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Mischt nicht nur Beton, sondern auch im Nahen Osten mit: der deutsche Konzern Heidelberg Materials Foto: Uwe Anspach/picture alliance

Heidelberg MaterialsTochterfirma will illegalen Steinbruch ausweiten

Die UN werfen Heidelberg Materials völkerrechtswidrige Geschäfte im Westjordanland vor. Der Konzern dementiert – und verstrickt sich in Widersprüche.

A m Dax-Konzern Heidelberg Materials gibt es regelmäßig laute Kritik. Wiederkehrende Vorwürfe lauten: Umweltzerstörung, Menschen- und Völkerrechtsverstöße. Kürzlich erhob auch das UN-Büro für Menschenrechte schwere Anschuldigungen gegen den Konzern und seine hundertprozentige Tochterfirma Hanson Israel und nahm beide Unternehmen in eine Datenbank auf, in der insgesamt 158 Firmen aus 11 Ländern gelistet sind, die direkt an der illegalen israelischen Besatzung der Westbank beteiligt sind. Hanson Israel baue im Steinbruch Nahal Raba im Westjordanland Dolomitgestein ab – auf Land, „das palästinensischen Dörfern weggenommen wurde“, wie es in dem Ende September veröffentlichten UN-Bericht heißt.

Noch am selben Tag veröffentlichte Heidelberg Materials eine Pressemitteilung. Darin heißt es: „Hanson Israel betreibt keine Anlagen in den besetzten palästinensischen Gebieten, einschließlich Ostjerusalem. 2023 hat Hanson Israel sämtliche Aktivitäten im Steinbruch Nahal Raba eingestellt.“ Die Aufnahme in die Datenbank hält das deutsche Unternehmen also für „nicht gerechtfertigt“. Schließlich sei Hanson Israel „nicht in den besetzten palästinensischen Gebieten“ tätig. Und: „Der gesamte Standort Nahal Raba bleibt weiterhin geschlossen.“

Die dpa, Deutschlands größte Nachrichtenagentur, griff diese Behauptungen in einer Meldung auf, zahlreiche deutsche Medien verbreiteten sie. Hat das UN-Büro für Menschenrechte einen groben Fehler begangen und eine deutsche Firma zu Unrecht auf seine Liste gesetzt? Oder hat Heidelberg Materials, eines der weltweit größten Baustoffunternehmen, darauf gesetzt, dass niemand den Wahrheitsgehalt ihrer Pressemitteilung überprüfen würde?

Offenbar trifft Letzteres zu. Recherchen der taz belegen, dass die Behauptungen von Heidelberg Materials mindestens irreführend und teilweise falsch sind. Was stimmt, ist lediglich, dass Hanson Israel im Steinbruch Nahal Raba, etwa eine Stunde östlich von Tel Aviv, derzeit keinen Bergbau betreibt. Das jedoch liegt nicht daran, dass sich das Unternehmen an internationales Recht halten möchte, sondern schlicht daran, dass „die Reserven erschöpft sind“. Das schrieb Hanson Israel am 15. August dem Bezirksgericht Jerusalem.

Sie wollen weiter plündern

Das Tochterunternehmen von Heidelberg Materials bemüht sich seit über 13 Jahren um die Erlaubnis zur Ausweitung ihrer Aktivitäten in Nahal Raba. Diese wurde schließlich am 4. Juli 2025 von den israelischen Behörden erteilt. Und nachdem die israelische Menschenrechtsorganisation Yesh Din versucht hatte, die Steinbruch-Erweiterung per Eilantrag am Jerusalemer Bezirksgericht zu verhindern, hielt Hanson Israel im August 2025 dagegen: „Jeder weitere Aufschub verursacht Millionenschäden für Hanson, führt zu Lieferengpässen im Bauwesen“.

Die Antwort der Firma an das israelische Gericht liegt der taz auf Hebräisch vor. Darin heißt es weiter, die „Hanson Israel Nahal Raba – südliche Erweiterung“ betreffe „ein Gelände im Verwaltungsbezirk Tulkarm, auf dem sich bereits ein Steinbruch befindet (…). Der Zweck des Plans ist eine Erweiterung der bestehenden Abbaufläche um 97 Dunam.“ 97 Dunam, das sind etwa 9,7 Hektar, also eine Fläche der Größe von knapp 14 Fußballfeldern.

Die palästinensischen Gemeinden haben keinen Zugang zum Steinbruch

Nahed Samour, Rechtswissenschaftlerin

Weiter schreibt Hanson Israel, ein Aufschub der Ausweitung des Steinbruchs, würde „die Arbeitsplätze vieler palästinensischer Arbeitskräfte“ betreffen. Mit dem Argument, dass der Bergbau in Nahal Raba der besetzten palästinensischen Bevölkerung zugutekäme, verteidigte Heidelberg Materials bereits in der Vergangenheit die Völkerrechtskonformität der dortigen Aktivitäten seiner Tochterfirma. Über 60 Prozent der Arbeitskräfte sollen Palästinenser gewesen sein.

Laut der Rechtswissenschaftlerin Nahed Samour entspricht diese Position nicht der Rechtslage. Die wirtschaftlichen Hauptnutznießer waren – und wären im Falle einer Erweiterung des Steinbruchs – das deutsche Unternehmen Heidelberg Materials sowie die israelische Verwaltung, sagt Samour der taz. Eine dauerhafte oder gewinnorientierte Ausbeutung zugunsten der israelischen Wirtschaft oder Dritter sei völkerrechtswidrig, „wenn sie nicht dem Wohl der besetzten Bevölkerung dient“.

