Helmut Dietl als Werkausgabe: Münchner Männerschmarrn

Helmut Dietls „Münchner Geschichten“ gibt es nun gedruckt. Beim Lesen fällt auf, was heute fehlt. Vor allem der kluge Blick auf das, was da ist.

Porträt Helmut Dietl, rauchend

Helmut Dietl in der guten alten Zeit (1983) Foto: imago images/Rolf Hayo

Beim Eisenrieder gibt es noch Kaffee wie früher. In seinem Café Münchner Freiheit in Schwabing kann man das Gebräu noch als Portion bestellen. Oder als Kännchen – das geht auch. Frühstücken kann man bis 14 Uhr, und die Leberwurst, die man dazubekommt, schmeckt wie der Kaffee nach einer vergangenen Zeit und gar nicht mal so gut. Früher war eben doch nicht alles besser.

Anders war es halt, als Helmut Fischer noch regelmäßig an einem der Tische vor dem Café gesessen hat, Leute angeschaut hat und sich hat anschauen lassen. Der Schauspieler war da längst verschmolzen mit der Rolle seines Lebens. Er war der Monaco Franze, der letzte Stenz, dem der Regisseur Helmut Dietl in den 80er Jahren eine in München kultisch verehrte TV-Serie gewidmet hat.

Dietl und Fischer leben nicht mehr. Das München, für das sie stehen, ist genauso tot. Wer darüber trauern will, kann sich zu dem in Bronze gegossenen Fischer setzen, den man ein wenig arg überlebensgroß auf die Freischankfläche des Cafés Münchner Freiheit gesetzt hat. Bald soll der verewigte Schauspieler metallene Gesellschaft bekommen. Helmut Dietl soll in Bronze neben Fischer aufgestellt werden.

Vielleicht ist es ganz gut, dass sie nichts mehr bewegen können. Vielleicht ist es ganz gut, dass sie die Stadt, die Dietl in seinen drei großen Fernsehserien „Münchner Geschichten“, „Monaco Franze“ und „Kir Royal“ beschrieben hat, nicht mehr in den Nostalgierausch versetzen können, in den manch Münchner verfällt, wenn eine der Serien mal wieder wiederholt wird.

Der wirklich letzte Stenz

Vor allem der Monaco dürfte viel angerichtet haben. „Spatzl“ hat er zu seiner Frau gesagt, zu der er sich aus der damals noch elenden Schwanthaler Höhe hinaufgeheiratet hat. Wie viele Frauen daraufhin in München von ihren Männern in der Folge „Spatzl“ genannt wurden, ist statistisch nie erfasst worden. Was die Frauen davon hielten, sowieso nicht. Spatzl! Und dabei schauen sie dann anderen Frauen auf den Allerwertesten, weil sie so gerne wie der Monaco wären, der gesagt hat: „Ehrlich gesagt: Ich interessiere mich wahnsinnig für Frauen!“

Und wenn ein Mann dann mal untreu wird, was soll’s? Hat nicht schon der Monaco gesagt, dass er trotzdem treu ist? „Mehr seelisch, verstehst?“ Es ist ein Graus! Noch immer gibt es Mannsbilder in München, die einer Serie hinterherschwärmen, in der der Protagonist eine Frau mit dem Satz anspricht: „Aber ich wollt Sie ja nicht ansprechen. Ich wollt Sie bloß fragen, ob wir nicht eine Tasse Tee miteinander trinken wollen?“

Als Dietl die Serie gedreht hat, waren diese Zeiten eigentlich schon vorbei. Der Monaco war ja der letzte Stenz. Nach ihm sollte keiner mehr kommen. Schade muss die Dietl-Bande, zu der als Drehbuchautor auch Patrick Süskind gehörte, das gefunden haben. Und schade finden es die Monaco-Jünger von heute. Für sie gibt es den Franze jetzt zum Lesen. Der Penguin Verlag hat unter dem Titel „A bissl was geht immer – Die großen Münchner Serien in der Originalfassung“ die „Münchner Geschichten“, den „Monaco Franze“ und „Kir Royal“ im edlen Schuber zur Literatur gemacht. Der Männerschmarrn im schönsten Münchnerisch bekommt dadurch eine schwere Note. Ohne Schmarrn: Das Spatzl gibt es jetzt gedruckt.

Das kann saublöd sein und bitterernst. Was heute als Gentrifizierung beklagt wird, hat es in den „Münchner Geschichten“ schon 1974 gegeben. Da sitzen der Tscharlie, der arg liebenswerte In-den-Tag-hinein-Leber, und seine Oma zum letzten Mal auf dem Balkon ihrer Wohnung. Sie müssen raus, weil jemand Geld mit der Immobilie machen will. Das ist so traurig, dass man fast weinen möchte. Genauso wie über den Besuch von Tscharlie bei seinem alten Freund Gustl, der mit seiner Freundin zusammengezogen ist. „Sie ist Graphikerin – weißt. Bei am Werbebüro“, worauf sie ergänzt. „Public-Relation-Firma.“ Auch 1974 hat es das gute alte München schon nicht mehr gegeben.

