Heiko Maas: "Lafontaine fürchte ich nicht"
Heiko Maas möchte saarländischer Ministerpräsident werden. Sein Problem: Dort hat die Linke gute Umfragewerte. Eine Koalition mit ihr schließt der SPD-Landeschef nicht aus.
taz: Herr Maas, haben Sie Angst vor der Linkspartei?
Heiko Maas: Ich wüsste nicht, warum.
Vielleicht weil die Linkspartei der SPD nirgendwo so gefährlich wird wie im Saarland?
Bei der Gründung der Linkspartei vor zwei Wochen ist mir verborgen geblieben, welches landespolitische Programm sie eigentlich verfolgt. Die Partei hat satzungsrechtliche Fragen beschlossen, nichts weiter. Ansonsten ist nur bekannt, dass sie eine reaktionäre Familienpolitik verfolgt, so eine Mischung aus Eva Herman und Bischof Mixa.
Fürchten Sie Lafontaine?
Nein, auch Oskar Lafontaine fürchte ich nicht. Dazu kenne ich ihn zu lange. Ich mache mir aber keine Illusionen darüber, dass er im Saarland höhere Popularitätswerte hat als anderswo und seine Popularität im Wahlkampf skrupellos einsetzen wird. Eine ganze Reihe von Wählern wird bedauerlicherweise darauf hereinfallen. Es gibt für uns also auch keinen Grund, die Linkspartei zu unterschätzen.
Lafontaine möchte mit der Linkspartei die zweitstärkste Kraft im Saarland werden.
Da kann ich nur sagen: Träum weiter, Alter!
Die SPD hat ein verkrampftes Verhältnis zur Linkspartei. Kurt Beck bekommt den Namen Oskar Lafontaine nicht über die Lippen. Generalsekretär Hubertus Heil spricht bis heute von der "früheren PDS". Warum tut sich Ihre Partei so schwer?
Wir haben am Anfang in der Tat Fehler gemacht. Wir sind auf die Provokationen von Lafontaine hereingefallen. Inzwischen hat sich das gebessert. Wir reagieren nicht mehr so reflexartig. Wir setzen uns mit der Linkspartei jetzt inhaltlich auseinander. Ich habe das seit Monaten eingefordert. Lafontaine will doch nur, dass wir uns über ihn aufregen, davon lebt er. Diesen Gefallen sollten wir ihm nicht tun.
In Deutschland vollzieht sich ein Linksrutsch, von dem die SPD aber nicht profitiert. Haben Sie eine Erklärung dafür?
Zum einen macht es uns die große Koalition schwer. Diese Regierung ist weder bei unseren Mitgliedern noch bei unseren Wählern besonders populär. Dazu kommt, dass die Union die Kanzlerin stellt. Allerdings wird so langsam deutlich, dass die Kanzlerin ihre eigenen Leute nicht im Griff hat. In der abgedrehten Debatte um abzuschießende Flugzeuge und imaginäre Atombombenbedrohungen ist das sehr deutlich geworden.
Sie erwarten doch nicht etwa Mitleid?
Nein, ich beschreibe nur unsere komplizierte Ausgangslage. Als zweiter Grund für unsere Schwierigkeiten kommt etwas anderes hinzu: In der SPD gibt es seit langem eine heftige Debatte über unseren politischen Kurs. In der Öffentlichkeit ist offenbar der Eindruck entstanden, die Partei habe sich nicht entschieden, wohin sie will. Das ist nicht gerade hilfreich.
Ist das Ihr Ernst? Die Wähler kapieren nicht, wie gut die SPD in Wahrheit ist?
Nochmals nein. Für unsere Schwierigkeiten sind wir schon selbst verantwortlich. Aber beim Mindestlohn und der Forderung nach klaren Regeln für Leiharbeit haben wir jetzt Themen auf die Tagesordnung gesetzt, die nur mit uns durchzusetzen sind. Die klare Ausrichtung unseres neuen Grundsatzprogramms auf mehr soziale Gerechtigkeit wird uns zugutekommen.
