Heroinsucht mit Hund: Spindler und Spike
Drogen machen kaputt. Christian Spindler weiß es, er pendelte zwischen dem High und ganz unten. Heute ist er auf Methadon und mit Hund.
Der Hund sitzt vor dem Haus der taz und heult. Jeden Tag, so um halb elf, elf. Seine Verzweiflung dauert zehn Minuten. Erst bellt er, crescendo. Dann heult er. Der Hund ruft. Hört ihn keiner? Im Sommer, wenn noch Konferenz ist in der taz, schließt jemand ein Fenster. Im Winter, wenn man aus dem Fenster schaut und sich fragt, was hinter dem Nebel liegt, möchte man mitheulen. Dann kommt das Decrescendo: Der Hund wimmert, verstummt.
Der Hund steht da, seine Lefzen beben, die Leine ist gespannt. Er ist dunkelbraun und hellbraun, eher groß als klein, mit weißer Brust und weißen Vorderpfoten, als hätte er Söckchen an. Er sieht nicht freundlich aus.
Der Hund starrt nur auf einen Punkt, die Ecke, um die er gleich kommt: Christian Spindler, 31, Hundebesitzer, seit zehn Jahren in Berlin. Täglich holt sich Spindler beim Arzt am Checkpoint Charlie sein Methadon. Am Fahrradständer vor der taz bindet er dazu den Hundfest. Der hat dann Verlustängste.
Seit drei Jahren schluckt Spindler Methadon anstatt sich Heroin zu spritzen. Die Tablette beruhigt ihn, lindert den Suchtdruck, die Schmerzen. „Wenn ich das Methadon nicht nehmen würde, hätte ich Durchfall, würde kotzen, du weißt nicht, wo es raus kommt.“ Einen Kick gibt es ihm nicht. Aber auf den kam es ihm beim Heroin auch nicht mehr an, sagt Spindler, ein offener Typ, ein Franke, der wie die Norddeutschen „büschn“ sagt anstatt „bisschen“.
Am Ende nahm er das Heroin nur noch, damit es sich nicht anfühlte, als würden alle schlimmen Gefühle auf einmal kommen und alle Krankheiten. Am Ende, das war kurz bevor Spindler ins Gefängnis ging und Spike kein Zuhause mehr hatte.
Christian und Christina, Spike und Leia
„Eigentlich haben alle Szenehunde einen an der Klatsche“, sagt Spindler. „Aber Spike nicht.“ Er bindet den Hund los. „Spike hat einfach schon viel durchgemacht.“ Trotzdem, findet Spindler, sieht es manchmal so aus, als würde sein Spike lächeln.
Spike bellt jetzt – aber anders: Er krümmt sich vor Freude und tut so, als wolle er Spindler in den Unterarm beißen. „Ja, ja, Spike“, sagt Spindler, „jetzt gehen wir nach Hause.“ Sie gehen los, durch Kreuzberg, am Landwehrkanal entlang, eine Runde durch die Hasenheide, weiter nach Neukölln.
Spike wird bald sieben. So lange kennen sich die beiden. Damals war Spindler mit Christina zusammen, Christian und Christina. Sie war ein paar Jahre jünger als er und auch auf Drogen. Spindler lernte sie beim Entzugsprogramm kennen, für das er damals nach Berlin zog.
Nachbarn hatten Welpen, seine Exfreundin holte Spike. Spindler wollte eigentlich keinen Hund. Er hatte noch ein paar Sachen mit der Polizei in Bayern offen, Drogenbesitz, Hanfanbau. Er wusste, dass er irgendwann ins Gefängnis musste. Für ein Jahr oder so, dachte er.
