piwik no script img

■ Herr Hefele kriegt zwei MinutenKein bißchen Frieden für ein trauriges Mädchen namens Steffi

Daß Erfolg eine relative Sache ist, steht fest und muß in keiner Weise besprochen werden. Genauso fest und unverrückbar wie die Tatsache, daß Geld nicht glücklich macht und der Ball rund ist. Auch im Tennissport ist das so bzw. sogar in besonderem Maße so. Das mit dem Ball und auch das andere. Der traurige, oft nicht unerheblich verkorkste Nachwuchs dieser Disziplin hat es schließlich sogar zu einem feststehenden Negativbegriff gebracht: die Tenniskinder.

Nicht „Tenniswunderkinder“ – „Tenniskinder“. Ein Begriff, der einerseits die frühe Meisterschaft im Bälleschlagen impliziert, andererseits unschöne Assoziationen in uns hochkochen läßt. Triste Nachmittage, die die hohlwangigen Kleinen am Netzpfosten verbringen müssen. Angebunden von einem/einer herzlosen Vater/Mutter, der/die nichts anders im Sinn führt, als dem Ball hinterherzutappern, das Seelenheil der am Pfosten jammernden Leibesfrucht völlig ignorierend.

Was bleibt einem solchen Kinde anderes übrig, als sich seine Welt zwischen Grundlinie und Netzkante zu zimmern und das gelbe hin- und herfliegende Ding als Zentrum allen Seins zu begreifen? Und das sie trainierende oder doch zumindest zu mehr Leistung aufhetzende Elternteil als die allmächtigste aller Instanzen anzuhimmeln. Man muß kein Seelenklempner sein, um sich eine Vorstellung davon zu machen, daß sich die Sozialisation eines solches Wesens nicht problemlos gestalten kann, siehe den lebenslang leichenblassen Ivan Lendl, siehe auch den im richtigen Leben kläglich gescheiterten Björn Borg.

Im Frauenbereich scheinen sich traumatische Kindheitserfahrungen noch eine Idee dramatischer niederzuschlagen. Jennifer Capriati und Mary Pierce sind die bekanntesten Namen, die eine mehr oder weniger gestörte Vita repräsentieren. Einen Leidensweg, der mit dem Ehrgeiz der Alten und dem eigenen Wunsch nach Liebe und Anerkennung via Leistung zu tun hat.

Natürlich gehört auch Steffi Graf in die Reihe der verstörten Kinder; die tiefe Falte auf ihrer Stirn spricht eine deutliche Sprache.

Trotz aller Grand Slams und Erfolge in der Nudelwerbung: Der Verlauf ihrer Karriere war stets von der Einflußnahme Vater Grafs abhängig und von den Turbulenzen, die er von Zeit zu Zeit verläßlich auslöste. Sei's der Thustsche Erpressungsversuch, sei's die Steueraffäre – Steffi Graf wurde immer im gleichen Maße gebeutelt wie Papa Peter. Immer wieder am Rande des Nervenzusammenbruchs, und die Falte auf ihrer Stirn wurde tiefer.

Ein trauriges Mädchen, das nur seinen Frieden wollte – wie sie nicht müde wurde zu betonen. Natürlich keine Chance, weil viel zu prominent und reich und im Mittelpunkt des Interesses. Bis sie ein gütiges Schicksal mit reichlich Verletzungen versorgte und ihr dergestalt den Rückzug aus der Schlußlinie ermöglichte. Handgelenk, Rücken, Oberschenkel – alles streikte und ging aus dem Leim, und der Name Graf sackte in der Weltrangliste ab wie eine Bleiente, bis er schließlich in den Zeitungen nur noch als Anhängsel hinter ... auftauchte.

Wie es halt so ist: Es gab andere Namen. Hingis und Williams und Davenport. Frauentennis konnte auch ohne Steffi Graf gespielt werden. Sie hatte ihren Platz in der Ahnengalerie und damit Ruhe. Zeit und Muße, sich anderen Dingen zu widmen, beispielsweise Herrenbekanntschaften zu suchen und mit Genuß die verdienten Millionen zu verjubeln. Tat sie es? Sie tat es nicht. Noch in der Reha-Klinik fing sie zu üben und zu ackern und zu trainieren an. Bis der Slice saß wie immer und sie die Vorhand wieder mit traumwandlerischer Sicherheit und wie immer etwas zu nahe am Körper spielte.

Seit gestern ist sie schon wieder Nummer neun der Weltrangliste. Und erst im Halfinale des Masters in New York ausgeschieden; wie immer mit einem dicken Verband am Oberschenkel. Mit der Ruhe ist es vorbei, und alles ist beim alten. Und man weiß nicht so recht, ob man ihr dazu gratulieren soll...

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen