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Heinz Emigholz über seinen Adolf-Loos-Film"Ich liebe meine Arbeit"

Heinz Emigholz filmt in einzigartiger Weise moderne Architektur. Seine neue Dokumentation über die antiornamentalistischen Bauten von Adolf Loos kommt demnächst ins Kino.

Adolf Loos' Villa Müller in Prag. Bild: Heinz Emigholz

taz: Herr Emigholz, mit biografischen Fakten zu Adolf Loos halten Sie sich in "Loos Ornamental", Ihrem jüngsten Film, auffallend zurück. Aus dem Off ertönen ein paar dürre Lebensfakten, der Rest wird in den Bauten fortgeschrieben, nur mit Raumbildern.

Heinz Emigholz: Das Internet leistet doch unschätzbare Dienste. Ich muss als Filmemacher ja nicht mehr den Oberlehrer spielen, der Ihnen lexikalisches Wissen beibringt. Jeder kann sich das mit Tastenklick beschaffen, warum sollte ich darauf mein Filmmaterial verschwenden? Insofern ist das auch ein Rückgriff auf das, was Kino einmal war. Die Brüder Lumière entsandten Kameraleute in die ganze Welt, um herauszufinden, wie es anderswo aussieht. Das kann ich jetzt wieder tun, ohne diesen Pädagogenbombast.

Sie arbeiten in Ihren Bildkompositionen sehr markant mit Kippeffekten. Fast jede Ihrer Einstellungen ist aus dem Lot. Warum? Um die Räume zu dynamisieren? Um sie zu komplizieren?

Bild: Ueli Etter

Der Filmemacher, Autor und Zeichner Heinz Emigholz hat sich seit seinen frühen Arbeiten Anfang der 1970er-Jahre vom strukturalistischen Avantgarde-Kino über den experimentellen Spielfilm zu einer ganz neuen Form des Architekturfilms vorgetastet. Emigholz aktuelle Filme, die jeweils um das Schaffen eines berühmten Architekten kreisen, zeigen gebaute Materie statt biografischer Fakten, sind auf Fragmente tiefenscharf fotografierter Räume und die filmische Präzisionsarbeit an Flächen und Fassaden konzentriert. Mit dem nun startenden Architekturporträt "Loos Ornamental" (2008) setzt Heinz Emigholz, 61, dessen künstlerische Arbeiten 2007 mit einer Retrospektive im Hamburger Bahnhof in Berlin geehrt wurde, eine Serie fort, die aus Filmen wie "Goff in der Wüste" (2003), "DAnnunzios Höhle" (2005) und "Schindlers Häuser" (2007) besteht.

Es ist einfacher: Ich habe eine Bildfläche, auf der ich eine architektonische Situation, die aus vielen Einzelheiten besteht, fassen will. Grundsätzlich nenne ich das nicht gekippt, sondern: in den Raum hinein fotografiert. Wenn ich den Kopf, von dem aus wir Menschen in die Welt blicken, nehme, so ist der ja nicht fest verschraubt. Sie halten Ihren Kopf hin und her, um sich in der Wirklichkeit ein Bild zu machen. Die Kamera ist der Schwerkraft nicht verpflichtet, weil sie Bilder macht, die projiziert werden und aus denen nichts herausfallen kann. Mir wird gerade von Architekten, die ein seltsam verschobenes Bild des Filmischen haben, manchmal vorgeworfen, dass ich viel zu wenig Bewegung einsetze. Sie sagen, die Kamera müsste diese Räume doch vor allem durch Bewegung rekonstruieren. Aber das würde dazu führen, dass ich den Raum in seiner Abfolge unglaublich eindimensional festlege - durch das Zufallsergebnis einer solchen Fahrt.

Gibts beim Drehen in berühmten Häusern nicht auch andere Produktionszwänge: dass etwa nicht genug Zeit zur Verfügung steht, um einen Raum angemessen zu fotografieren?

