Herkunft „Fabel vom Weltmuseum“ zeigt den schwierigen Umgang europäischer Museen mit außereuropäischer Kunst: Die Kuratoren-Ohnmacht
Das Berliner Humboldt-Forum soll ein Schauplatz des Dialogs zwischen den Kulturen werden. Ein Weltmuseum. Weltmuseum, das klingt kosmopolitisch und großzügig. Doch ist es das auch? Die Kuratoren des Museums, das ab 2019 vor allem die Sammlung der Ethnologischen Museen der Hauptstadt zeigen soll, beteuern zwar, dass man den „source communities“ auf Augenhöhe begegnen wolle. Aber letzten Endes werden dort wieder Objekte gezeigt werden, die Europäer indigenen Kulturen geraubt oder abgeschwatzt haben.
Was wäre, wenn man die Idee des Weltmuseums einmal ganz wörtlich nähme? Der italienische Autor Arno Bertina erprobt das in seiner gewitzten Fabel „Mona Lisa in Bangoulap“. Alles beginnt mit der höflichen Beschwerde des Königs des westkamerunischen Bamileke-Volks. Warum, fragt Seine Hoheit Yonkeu Jean, solle er 12 Euro Eintritt zahlen, um eine Skulptur seiner eigenen Vorfahren zu sehen? Der Beschwerde folgt ein Schreiben mehrerer kamerunischer Könige, die von Frankreich freien Eintritt für ihr Volk verlangen. Andernfalls werde man bei der Unesco die Restitution dreier Kunstwerke aus dem Kulturerbe fordern, darunter die des berühmten Throns von Bangoulap.
Um ihren Ruf als ethisch korrekte Institution nicht zu gefährden, gewähren die Museumsmacher schnell freien Eintritt für rund 200.000 Bamileke. In Kamerun aber ist man jetzt erst in Schwung gekommen und fordert freien Eintritt für alle Kameruner. Und dann kostenlose Visa für alle, die Werke ihrer Vorfahren in Europa besichtigen wollen.
Eine Forderung, die in Brüssel schlaflose Nächte bereitet: „War es nicht unmöglich, denjenigen ein Visum zu verwehren, die ihre Reise mit dem Wunsch des Besuchs einer Ausstellung begründeten? Was humanitäre Forderungen mittels des Instruments der Familienzusammenführung nicht hatten durchsetzen können, sollte nun durch affenartige Totems und mottenzerfressene Kostüme möglich werden? […] Und wozu dann die Schengen-Verträge?!“
Genüsslich setzt Arno Bertina eine absurde Kette von diplomatischen Verwicklungen in Gang, die am Ende darin gipfelt, dass die Afrikaner als Wiege der europäischen Kunst Zugang zu den „Kindern“ der Arts premiers fordern. Géricaults „Floß der Medusa“, ausgestellt im Hochzeitssaal von Bangoulap, „wo man freundschaftlich Bier teilt“? Allein bei der Vorstellung fallen mehrere Kuratoren in Ohnmacht. Die Italiener aber fordern unterdessen von den Franzosen: Gebt uns endlich die Mona Lisa zurück!
Bertina legt mit seiner Fabel die Widersprüche des Konzepts „Weltmuseum“ offen. Dass er als Schauplatz das Musée du quai Branly gewählt hat, ist kein Zufall. Die Eröffnung des Pariser Museums löste 2006 eine breite Kontroverse über einen allzu unbekümmerten Umgang mit außereuropäischer Kunst aus: Wessen Eigentum, wessen Erbe machte man hier zu Geld? Und müsste man die in der Kolonialzeit erworbenen Objekte nicht schlicht zurückgeben?
In einem Essay im Anhang zeichnet die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy nach, wie in Europa das Unbehagen am Museum wächst und sich die Erkenntnis ausbreitet, dass die Vergangenheit unserer Museen und die Zukunft Europas zusammenhängen.
Bertinas Fabel endet mit der Hoffnung, dass Europas Staatschefs die Kultur „von der eigenen Raubtierhaftigkeit befreien“ und alles kostenlos für alle wird. Ungefähr 2019 werde das passieren. In dem Jahr also, in dem das Humboldt-Forum eröffnen wird – mit freiem Eintritt für alle, die es sich leisten können, Berlin zu bereisen.
Nina Apin
Arno Bertina: „Mona Lisa in Bangoulap. Die Fabel vom Weltmuseum“. A. d. Engl. v. B. Savoy. Matthes & Seitz 2016, 75 S., 12 Euro
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