Einer zieht den anderen runter
Dann holte seine Exfreundin noch Spikes Schwester dazu. Sie nannten sie Leia, wie die Prinzessin in Star Wars. Die vier waren ein Team, immer zusammen, nur manchmal teilten Spindler und seine Ex sich die Aufgaben, einer kümmerte sich um die Hunde, der andere um Geld für Drogen und Drogen. 200 Euro brauchten sie am Tag. Fünf Schüsse für jeden, Heroin oder Kokain oder beides.
„Du denkst die ganze Zeit, wo kriege ich jetzt was her, was ich dann teurer verkaufen kann, wo kaufe ich was für mich selbst, damit auch morgenfrüh was da ist. Ohne Schuss aus dem Bett, das ging nicht.“ Spindler klaute im Supermarkt, Kaffee, Rasierklingen, Schnaps, vertickte das dann an Spät-Shops in Neukölln. Seine damalige Freundin ging irgendwann anschaffen auf der Kurfürstenstraße. „Manche gingen mit ihren Freundinnen mit, um aufzupassen, um Nummernschilder aufzuschreiben. Ich konnte das nicht. Wenn ich die Typen gesehen hätte, zu denen sie einstieg, das hätte ich nicht ausgehalten.“ Er blieb zu Hause, machte sich Sorgen, nahm mehr Drogen.
In einer Drogenbeziehung, sagt Spindler, zieht der eine den anderen immer runter. Nie andersrum. Er und seine Ex waren eine Zeit lang clean. Dann ging es ihr schlecht oder er hatte Probleme, „wegen Amt oder so“. Sie fing an oder er fing an, egal, bald waren sie wieder drauf.
Direkt an die Kasse
Wenn das Geld Anfang des Monats vom Amt kam, kauften sie zuerst Hundefutter. Alles andere kam danach, auch die Miete. Irgendwann flogen sie aus der Wohnung und kamen in einem Haus für Drogenabhängige unter. 18 Quadratmeter für sie und zwei Hunde. Auch andere Bewohner des Hauses hatten Tiere, manche kümmerten sich nicht um sie, die Hunde schissen in die Zimmer.
Spikes Fell ist für seine sieben Jahre noch weich und glänzend. „Welpenfell“, sagt Spindler. Spike ist immer noch verspielt, verrückt nach Stöcken. Auf Spindlers Körper dagegen haben die sieben Jahre Spuren hinterlassen. „Meine Haare“, er zeigt mit seiner Hand bis unter die Schulter, „die musste ich mir abschneiden.“ Als er mal obdachlos war, hat er sich Läuse geholt. „Jetzt wachsen sie nur noch dünn.“ Und seine Haut ist uneben. Aber wenn er lächelt, sieht er aus wie ein kleiner Junge.
Spike kennt den Weg nach Hause. „Leine, das ist nicht dein Ding, ne?“, sagt Spindler und streichelt ihn. Der Hund darf losrennen, muss aber vor jeder Straße stehen bleiben und Sitz machen. „Arsch runter“, wie Spindler das nennt.
Weit weg rennt Spike nicht. Lieber ständig hin und her. Er kontrolliert, ob Spindler noch da ist. Verlustängste eben. Bis vor Kurzem blieb Spike immer noch vor der Badezimmertür sitzen, wenn Spindler aufs Klo musste, erzählt er. Und wenn Spindler einkaufen geht, heult Spike vor dem Supermarkt. Da kennen sie die beiden auch schon. Spindler darf an der Schlange vorbei, direkt an die Kasse.
„Spike hat alles verloren“
Irgendwann musste Spindler weg. Drei Jahre Gefängnis. Es hatte sich dann doch geläppert: die Drogensache, Ladendiebstahl, Schwarzfahren und ja, eine Körperverletzung. Das war so: Er war mit Spike spazieren, Spike und ein anderer Hund fingen an, sich anzugreifen. Der andere Hundebesitzer zog ein Pfefferspray, richtete es auf Spike, Spindler schlug ihm die Hand weg, er richtete es dann auf Spindler und lag kurz danach unter ihm am Boden. Der andere zappelte weiter. „Da hab ich halt noch zweimal reingehauen. “
Justizvollzugsanstalt Moabit. Die Freundin war weg, Spikes Schwester Leia auch. „Spike hat damals alles verloren“, sagt Spindler.