War es nicht die Linkspartei, die den Mindestlohn zuerst gefordert und die SPD damit vor sich hergetrieben hat?
Das ist ein Irrtum. Die SPD besitzt beim Mindestlohn das Urheberrecht. Unsere Partei führt seit Jahren eine ernsthafte Debatte darüber. Aber wir wollten den Mindestlohn auch immer gemeinsam mit den Gewerkschaften durchsetzen. Diese waren sich lange nicht einig, wir wollten sie jedoch mitnehmen.
Als die Linkspartei den SPD-Antrag zum Mindestlohn im Bundestag zur Abstimmung stellte, hat Ihre Partei dem eigenen Vorschlag die Zustimmung verweigert.
Weil es die Linkspartei eben nur auf die Show abgesehen hatte. Heute fordert sie einfach einen Mindestlohn von 8,44 Euro die Stunde. Das ist doch kein Bieterwettbewerb. Eines ist klar: Ohne die SPD wird es keinen Mindestlohn geben. Wir werden ihn durchsetzen.
Aber auf die Frage, welche Partei für "soziale Gerechtigkeit" steht, antwortet eine Mehrheit im Land inzwischen: die Linke. Warum?
Die Linke ist eben eine reine Protestpartei. Sie kann sich darauf beschränken, die Probleme einfach nur zu benennen. Die SPD ist Regierungspartei. Von uns erwarten die Wähler zu Recht, dass wir die Probleme lösen.
Traut sich die SPD überhaupt noch, die sozialen Probleme in diesem Land klar auszusprechen?
Ja. Aber es reicht nicht, das soziale Auseinanderdriften einfach nur zu benennen - man muss ihm auch etwas entgegensetzen. Dieser Herausforderung stellen wir uns.
Im vorigen Herbst ist dem SPD-Vorsitzenden Kurt Beck das Wort "Unterschicht" aus Versehen aus dem Mund gefallen. Seitdem hat man von ihm zum Thema Armutsbekämpfung nichts mehr gehört.
Die Einschätzung teile ich nicht. Kurt Beck hat eine wichtige Debatte angestoßen, und er führt sie weiter. Ich persönlich habe auch kein Problem damit, zuzugeben, dass der Abstand zwischen Arm und Reich in diesem Land größer wird. Dass das den sozialen Zusammenhalt unserer Gesellschaft gefährdet. Dass es Menschen gibt, die es nicht mehr schaffen, sich aus ihrem Unterschichtsmilieu zu befreien. Ihre Armut vererbt sich. Das ist doch der eigentliche Skandal in unserem Land: Die soziale Herkunft eines Menschen bestimmt seine Chancen im Leben. Deswegen ist Bildung auch die soziale Frage der Gegenwart. Dieser Kampf gegen Armut braucht allerdings Zeit. Erfolge auf diesem Gebiet dauern. Was die Menschen jedoch immer sofort wahrnehmen, ist, dass die SPD auch schmerzhafte Entscheidungen trifft, die zwar notwendig, aber mit Einschränkungen verbunden sind, etwa die Rente mit 67.
Was ist das größte Problem der SPD? Dass sie keinen Kurs hat? Keine Führung? Oder keine Geschlossenheit?
Dass wir rückwärtsgewandte Diskussionen führen. Zum Beispiel über die Frage, ob die Agenda 2010 richtig war oder nicht. Die Menschen erwarten, dass wir ihre jetzigen Probleme und die Zukunftsfragen lösen.
Die SPD hat ihre Identität verloren. Deswegen diskutiert sie die Frage, ob Gerhard Schröders Reformen richtig waren.
Weder haben wir unsere Identität verloren, noch haben wir eine solche "Agenda-Debatte reloaded" nötig.
War die Agenda 2010 richtig?
Vieles war richtig, einiges nicht. Ich kenne keine politische Maßnahme, die es verdient hätte, mit den Zehn Geboten der Bibel auf eine Stufe gestellt zu werden. Das gilt auch für die Agenda 2010. Also, etwas mehr Pragmatismus von unseren Modernisierern wäre hilfreich.
