■ Heimatkunde: Lüneburger Heide Franz Josef Strauß und John Lennon: Heide-Souvenirs
„Auf der Lüneburger Heide / in dem wunderschönen Land / ging ich auf und ging ich unter / allerlei am Weg ich fand“, schmetterte um die Jahrhundertwende Heidedichter Hermann Löns. Auch der andere große Heidepoet dieses Jahrhunderts, Arno Schmidt, ließ sich in puncto Lob für diesen Landstrich nie lumpen – folgerichtig liegen beide nun auch unter großen Findlingen auf dem Witzer Berg bei Willinghausen bzw. in Bargfeld begraben (ob die aus einem Massengrab des Ersten Weltkrieges überführte Leiche übrigens der echte Löns ist, ist nicht sicher). Kaum bekannt dagegen ist, was zwei andere, auch schon verewigte Zeitgenossen den erikaübersäten Flächen zwischen Aller und Wümme verdanken: Franz Josef Strauß und John Lennon.
Was Strauß angeht z.B. mit fatalen Folgen für das Großwild dieser Erde. Mitte November 1963, eine Woche vor dem Kennedy-Attentat, brauste der damals seit gut einem Jahr wegen der Spiegel-Affäre zurückgetretene, unausgelastete Ex-Verteidigungsminister in seinem neuen Sportwagen auf der Bundesstraße 188 nach Neuhaus – eine Acht-Häuser-Ortschaft zwischen Wolfsburg und Gifhorn mit einem Gasthof mit Schießstand und „Clubräumen“. Zweck der Visite war eine Jagdscheinprüfung. Dieses Examen – normalerweise eine stundenlange mündliche und schriftliche Prozedur, abzulegen vor einem fünfköpfigen Gremium in der Nähe des Hauptwohnsitzes – konnte Strauß in Neuhaus souverän abkürzen. Dort mußte er sich nur einer kurzen mündlichen Befragung eines Drei-Mann-Komitees unter Leitung des 75jährigen Landwirtes Gustav Bosse stellen.
Ein Dokument nach nur kurzem Bum-Bum
Bosse setzte danach ein fünfzeiliges Kugelschreiber-Protokoll auf: „Neuhaus, den 15. November 1963. Am heutigen Tag hat der Dr. hc. Franz Josef Strauß, wohnhaft in Schongau, Christofstr. 8, vor dem unterzeichneten Prüfungsausschuß die Jägerprüfung abgelegt und bestanden.“
Dies Dokument – außer Bosse hatte der Hegeringleiter und VW- Angestellte August Bode aus Wolfsburg und der Kreisschießwart Wilhelm Wellmann aus Gifhorn unterschrieben – legte Strauß dann daheim im oberbayerischen Schongau vor. Und bekam den Jagdschein anstandslos ausgestellt. Kein Wunder, in eben diesem Amt hatte er seine politische Karriere ja 1945 als Landrat begonnen.
Auf seine unorthodoxen Waidmannsbräuche wurde das niedersächsische Landwirtschaftsministerium erst ein Vierteljahr später durch eine Kurzmeldung der Welt aufmerksam. Nachforschungen ergaben dann die genaueren Umstände. „Die sind da doch bloß zum Schießstand gegangen, haben einmal Bum-Bum gemacht, und dann hat der Strauß sein Zeugnis bekommen“, zürnte Forstmeister Schroeder vom Landesjagdverband Niedersachsen. Ansonsten hatte Strauß neben der üblichen Prüfungsgebühr von 30 Mark noch zusätzlich 400 Mark gespendet und seine Prüfer vor seiner Abfahrt noch zu einem Umtrunk eingeladen. Bauer Bosse wurde geschaßt (Schroeder: „Wir haben ihn über die Rüben gejagt“), stellte sein Amt zur Verfügung und ging mit schweren Verdauungsstörungen ins Krankenhaus.
Strauß selbst konterte die Mitte 1964 erhobenen Vorwürfe offensiv („Hetze!“). Reporter Wicke, den er im sommerlich grün-gelben Hemd und kurzer Freizeithose zum Interview für die Neue Illustrierte empfing, erfuhr: „Ich war beim Kommiß ein 1a-Schütze. Ich bin die ganzen Jahre über Sportschütze gewesen. Ich habe auf die Jagd jetzt sieben Patronen mitgenommen und damit habe ich sechs Tiere geschossen. Und zwar jedes Tier mit einem Blattschuß. Das ist einfach Hintertantengeschwätz – dumm. Also, wenn man in Deutschland auf dem Niveau steht, dann soll man sich doch besser über Kaffeesorten unterhalten oder Klopapier ... Alles andere ist doch Krampf. Daß ich zu dumm bin, die Jagdscheinprüfung abzulegen, wo sie jede Königin heute macht.“
Das VW-Werk als Kontaktvermittler
Wicke verriet Strauß auch etwas, was er später gern wieder aus dem Interview-Abdruck herauszensiert hätte: Schon drei Jahre zuvor hätten zwei andere Minister dort in Neuhaus ihren Jagdschein gemacht. Die stellten sich als seine CSU-Kollegen, Innenminister Höcherl und Postminister Stücklen heraus, die eilig versicherten, ihre acht Stunden langen Prüfungen hätten „nichts mit der von Strauß zu tun“.
Wie auch immer, zu verdanken hatten alle drei Herren ihr Dokument letztlich dem VW-Werk. Den Jagd-Kontakt nach Neuhaus hergestellt hatte nämlich ein Spezi Höcherls, der Regensburger VW- Vertragshändler Hartl. Einer der drei Neuhauser Prüfer war eben jener VW-Angestellte Bode, der auch die Jagden seines Wolfsburger VW-Generaldirektors betreute. Und so konnten Höcherl und Stücklen bei der Prüfung als erforderlichen Zweitwohnsitz „Wolfsburg, Unter den Eichen 48–50“ angeben – ein Gästehaus des VW-Werks. Ihren Geheimtip hatten sie dann an Strauß weitergegeben, der seine Prüfung dort ad hoc ansetzen ließ.
Die für die Tierwelt wohl die folgenreichste war – Strauß kannte für die nächsten Jahrzehnte ja bekanntlich nichts Schöneres, als eigenhändig zu seinem schwarzen Präsidentenfreund Eyadema nach Togo zu fliegen und dort auf Elefanten zu ballern. Die werden's denn auch mit Genugtuung vernommen haben, daß es ihn selbst 1988 schließlich auch kurz vor Jagdbeginn beim Fürsten Thurn und Taxis ereilte.
Was John Lennon in der Lüneburger Heide trieb, wird in der nächsten Folge Heimatkunde verraten.
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