Manchmal kommt es zu Konfliktsituationen mit den Bewohnern bekannterer Häuser; die sind an die Präsenz von Filmteams gewöhnt, die da einmal mit der Videokamera durchschwenken und wieder gehen. Wenn sie aber merken, dass das bei mir Stunde um Stunde dauert, kann das schon atmosphärisch ein wenig ungut werden: Man beginnt dann, an den Leuten vorbeizuschauen, damit es zu keinen Gesprächen kommt.

Das einzelne Bild zu bauen ist Millimeterarbeit?

Ja. Ich weiß aber mittlerweile, welche Bilder ich brauche, um einen Raum zusammenzusetzen. Ich fange auch immer sofort an zu drehen. Ich liebe Dreharbeiten übrigens. Wenn ich jetzt hier sitze, hab ich das Gefühl, mein Gehirn läuft nur auf 60-prozentiger Leistung. Beim Drehen läuft es 100-prozentig.

Sie haben neben den Eingang zu Ihrer Berliner Ausstellung im Werkraum des Hamburger Bahnhofs ein Motto gesetzt, demzufolge unsere Augen stets auch nach innen gewandt seien. Sind Ihre Arbeiten also Innenbilder? Illustrationen psychischer Zustände, Visualisierungen von Denkprozessen?

Man muss lesen, wie die Bilder auf der Retina ankommen; das sind sehr komplizierte kulturelle Prozesse, wie und wann man etwas als Bild begreift. In dieser Lage bin ich beim Filmemachen unentwegt: Ich projiziere einen Blick und nehme ihn dann auf - also aktiv-passiv.

Die Frage, wie ein Bild auf der Netzhaut ankommt, beschäftigt Sie schon lange. Ihr Produktionslogo ist eine Art Gitter auf Netzhaut: das im toten Auge eines Kaninchens gefundene letzte Bild eines Laborfensters.

Dieses Bild fand ich in einer wissenschaftlichen Zeitung, in Scientific American, in einem Text zur Retina-Fotografie und zu einem wissenschaftlichen Experiment von Willy Kühne von 1878: Man ging darin davon aus, dass sich das letzte Bild, das ein Lebewesen sieht, wenn man seinen Sehprozess anhält, biochemisch in die Retina einbrennt. Das wurde dann sogar in der Kriminologie verwendet: Man operierte Ermordeten die Netzhäute raus und fixierte deren letzte Bilder, um sich Aufschlüsse über Tatorte oder Tathergänge zu verschaffen, aber man erkannte da meist nur sehr grobe Schemen, Schattenhaftes. Das war natürlich nicht beweiskräftig.

Ihre Architekturfilme sind mit Ihrer rätselhaften zeichnerischen Arbeit nicht leicht in Verbindung zu bringen.

Das sind eben spezielle Aufgaben. Die Architekturfilme haben sich ja aus meiner Spielfilmarbeit heraus entwickelt, wo ich immer schon extrem auf Hintergründe oder Sets reagiert habe. Das wurde, weil ich auch selbst die Kamera führe, immer prekärer. Mit meinen Spielfilmen erlitt ich Anfang der 90er-Jahre Schiffbruch: Mit "Der zynische Körper", dem letzten in dieser Reihe, ging ich 1991 fürchterlich pleite. Ich dachte also ganz pragmatisch: Du willst weiter Filme machen, dann lass die teuren Schauspieler weg und filme das, was dich sowieso am meisten interessiert - die Räume.

Wie viel Forschungsarbeit geht denn dem Drehen voraus? Sitzen Sie da erst mal monatelang in Bibliotheken?

Ich recherchiere vorab, aber das wirklich Wichtige ist dann erst die Drehreise, die Erfahrung, all diese Werke vor Ort zu verbinden. Deshalb verwende ich auch kein historisches Bildmaterial. Denn mich interessiert nur eines: Wie sieht diese Architektur heute aus?

Das Verfallen des Erbes ist in "Loos Ornamental" eine Ebene: Beim Haus Rufer in Wien etwa betonen Sie dessen desolaten Zustand. Aber es geht auch in die andere Richtung: Beim Café Museum fragt man sich eher, wie tödlich Renovierungsarbeit wirken kann.