Finanzminister Peer Steinbrück sagt über die SPD: "Wir heulen, weil wir Reformpolitik machen müssen. Wir heulen ein bisschen über Hartz IV und über die Agenda 2010. Da sagen die Menschen: Wenn die sich nicht vertrauen, warum soll ich ihnen vertrauen?" Hat er recht?
Ach, die Heulsusennummer. Aus Respekt vor dem Amt des Bundesfinanzministers verweigere ich jetzt besser die Aussage
Es gibt in Deutschland eine gesellschaftliche Mehrheit links von der Mitte. Warum verzichtet die SPD freiwillig darauf, daraus eine politische Mehrheit zu schmieden?
Weil mit der Linkspartei allein wegen ihrer unverantwortlichen Außenpolitik 2009 auf Bundesebene keine Koalition möglich ist. Hinzu kommt, dass die Linke die SPD als ihren eigentlichen politischen Gegner begreift. Das passt nichts zusammen.
Im Saarland wird 2009 gewählt. Da geht es nicht um Außenpolitik. Hätten Sie Lust, gemeinsam mit den Grünen und der Linken den CDU-Ministerpräsidenten Peter Müller zu stürzen?
Lust, Peter Müller zu stürzen, habe ich auf jeden Fall. Ob und wie das geht - das entscheiden die Wähler 2009.
Sie schließen eine Koalition mit der Linkspartei nicht aus?
Es gibt keinen Grund, zwei Jahre vor der Wahl Koalitionsaussagen zu treffen. Die SPD will im Saarland stärkste Partei werden. Da empfiehlt es sich, weniger über Koalitionen zu spekulieren.
Wissen Sie denn überhaupt, was Sie dürfen? Beck sagt: Keine Koalitionen mit der Linkspartei im Westen. Vizekanzler Müntefering meint: Die Bundespartei kann zwar festschreiben, was sie politisch für richtig hält, aber die Landesverbände sind in ihrer Entscheidung über Koalitionen frei.
Kurt Beck hat vor kurzem in einem Interview gesagt, er gehe davon aus, dass ich das Richtige tue.
Aha.
Der Parteichef hat hinzugefügt, dass seine Festlegung, im Westen keine Koalition mit der Linkspartei zu bilden, insbesondere für die Länder gilt, in denen 2008 gewählt wird: Niedersachsen, Hessen, Hamburg, Bayern. Die SPD-Spitzenkandidaten in diesen Ländern sehen das im Übrigen genauso. Was im Saarland geht und was nicht - darüber reden wir 2009, wenn gewählt wird.
Könnte eine rot-rot-grüne Koalition an Lafontaine scheitern?
Die Frage stellt sich erst gar nicht. Lafontaine wird sich ein paar Tage nach der Landtagswahl sowieso wieder vom Acker machen und nach Berlin zurückkehren.
Lafontaine gibt gern Rätsel auf. Ihn treibe im Saarland gar nicht die Rache an der SPD, heißt es, sondern der Wunsch nach Versöhnung mit seiner früheren Partei.
Ich weiß nicht, was Lafontaine treibt. Fragen Sie ihn selbst.
Wann werden die Sozialdemokraten ihre zahlreichen Probleme denn gelöst haben?
Rechtzeitig vor der nächsten Bundestagswahl.
Kurt Beck ist dafür der richtige Parteivorsitzende?
Auf jeden Fall.
Und der ideale Kanzlerkandidat der SPD?
Das wird er selber entscheiden. Aber unabhängig davon, ob ihm gerade mal der Wind ins Gesicht bläst oder nicht - Kurt Beck besitzt ein großes Stehvermögen, er ist bodenständig und glaubwürdig. Diese Qualitäten werden sich am Ende durchsetzen. Und das ist gut so.
Sie würden sich also über seine Kandidatur freuen?
Neulich habe ich in einem Interview empfohlen, wir Sozialdemokraten sollten in der K-Frage einfach mal die Klappe halten. Das tue ich jetzt.
INTERVIEW: JENS KÖNIG
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Die Brennelementefabrik und Rosatom
Soll Lingen Außenstelle von Moskaus Atomindustrie werden?
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen