Heinrich-Mann-Preis für György Dalos: Gegner der Systeme
Im Schreiben György Dalos’ spiegelt sich der Wandel Ungarns vom Kommunismus zur illiberalen Demokratie. Nun bekam er den Heinrich-Mann-Preis.
„Für, gegen und ohne Kommunismus“: Der Titel, unter dem der ungarische Schriftsteller György Dalos 2019 seine Erinnerungen veröffentlichte, verweist auf ein ideologisch bewegtes Leben. Dem realen Wandel immer ein Stück voraus, spiegelt sich in Dalos auch die jüngere Geschichte seines Heimatlandes, über das er immer wieder in Romanen und Essays geschrieben hat.
Nun wurde Dalos mit dem Heinrich-Mann-Preis ausgezeichnet, der ihm am Dienstagabend in der Akademie der Künste (AdK) überreicht wurde; in Berlin, wo der 79-Jährige seit vielen Jahren lebt.
Dalos, 1943 in Budapest geboren, wuchs in Armut auf, Hunger als ständiger Begleiter. Satt gemacht habe ihn schließlich der Kommunismus, sagte er einmal gegenüber dem Deutschlandfunk, als er in einem staatlichen Lungensanatorium erstmals genug zu essen erhielt.
Dalos studierte Geschichte in Moskau, kehrte anschließend nach Ungarn zurück, wo er 1968 wegen maoistischer Umtriebe verhaftet wurde. Mit Berufsverbot belegt, gehörte der jüdische Schriftsteller zu den Gründern der ungarischen Oppositionsbewegung.
Kein Kokettieren
Im Gegensatz zu vielen westdeutschen Intellektuellen habe Dalos niemals mit seinen „maoistischen Verwirrungen“ kokettiert, sagt der Schriftsteller Marko Martin, der in der AdK die Laudatio auf Dalos hält. Auch von seiner Gefängniszeit und dem Hungerstreik erzähle er präzise, ohne Übertreibungen, immer mit „dem rettenden Seitenhieb auf das absurde Detail“.
Den Heinrich-Mann-Preis erhält Dalos für sein essayistisches Werk, doch ohne die Literatur, so Martin, sei Ersteres nicht zu erklären: „Wie von Dalos sprechen ohne Tamás Cohen?“
Cohen, der charmante Romanprotagonist aus „Die Seilschaften“ und „Der Versteckspieler“, wächst wie Dalos praktisch ohne Eltern auf. Politisch unterwiesen von seinem parteitreuen Onkel Dani, gerät er mit diesem erstmals aneinander, als er sich für einen Schulfreund einsetzt.
Dessen Vater war nämlich Offizier unter dem autoritären Admiral Miklós Horthy, der unter anderem den Erlass antijüdischer Gesetze in Ungarn und so letztlich die Vertreibung der Jüd:innen aus dem Land zu verantworten hatte. Wie Dalos gehört Cohen später der Opposition an und emigriert schließlich nach Westberlin.
Kaputte Gesellschaft
Tamás Cohen, so sagt Martin, sei „von einer kaputten Gesellschaft umgeben“. Dalos benutzt heute ähnliche Worte. In seiner kurzen Dankesrede spricht er von einer „aus den Fugen geratenen Welt“, in der er lebe, und meint damit den „als Militäroperation verniedlichten Vernichtungskrieg“ Russlands gegen die Ukraine.
In Ungarn hält man an der Beziehung zum Regierungschef des Nachfolgestaats der Sowjetunion weiter fest. Gergely Gulyás, Regierungssprecher von Ministerpräsident Viktor Orbán, sagte kürzlich, Ungarn würde den Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs gegen Wladimir Putin ignorieren, beträte dieser ungarisches Staatsgebiet. Auch verzichtete die Europäische Union darauf, den Patriarchen Kirill, Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, auf die Sanktionsliste zu setzen, da Ungarn protestierte.
Über das „System Orbán“ hat Dalos, der die ungarische Regierung offen als illiberal bezeichnet, im vergangenen Jahr ein Buch geschrieben. Andere Texte des Schriftstellers und Historikers widmen sich der Geschichte Ungarns, den Russlanddeutschen oder der Zarenfamilie Romanow.
So ist es schade, dass aus Dalos’ Texten an diesem Abend nicht gelesen wird, sondern mit einem von Katharina Thalbach vorgetragenen Auszug aus Heinrich Manns „Professor Unrat“ literarisch nur an den Namensgeber des Preises erinnert wird. Dessen erzwungenen Austritt aus der Akademie der Künste 1933 ruft die Schriftstellerin und Vizepräsidentin der AdK, Kathrin Röggla, in einer Begrüßungsrede ins Gedächtnis.
Professor Unrat
György Dalos hat zu Manns „Professor Unrat“ eine spezielle Beziehung. Gerade begonnen, wurde ihm der Roman gleich wieder entwendet, als ihn sein Geografielehrer beim Lesen im Unterricht erwischte, erzählt er.
Jahre später geriet er wieder mit dem Stoff in Kontakt, als er – aufgrund seines Publikationsverbots eine „willkommene Abwechslung“ – an einer Biografie über Marlene Dietrich arbeitete, die die Hauptrolle in der UFA-Romanverfilmung „Der blaue Engel“ spielte. Veröffentlicht wurde das Buch allerdings nie. Der Verlag, sagt Dalos, sei kurz davor pleitegegangen.
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