Ja, das ist fürchterlich hässlich. Und leider, weil ich Wert auf chronologische Ordnung lege, steht das Café Museum gleich am Anfang des Films!

Ihre beiden kommenden Spielfilmprojekte sollen "Tale of Five Cities" und "Second Nature" heißen.

Den ersten Titel bereiten wir gerade vor: Es geht um fünf Städte, aber nur im Subtext um Architektur, in jeder der Städte wird ein etwa 20-minütiger Akt spielen - im iranischen Kaschan, im ägyptischen Alexandria, in Rom, Buenos Aires und Houston, Texas. Es soll ums Atmen gehen und um Aircondition, aber mit Schauspielern - und die einzelnen Teile sollen austauschbar sein. "Second Nature" ist ein ausgearbeitetes Drehbuch, leider ein teurer Film, ein großes Road-movie.

Das klingt wie der Einstieg in eine schon wieder neue Laufbahn. Angefangen haben Sie in den frühen Siebzigern anders, im Avantgardefilm. Erscheint Ihnen das nicht inzwischen sehr fern?

Eigentlich ist das für mich kein Widerspruch. Ich hab so angefangen, weil ich die übliche filmische Abbildung nicht ertragen konnte. Ich kam nicht vom Theater. Die Umsetzung von Geschichten hat mich damals null interessiert. Ich war völlig entfremdet vom jungen deutschen Film. Den fand ich kotzlangweilig. Dass das eine Revolution gewesen sein soll, begreife ich bis heute nicht. Das hat aber auch mit dem Ort zu tun: Wir waren in Hamburg, dort hat seit den 60er-Jahren ein sehr grundsätzliches Neudenken des Kinos angesetzt.

Wie diszipliniert arbeiten Sie denn?

Na ja, ich liebe meine Arbeit, darum stehe ich morgens so früh wie möglich auf; leider bin ich etwas müder geworden. Ich hab daneben auch noch den Uni-Job, das ist eine Art Zeitfresser. Das letzte Jahr war hart.

Sie haben unlängst proklamiert, dass in Ihren Arbeiten "nichts durch dramaturgische Maßnahmen vernebelt werden" sollte. Ist das die Sehnsucht nach einem Kino der absoluten Transparenz?

Transparenz? Jeder Mensch hat doch einen bestimmten Blick. Ich reagiere auf bestimmte Räume fast allergisch. Die Art, mit der Kamera in die Räume zu gehen, ist für mich auch eine Methode, mich zur Wehr zu setzen. Das macht vielleicht das Spannende an diesen Filmen aus: Erst denkt man, das ist ja ne simple Nummer - ein kaum bewegtes Bild nach dem anderen. Nach einer Weile aber merkt man, wie sich die Dinge addieren, und wie der Raum, der sich im Film darstellt, immer komplexer wird. Im Größeren vollzieht sich diese Addition auch in der Struktur der Filme, die jeweils ein Bild der Karriere oder des Lebens eines Architekten aus lauter Fragmenten entwerfen. Ich wechsle, was die Architekturfilme betrifft, meinen Ansatz nicht. Wie kann es daher sein, dass etwa der Loos-Film und der Schindler-Film zwei gefühlsmäßig völlig verschiedene Ergebnisse darstellen? Weil meine Methode das durchlässt, was der Architekt veranstaltet hat.

Das meine ich mit Transparenz.

Wenn Sie es so sehen: ja. Ich empfinde zu den Architekten oder Bauingenieuren, die ich gewählt habe, auch eine gewisse Nähe im Raumempfinden. Ich bin kein Architekt und werde nie einer sein, denn ich kann dreidimensional nichts gestalten. Aber ich kann Architektur ganz gut auf die Fläche runterziehen - und die Räume, die ich zeige, rekonstruierbar machen.

INTERVIEW STEFAN GRISSEMANN

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