■ Nebensachen aus Mokka: Heißes Bier und Schmuggler, die wählen gehen
Mafrag, „Die Kreuzung“, nennen die Jemeniten schlicht den Ort des Verderbens. Ein paar Steinhütten, eine Straßengabelung und ein paar junge Männer und Kinder am Straßenrand, nichts Außergewöhnliches. Erst der zum Mund geführte Daumen eines der Männer und die schlichte Frage: „Suchen Sie etwas zu trinken?“, macht stutzig.
Und dann wird es konspirativ. Ein Wink, hinter die Hütte zu kommen, und ein kurzer Blick, der sicherstellt, daß die Luft auch tatsächlich rein ist, läßt erahnen, daß es sich hier nicht um eine einfache Einladung zum Tee handelt. Was hier bei einem kurzen Stelldichein zwischen Hütte und staubigen Dornenbüschen angeboten wird, ist im Jemen, in dem offiziell die islamische Prohibition herrscht, strikt verboten.
Wie lange die leicht sandigen und fast kochendheißen Bierdosen allerdings schon eingegraben waren oder in der Sonne lagen, will der stolze Verkäufer nicht verraten. Statt dessen entschließt er sich zu einem weiteren Schritt. Nach fünfminütiger Fahrt über eine Steinpiste kommt die Hütte der Familie in Sicht: ein Feldbett, ein paar Plastikmatten auf dem Boden und – kistenweise Whisky, Wodka und Gin. Das ist der „Mualim“, der Meister, erklärt das alte Familienoberhaupt und zieht eine bekannte schottische Marke aus dem Karton.
Er kennt sich aus. Seit zwanzig Jahren ist er im Schmuggelgeschäft. Einmal im Monat bekommt er neue Ladung übers Meer von der afrikanischen Küste aus Dschibuti über einen jemenitischen Zwischenhändler. Viel dürfte für ihn allerdings finanziell nicht mehr übrigbleiben. „Er kann mit seiner zehnköpfigen Familie gerade so davon leben“, sagt er und deutet auf die schlichte Einrichtung seiner Hütte.
Ironischerweise war diese Gegend einst berühmt für ein Genußmittel ganz anderer Art. Die Rotmeer-Hafenstadt Mokka liegt nur eine gute halbe Autostunde entfernt. Von hier aus wurde, wie der Name schon andeutet, bis zum 17. Jahrhundert der gesamte weltweite Kaffeehandel abgewickelt. Doch es waren die Holländer, denen es schließlich gelungen war, das Monopol zu brechen, ein paar der wertvollen Kaffeepflanzen aus dem Land zu schmuggeln und dann wesentlich billiger in Java und Ceylon anzubauen. Damit waren die Tage Mokkas gezählt. Schon längst haben der Sand und das Salz die einst blühenden Handelskontore und die Paläste der Kaffee-Paschas bis auf die Grundmauern zerstört. Unbarmherzig bläst heute der heiße Wind den Sand durch die von ärmlichen Steinhütten umsäumten Gassen.
Gerüchte besagen, daß die Mokkaner regelmäßig die nahe gelegene Kaserne beliefern. Die Offiziere drücken dafür beide Augen zu. So könnte alles unbeschadet seinen weiteren Lauf nehmen, wären da nicht die Islamisten im Lande, die schon im Bürgerkrieg vor drei Jahren den Sündenpfuhl Aden ausgetrocknet haben. Nach der Eroberung der Stadt durch nördliche Truppen und den nachrückenden islamistischen Milizen soll es in den Hafengassen noch tagelang nach ausgeschüttetem Wodka gerochen haben. Kein Wunder also, daß nun alle Mokkaner an der Straßenkreuzung gebannt auf das Abschneiden der Islamisten in der Parlamentswahl blicken.
Hier sind alle stramme Unterstützer des Volkskongresses, der Partei des Präsidenten, offenbart einer der Schmuggler. Die Interessenlage ist klar. Wenn im Laufe der Woche die Ergebnisse der jemenitischen Parlamentswahlen bekanntwerden und der Volkskongreß womöglich seine absolute Mehrheit im Parlament auf Kosten der Islamisten sichergestellt hat, dann werden die Leute an der Kreuzung erleichtert aufatmen. Dann wird das Geschäft wieder für einige Tage florieren, hofft der Alte auf seinem Feldbett, denn dann hat auch die Kundschaft wieder Grund zum Feiern. Karim El-Gawhary
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