Moabit im Winter, Altbau, dazieht’s. Spindler fror nachts im Gefängnis. Er war es gewohnt, dass Spike am Fußende schlief, schön warm, aber Spike war nicht da, war bei einem Freund untergekommen, dessen Hündin gestorben war. „In den ersten Nächten war es so kalt, da bin ich aufgewacht, habe mich gedreht und nach Spike getastet.“ Zu Hause hat Spike immer gemerkt, wenn es Spindler schlecht ging. Obwohl der Hund abends immer noch mal raus wollte, hat er das dann nicht eingefordert. Er hat sich zu ihm gelegt, den Kopf aufs Kopfkissen. Spike war einfach da.
Die Einzelzelle wurde täglich um sechs Uhr aufgeschlossen. Anziehen, Frühstück. Spindler hatte Glück, als Gärtner konnte er draußen arbeiten. Das Geld, das er verdiente, schickte er seinem Freund, der davon Hundefutter kaufte. „Das Gefängnis war gut. Mal so richtig Abstand.“ Aus der Szene hat ihn niemand besucht. Obwohl sie es doch versprochen hatten.
Besuch von seinen Eltern aber wollte Spindler nicht. Eine Stunde, in so einem sterilen Zimmer. „Das wäre nicht schön gewesen. Ich wollte nicht, dass sie das sehen.“ Und dann denkt man ja auch schon vorher daran, freut sich. „Diese Emotionen“, sagt Spindler, der eigentlich ganz offen über seine Gefühle redet. Die anderen Häftlinge sollten nicht sehen, dass er aufgewühlt ist, angreifbar.
Mehr als drei Tage weg geht nicht
„Your dog is really nice“, sagt ein junger Franzose mit Bart, der seinen Welpen am Landwehrkanal spazieren führt. Spindler hat alle Vokabeln parat, die es für eine Unterhaltung zwischen Hundebesitzern auf Englisch braucht. Einen Moment lang stehen sie zusammen, Spindler dreht sich eine Zigarette. Spike lernt den flauschigen Welpen kennen, zum Spielen ist der zu klein, also rennt er weiter, Schwäne anbellen. „Wenn Spike sich freut, freut er sich richtig“, sagt Spindler. „Dass er nach den drei Jahren noch so ist!“
Im März kam Spindler raus. Er hatte mit seinem Freund ausgemacht, der Hund sollte entscheiden, bei wem er bleiben will. Zwanzig Sekunden hat es gedauert bis Spike Spindler wiedererkannte. Dann sprang er an ihm hoch, rammte seine Pfoten in Spindlers Brustkorb, Bauch, Rücken. „Ich hatte überall blaue Flecken, ich war das ja nicht mehr gewohnt“, sagt Spindler.
Seit dem Gefängnis hatte Spindler keinen Rückfall mehr. Manchmal erinnert er sich an sein erstes Mal Heroin. „Das fühlt sich an, wie wenn man alle superdollen Gefühle gleichzeitig hat. Wie Weihnachten als Kind oder wenn die Eltern einen in den Arm nehmen. Und guter Sex oder so.“
Wenn er sich danach sehnt, geht er mit Spike raus, wirft einen Stock für ihn. „Wieder drauf sein, das könnte ich Spike nicht antun.“
An Weihnachten war Spindler bei seinen Eltern, Spike durfte nicht mit. Er blieb drei Tage, länger geht nicht, wegen Spike und weil es dann auch irgendwann Streit gäbe mit seinem Vater.
Über Silvester sind die beiden außerhalb von Berlin, wo es ruhig ist und keine Scherben auf dem Boden liegen. „Silvester“, sagt Spindler, „ist nichts für Hunde.“
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