„A bissel was geht immer: Münchner Geschichten – Monaco Franze – Kir Royal“. 3 Bände im Geschenkschuber, Penguin Verlag, 720 Seiten, 36 Euro

Schon damals war an der Isar alles nur PR. Und der Tscharlie merkt, nicht nur weil beim Gustl in der Wohnung nicht mehr geraucht wird, dass es aus ist mit der Jugend.

Und was hatte er für eine! Bis nach Sacramento wollten sie reiten – nicht wirklich, aber irgendwie doch schon. „Zwoa Tag hamma noch Zeit bis Sacramento. Verstehst!“ Sie wollten Westernhelden sein, haben sich Pferde besorgt und sind von der Isar doch nicht weiter als bis zum Siegestor am Ende der Ludwigstraße gekommen. Die Reise endet bei der Polizei im Verhör beim „Marshal“, wie der Tscharlie sagt. „Zorro“, antwortet er, als er nach seinem Namen gefragt wird. Toll muss es in diesem München mal gewesen sein, soll man sich da wohl denken. Anarchisch ist es zugegangen. Diese gute alte Zeit: vorbei. Dietls „Münchner Geschichten“ waren das Abschiedslied dafür.

Und noch viel länger waren sie vorbei, als Franz-Xaver Kroetz den Baby Schimmerlos, jenen gnadenlosen Klatschreporter gemimt hat, den Münchens Schickeria umschwärmt und geschmiert hat, um mal ins Blatt zu kommen, um dazuzugehören. Die Promischleicherei galt im Produk­tions­jahr 1985 als zu böse für den Bayerischen Rundfunk und so hat der WDR diese Urmünchner Serie realisiert. Die Stadt ist da gerade dabei, sich den Schickimickis zu unterwerfen, ein ehemaliges bayerisches Gasthaus heißt jetzt „Champs-Élysées“ und ist in den Farben der Trikolore geschmückt.

Doch die Reichen und Schönen der Stadt sind in der „Villa Medici“, weil die den Klatschreporter besser geschmiert haben. „Grüß dich, Baby! Bussi!“ Die Bussi-Bagage hat München unterworfen. Welches München? Das gute alte natürlich. Das München, das schon für den Monaco keinen Platz mehr hatte? Die Stadt, in der der Tscharlie seine Jugend aufgeben musste, obwohl er das nie wollte.

Irgendein gutes altes München

1985 war es dann endgültig aus mit München. Und seit dem Mauerfall gibt es sowieso nur noch Berlin. Wenn man heute im Angesicht des bronzenen Helmut Fischer im Café Münchner Freiheit hinter seiner Portion Kaffee sitzt, würde man sich schon wünschen, dass wieder einmal einer, der es kann, besser vielleicht eine, die es weiß, einen Abgesang auf irgendein gutes altes München singt, das es so eh nie gegeben hat. Vielleicht steht dann da einer oder eben besser eine ratlos vor dem „Aloha Poke“ in der Türkenstraße und fragt sich, wie es sein kann, dass in dem Absturzschuppen, der zu Sperrstundenzeiten noch nach 1 Uhr morgens geöffnet hatte, heute „die Foodsensation aus Hawaii“ feilgeboten wird.

Da ist heute um 10 Uhr abends längst schon Schluss. All die Neu-Münchnenden, die alle bei den DAX- und MDAX-Unternehmen in der Region arbeiten, müssen ja produktiv sein am nächsten Tag. Sie brauchen Kraft für ein Gespräch in der Kaffeeküche über die neue Dirndl-Kreation dieser Influencerin, die mit dem Fußballspieler verheiratet ist, der für den Klub spielt, der alles zuscheißt in der Stadt mit seiner Mia-san-mia-Ideologie.

Am Wochenende, wenn die Personal Trainerin Olga, eine ganz süße Russin, es erlaubt, werden dann ein paar Kollegen eingeladen, zum Anstoßen mit Champagner, weil für irgendwas muss man das Geld ja ausgeben, wenn der Porsche Cayenne längst bezahlt ist. Den Braten liefert Käfer oder der Ingwer-Koch, in dessen Nebenzimmer immer irgendwas läuft und sei es eine schwindliges Geschäft mit einer todsicheren Geldanlage

Ein sauberes Heim

Wer würde nicht gerne eine große Serie sehen, die einen gnadenlosen Blick auf diese Stadtgesellschaft wirft, in der ein Brauerei-Chef „Bier ist Heimat“ sagt, während er gerade die historische Braustätte abreißen lässt, um Wohnraum für Leute zu schaffen, die nicht mit der Wimper zucken, wenn sie 27.000 Euro für den Quadratmeter hinblättern sollen.

Weil es sauber sein soll in dem neuen Heim und es in den Trabantensiedlungen kaum noch genug billige Schuhschachteln gibt, die man an das eingewanderte Prekariat vermieten kann, ist gut möglich, dass die Putzkraft unter irgendeiner Isarbrücke wohnt, was aber nicht weiter stört, weil sie die Türen immer so schön einschäumt. Für Baby Schimmerlos hat noch die Mama geputzt. Früher, würde man beim Betrachten dieser neuen Serie denken, und dass es früher dann doch besser gewesen ist.

So wie es früher eben immer besser war in München, auch wenn es früher auch nicht besser war als vorher.

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