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Heißer Ami schmilzt schwedischen Eisblock

■ „Paradiesvogel“ Andre Agassi besiegt Stefan Edberg beim ATP-Finale hochdramatisch in vier Sätzen

Ich bin ein Perfektionist“, meinte Andre Agassi (20) aus Las Vegas in Nevada vor dem Finale um die Weltmeisterschaft der ATP-Tour in Frankfurt. Und deshalb werde er gegen den vier Jahre älteren Weltranglisten-Ersten Stefan Edberg (Schweden) am Sonntag zwar im gleichen Leuchtdress, jedoch noch ein wenig besser spielen als gegen Boris Becker bei seinem 6:4-, 6:2-Sieg im Halbfinale am Sonnabend.

Gesagt — getan: In einem dramatischen Match auf höchstem Niveau zertrümmerte der farbenfrohe Yankee in vier Sätzen — im Finale wurde auf drei Gewinnsätze gespielt — den schwedischen Eisberg und zerstörte so den Mythos vom „Skandinavier ohne Nerven“. Die nämlich flatterten Edberg vor allem im vorentscheidenden dritten Satz sichtbar und gewaltig. Ganze vier Spielbälle hämmerte der sonst so kühle Schwede da ins Netz oder über die Spielfeldmarkierung und vergab so seine letzte Breakchance.

Es waren vor allem die knallharten und placierten Returns des US- Amerikaners, die Edberg an den Rand der Verzweiflung trieben. Eine Serie von „foot-faults“ beim Schweden waren dann Beleg dafür, daß der Weltranglistenführer nach diesem dritten Satz — 7:5 für Agassi — seine Felle schon davonschwimmen sah. Im vierten und letzten Satz breakte Agassi den Schweden gleich im ersten Spiel und machte dann im dritten alles klar.

Mit 6:2 ließ er Edberg nicht den Hauch einer Chance — und hatte dann noch die Kraft, mit einem Riesensatz übers Netz zu springen und seinen pinkfarbenen Schläger gen Publikum zu schleudern: Spiel, Satz und Sieg für Agassi, der 350 Weltmeisterschaftspunkte, die ATP-Königskrone und insgesamt knapp eine Million Dollar Preisgeld mit nach Nevada nehmen durfte.

Artig bedankte sich Agassi beim „großartigen Publikum“ in der Festhalle: „Erst war ich enttäuscht, daß das ATP-Finale nicht in New York stattfand. Doch jetzt muß ich sagen, daß das hier in Frankfurt eine ganz tolle Woche war.“ Auch Edberg lobte die „sachkundigen Zuschauer“ in Frankfurt und die Organisatoren der Veranstaltung, die dafür gesorgt hätten, daß sich die Spieler „außerordentlich wohl gefühlt“ hätten.

Für einigen Unmut beim Publikum und bei den Cracks hatten während der sechs Tage des Turniers nur die Schieds- und Linienrichter gesorgt, die ihr Handwerk — im Gegensatz zu den Spielern — nur mäßig professionell ausübten. Ein Pfeifkonzert war auch während des Endspiels die Quittung für die gravierende Fehlentscheidung eines Linienrichters, die Edberg begünstigte und Publikumsliebling Agassi im dritten Satz kurzfristig aus dem Konzept brachte.

Pfiffe und Buhrufe gab es auch, als sich eine Hallensprecherin bei Oberbürgermeister Volker Hauff dafür bedanken wollte, daß der Schwabe das „Masters“ von New York nach Frankfurt geholt hatte. Merke: Tennisbegeisterte Banker, die schlappe 29.000 DM für eine Loge hinblättern können, sind nur in den seltensten Fällen Fans rot-grüner Regierungsbündnisse.

Die Kolleginnen und Kollegen aus aller Welt, die das Privileg genießen, ausschließlich über Tennisturniere in aller Welt berichten zu dürfen, packten am Sonntag — nach dem letzten Paar „Francfurters“ oder einem Teller Lammgulasch an hausgemachten Spätzle — ihre Schreibmaschinen und Firmenpräsente zusammen und hasteten zu den Maschinen nach Australien — zu den Weltmeisterschaften im Doppel.

Und zurück blieb ein taz-Redakteur, der sich — nach einer Woche Tenniszirkus — wieder in die Niederungen der Politik begeben muß. Alles hat schließlich ein Ende, nur die Wurst... Klaus-Peter Klingelschmitt

(Frankfurt/M.)

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