederversammlung am Montag.
Hertha BSC: Drobny - Piszczek (85. Janker), Friedrich, von Bergen, Pejcinovic - Lustenberger, Cicero - Raffael, Kacar, Nicu - Domowtschijski (46. Ramos)
Eintracht Frankfurt: Nikolov - Franz, Chris, Russ, Spycher - Bajramovic - Ochs, Meier, Schwegler, Korkmaz (64. Köhler) - Liberopoulos (90.+3 Teber)
Zuschauer: 48.253
Tore: 0:1 Ochs (11.), 0:2 Franz (70.), 0:3 Meier (75.), 1:3 Ramos (81.)
Denn nach dieser neuerlichen Niederlage bleibt nur das Prinzip Hoffnung. So ließ auch der Einwand, dass es bislang noch keinem Team in der Bundesligageschichte gelungen ist, unter diesen Voraussetzungen (5 Punkte nach 14 Spieltagen) nicht abzusteigen, Gegenbauer unbeeindruckt. Der Unternehmer erwiderte: "Bilanzen beleuchten die Vergangenheit, wir wollen die Zukunft gestalten." Schon ulkig: Gegenbauer, der bislang vor allem für eine bodenständige Finanzpolitik stand, der gemäß die Ausgaben die Einnahmen nicht übersteigen dürfen, wird nun durch die äußeren Umstände in die Rolle des Visionärs gezwungen. Allerdings: Mehr als ein Glaubensbekenntnis zur ersten Liga war ihm nicht abzuringen.
Auch Funkel, dem gerade in Frankfurt, wo er fünf Jahre als Trainer wirkte, einige die schöpferische Kraft zukunftsweisender Ideen absprachen, gehört bei Hertha zum Club der Visionäre. In den vergangenen Wochen hatte er auch nach Niederlagen trotzig bekundet, er glaube mehr denn je an den Klassenerhalt, weil die Einstellung der Mannschaft gestimmt habe. Tatsächlich hatte Funkel dem Team zuletzt den Fatalismus ausgetrieben. Der Erfolg, so predigte er unermüdlich, werde sich bei weiterem Bemühen einstellen.
Dass aber die Mannschaft gegen Frankfurt das Bemühen einstellte, machte den sichtlich schockierten Funkel ratlos. Regungslos verfolgte er von der Bank aus die wirren Aktionen seiner verunsicherten Elf. "Es gibt Spiele, wo man von außen nicht mehr eingreifen kann", erklärte er später.
Die Herthaner agierten so schwerfällig, als ob sie sich vor der so wichtigen Partie mit Tranquilizern ruhiggestellt hätten. Die Abseitsfalle versagte, immer wieder spielten sie den Frankfurtern im Mittelfeld den Ball in die Füße. In der Disziplin des Fehlpasses tat sich insbesondere das Duo Infernale auf der linken Seite, also Nemanja Pejcinovic und Maximillian Nicu, hervor.
Ochs, Franz und Meier hießen die Frankfurter Torschützen. Es bedarf keiner großen Namen, um Hertha zu deklassieren. Bundesligadurchschnitt genügt. Hätten die schnellen Flügelspieler Patrick Ochs und Ümit Korkmaz nicht ab und an selbst ihre Angriffsläufe abgebrochen, um den Ball in den eigenen Reihen zu halten, wäre die Schlappe für Hertha noch deutlicher ausgefallen. Der Berliner Torhüter Jaroslav Drobny sagte beschämt: "Jeder hat gesehen, wie schlecht wir sind." Fabian Lustenberger erklärte: "Jetzt müssen wir gegen die Kleinen gewinnen."
Er dachte wohl schon ans nächste Jahr. Prinzip Hoffnung eben. Und Werner Gegenbauer betonte: "Wir rücken keinen Millimeter von unserem Saisonziel Klassenerhalt ab." Das hat zwanzig Spieltage vor Saisonende auch noch kein Vereinspräsident beteuern müssen.
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