piwik no script img

Heimspiel für Hansi-James

■ Der gebürtige Bremer James Last wippte seine 38 MusikerInnen vor 4.000 BremerInnen in Takt / Auch die Stursten tauten auf / Perfektes Orchester, ausgeklügelte Show

ER war da. Der verlorene Sohn kehrte an die Stätte seiner Geburt zurück. Schwiegermutter Meta war da, der Schulhausmeister auch und irgendwo in Block C saß doch die Frau, die immer beim Bäcker bedient. Rund 4.000 Menschen waren am Donnerstag in der Stadthalle versammelt, um Hans Last, genannt James, ein Heimspiel zu bereiten.

„Hansi“ inszenierte seinen Auftritt in fast klerikaler Manier. Grünviolettes Licht, leicht angedeutete Kunstnebel und quellende Synthesizerklänge begleiteten die Musiker auf die Bühne. Spot an, gleißendes Licht, Applaus, Applaus, nicht enden wollender Applaus und dort oben stand ER. 59 Jahre jung, im frackähnlichen Ensemble, wippte ER seine 38 MusikerInnen in Takt und los ging's. Ein fetziger Bläsersatz eröffnete den Abend mit Fanfare von Emerson, Lake and Palmer.

Froh sei er, wieder einmal in seiner Heimatstadt zu gastieren und nun sollten doch alle „den Alltag und die harte Arbeit vergessen und sich frei fühlen, sich anfassen und tanzen.“ Gleich danach wurden auch alle älteren Be

sucherInnen musikalisch ruhiggestellt, die Overtüre zu Figaros Hochzeit in einer dezenten Pop-Version vertrieb unbegründete Ängste vor unangemessen viel Rhythmus. Schön kurz allerdings, schließlich waren ja alle zu „Hänschen“ gegangen und nicht in die Oper. Nach diesem Ausflug in die Welt der Klassik erhöhte sich die Anzahl der BühnenkünstlerInnen gar auf 45, sechs SängerInnen, die weiblichen in entzückenden Kostümchen auf ihrer afrika-oder karibik-braunen Haut. Besonders das rosarote Bonbontrikot mit Riesenrüschen fesselte so manches Augenpaar.

„Nassings gonne stop as nau“ sollte den nächsten in einer Reihe von Dauerhöhepunkten werden, nicht ohne präzise Querverweise auf die Diskographie und die vorweihnachtlichen Vertriebsbedingungen natürlich. Das Orchester wippte ebenfalls mit, wenn gewisse Instrumentenparts unterbeschäftigt waren und gewunken wurde auch. Es ging wirklich Schlag auf Schlag mit den Schlagern, die Stimmung war prächtig und so fiel es kaum auf, daß ER wirklich auf das Schicksal der

deutschen Trennung hinwies - im Stile: „Die Mauer muß weg“.

Ohne Frage, dieser Orchesterchef versteht sein Handwerk. Neben exzellenten MusikerInnen bestach vor allem die dramaturgische Konzeption des Abends. Licht, Länge der Stücke und die alle vereinnahmende und ständig changierende Stilauswahl bargen für jede(n) ein Stück Zufriedenheit. Als die „schöne blaue Donau“ erklang, jubelten viele schon nach den ersten Takten, ER begab sich in den Innenraum auf ein stimmungsvolles Tänzchen, ein Feuerzeugmeer illuminierte die Halle und ein Großmütterchen fiel ihrem Idol gerührt um den Hals.

Nach Disco und La Bamba, einem maritimen Potpourri und einer Stimmungspolka gaben auch die stursten Bremer ihre Zurückhaltung auf, es wurde geschunkelt und sogar getanzt. Immer und immer wieder winkten die MusikerInnen und verbrüder-und schwesterten sich mit denen, die sich endlich frei fühlten.

Bis zum nächsten Morgen, wenn der Ernst des Lebens wieder losgeht.

Jürgen Francke

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen