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Heiterer Greis, schöne Leich’

Wo der Tod ein Tabu ist und Europa näher, als man denkt: aktuelle Foto- und Videokunst aus Japan in Rotterdam. Verdienstvollerweise wird die Frage nach Bedeutungen nicht schlüssig beantwortet

Die Japaner leben in der Zukunft; aber weder in deinernoch in meiner

von MAGDALENA KRÖNER

Beim Betreten der Ausstellung im Nederlands Foto Instituut in Rotterdam fällt der Blick ziemlich rasch auf ein gelb leuchtendes Feld voller Sonnenblumen. Geht man näher heran, kann man eine übel gemetzelte Frauenleiche zwischen den Blumen erkennen. Ein Stück weiter ist die Frau in einer Großaufnahme zu sehen: erdrosselt, die Augen starr in einen Himmel gerichtet, den sie nicht mehr sieht, die Hände verkrampft.

„Die Japaner haben sich am Eröffnungsabend sehr darüber amüsiert“, erklärt Kurator Frits Gierstberg. „Gleichzeitig ist es ein absolutes Tabu, über den eigenen Tod zu sprechen. Wenn ich schwer krank wäre, würde in der japanischen Gesellschaft von mir erwartet, meine Krankheit bis kurz vor meinem Ableben zu verheimlichen.“ Tatsächlich erschließt sich bei den Malerei-, Video- und Fotoarbeiten der 13 ausgestellten Künstler immer noch eine zusätzliche Deutungsebene – wobei nicht ganz klar ist, welche die richtige oder die wahre ist; aber das ist, wie im Fall von Izima Kaoru, auch nicht wirklich von Belang.

Noch mal ein Blick also auf die schönen Leichen Kaorus. Der Bildtitel des Sonnenblumenmordes lautet „Matsuda Jun wears Marni“. So lautet in jeder guten Modezeitschrift die einzig relevante Angabe zum Bild. Kaoru ist auch Modefotograf und sieht seine Inszenierungen tatsächlich im Zwischenreich von Mode und Kunst angesiedelt, wobei sie sowohl etwas über den Tod sagen als auch über die ebenso präzisen wie blutrünstigen Fantasien der Models, nach deren Angaben der Fotograf die Szenarien realisiert. Es ist diese Doppeldeutigkeit, die sich dem Zugriff durch westliche Deutungsmuster entzieht und definitorisches Neuland erschließt.

Die Mehrzahl der vorgestellten Positionen befasst sich dennoch mit einer stilleren Weltsicht, die manches Mal westlichen Topoi und Bildauffassungen überraschend nah ist. So erkunden etwa die nüchtern an architektonischen Details interessierten Fotos Yoshiko Seinos die Oberflächen der japanischen Zivilisation, als wäre sie ein Becher-Zögling. Auch die scheußlichen Interieurs von Mami Iwasaki könnten gleichermaßen von einer gegenwärtigen deutschen Generation abgebildet worden sein. Bei Katsuhiro Saikis Arbeiten scheint es wiederum, als hätte er zuvor bei Sol Le Witt angerufen, um sich die Anleitung für ein paar minimalistische Bastelstudien durchgeben zu lassen. Viele Künstler praktizieren den gesuchten Anschluss an den Westen aber auch ganz praktisch, wie Miyuki Ichikawa mit ihren Suchbildern aus Berliner Teleskopen.

Einmal mehr ist es ein sparsam gesetzter Realismus, der sich am nachhaltigsten erweist und nicht allein durch stilistische Familienähnlichkeiten besticht. Taiji Matsues streng arrangierte, fast abweisend nüchterne Fotosequenz schwarzweißer Topografien von scheinbar unberührten Naturlandschaften reduziert die spektakulären Szenarien zu schattenlosen, abstrakten Strukturen, denen jedes Pathos ausgetrieben ist. Plötzlich scheinen kalifornische Landschaften, wie sie Ansel Adams zum Sinnbild nationalen Stolzes stilisierte, vom gleichen Schlag wie die Hügelketten des Sinai, ähnelt Texas plötzlich den Anden.

Gleich um die Ecke hängt eine tastende, biografische Serie, die Shingo Wakagi über seinen Großvater gemacht hat. Über einen Zeitraum von mehreren Jahren hinweg hat er sich an die Fersen dieses agil wirkenden Mannes (dem man wahrlich ein langes Leben wünscht) geheftet und ein sehr persönliches Porträt eines Greises geschaffen, der eine fast befremdliche Lebendigkeit ausstrahlt. Mühelos wechselt der Alte die Dresscodes aus feinem Stadtanzug, ärmlich wirkender Arbeitskluft und funktionaler Freizeitkleidung, ohne dass es ihm je bewusst wäre. Osamu Kanemura zeigt Streifzüge durch die Straßen Tokios und Kawasakis, in denen die Stadt zum Zeichendschungel mutiert, wie er mittlerweile auf jeder besseren Urbanismuskonferenz als Zukunft unserer Städte prophezeit wird. Dazu passt ein wunderbares Zitat von William Gibson, das sich Gierstberg für seinen Katalog ausgeborgt hat: „Die Japaner leben in der Zukunft; aber weder in deiner noch in meiner.“

Die eigentliche Entdeckung in Rotterdam sind zwei strategisch am Eingang positionierte Videos, an denen man sich zunächst vorbeischleichen will. Videokunst – zu viel davon überschwemmt inzwischen Förderkojen, Galerien und Akademierundgänge. Doch die seltsamen, akustischen Signale von Yuki Kimuras Videoarbeit „OX?“ zwingen den Betrachter wieder zur Rückkehr – wie überhaupt das Schauen in dieser Ausstellung ständig von Befremden zu erstauntem Wiedererkennen und wieder zurück pendelt.

„OX?“ zeigt eine simulierte Quizsituation, in der die Probanden, die frontal vor der Kamera sitzen, über Kopfhörer Fragen erhalten, die unmöglich zu beantworten sind. Nach einem nicht durchschaubaren System läuft bei einer wahrscheinlich falschen Antwort ein akustisches und optisches Signalfeuerwerk ab. Die stoischen Mienen der Kandidaten und die Unverständlichkeit von Frage und immerhin englisch untertitelter Antwort laden das Geschehen mit der gleichen absurden Komik auf, wie sie Karaokebars in unseren Augen besitzen. Das zweite Video, „What Are You Afraid Of“, verdichtet Alltagseindrücke, kurze Spielszenen und Zeitlupen zu einem Bilderparcours, der auch bei mehrmaliger Betrachtung rätselhaft bleibt.

Man ahnt etwas, ohne wirklich zu erkennen: Eine hochtourig arbeitende Assoziation müht sich, den Dingen Sinn zu verleihen, was nur ansatzweise gelingen kann – und auch nicht vollständig gelingen muss. Vielleicht ist es vor allem das Verdienst der Schau, die Frage nach Bedeutungen nicht schlüssig beantworten zu wollen. So mag die ideale Wahrnehmung vielleicht dem vorsichtig entschlüsselnden, ruckenden und springenden Blick entsprechen, den der Besucher im Ausstellungskatalog à la japonaise von hinten nach vorn schweifen lassen muss. Die Änderung der Blickrichtung erfordert eine gewisse Übung.

bis 6. 1. 2001, NFI, Rotterdam. Infos: www.nfi.nl

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