Das sei in Nahal Raba nicht der Fall, sagt Samour. „Die palästinensischen Gemeinden haben keinen Zugang zum Steinbruch, keine Kontrolle über die Rohstoffe und profitieren nicht von der Vermarktung der Materialien.“ Auch die Einnahmen für die behördlichen Genehmigungen des Bergbaus in der Region flössen an die israelischen Besatzungsbehörden, nicht an die palästinensischen Selbstverwaltungsorgane.

Der deutsche Mutterkonzern wusste Bescheid

Heidelberg Materials wusste vor seiner Pressemitteilung vom 25. September 2025 von der Genehmigung der Expansionspläne seiner Tochterfirma. Auf Anfrage der israelischen Nichtregierungsorganisation „Who Profits“ zu der Causa antwortete der DAX-Konzern jedoch: „Dies ändert nichts am aktuellen Status des Betriebs – der Nahal-Rabba-Komplex bleibt geschlossen“. Gleiches schrieb der Zementhersteller nun auch noch einmal der taz: „Es ist keine Wiederaufnahme von Aktivitäten geplant“, insistiert der Konzern.

Doch weshalb will Hanson Israel eine Erweiterungserlaubnis für einen Steinbruch erwirken, der nicht genutzt werden soll? Ein Grund könnten Verkaufsabsichten sein. Zuletzt wiederholte Heidelberg-Materials-Geschäftsführer Dominik von Achten auf der diesjährigen Hauptversammlung im Mai 2025, es sei unverändert das Ziel des Unternehmens, „den Steinbruch bis Ende des Jahres zu verkaufen“.

Durch die Erweiterung gewönne der ansonsten erschöpfte Steinbruch an Wert, gleichzeitig würde Heidelberg Materials das Völkerrechtsproblem Nahal Raba loswerden. Die Sache hat jedoch einen Haken: Nach israelischem Recht ist eine Ausweitung des Steinbruchs eigentlich nur dann erlaubt, wenn der Besitzer derselbe bleibt. Heidelberg Materials beziehungsweise dessen Tochterunternehmen Hanson Israel dürften das Gelände und die damit verbundenen Bergbaurechte also gar nicht verkaufen, sollten sie sie ausweiten.

Zement für den Siedlungsbau

Ob stillgelegt oder nicht, verkauft oder erweitert – über seine Tochterfirma Hanson Israel ist Heidelberg Materials offenbar auch über Nahal Raba hinaus in völkerrechtswidrige Projekte verwickelt.

Die NGO „Who Profits“ wirft Hanson Israel direkte Beteiligung am Bau illegaler israelischer Siedlungen im besetzten Westjordanland vor. Seit 2015 hat sie in vier Fällen Lieferungen durch Hanson-Fahrzeuge in israelischen Siedlungen dokumentiert. Auch der Dachverband kritischer Aktionäre forderte den Vorstand von Heidelberg Materials 2023 auf, Materiallieferungen an israelische Siedlungen in besetzten Gebieten zu unterlassen.

Heidelberg Materials weist die Vorwürfe zurück. Gegenüber der taz erklärte das Unternehmen: „Hanson Israel ist nicht am Siedlungsbau, an der Erschließung von Land oder der politischen Entscheidungsfindung beteiligt“.

Weniger strittig ist jedoch, dass Hanson Israel in den Siedlungsbau auf den von Isreal annektieren syrischen Golanhöhen involviert ist. Das Unternehmen selbst bewirbt seine dortigen Aktivitäten selbst munter auf Instagram: „In diesem Monat besuchen wir die Baustelle des beeindruckenden ‚Ulpana Katzrin‘ Projektes, wo eine 500 m3 Decke für den Kunden gegossen wurde“, heißt es in einem Beitrag des Unternehmens-Accounts vom 8. Februar 2025. Bei dem Bauprojekt handelt es sich um ein Gebäude für eine religiöse Mädchenschule in einer der größten israelischen Siedlungen im geografischen Zentrum der Golanöhen.

Ein anderer Post vom 8. November 2021 zeigt, dass Hanson Israel Zementblöcke für den Bau von Solaranlagen der Firma Lesico lieferte, die die benachbarten israelischen Siedlungen im Süden der illegal besetzten Golanhöhen mit Strom versorgen.

Die Rechtslage sei hier klar, erklärt der Völkerrechtsexperte Matthias Goldmann: „Israelische Siedlungen auf den syrischen Golanhöhen sind genau wie Siedlungen in der besetzten Westbank nach internationalem Recht illegal.“

Verstoß gegen das deutsche Lieferkettengesetz?

Der Generalbundesstaatsanwaltschaft ist der Sachverhalt bekannt, wie sie auf Anfrage der taz mitteilt. Stellung nehmen dazu will sie aber nicht.

Auch die Bundesregierung sah sich bislang nicht zuständig. Denn auch ihr sind die Expansionspläne mindestens seit 2021 bekannt. Auf eine schriftliche Anfrage der Linken dazu antwortete der damalige Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Miguel Berger: „Die Bundesregierung weist deutsche Unternehmen in geeigneter Form auf den völkerrechtlichen Status israelischer Siedlungen in den besetzten Gebieten, die einschlägigen Resolutionen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen sowie die damit verbundenen Risiken hin“.

Seit Januar 2023 gibt es ein neues Instrument, mit dem der Staat die Einhaltung der Menschenrechte in der Lieferkette von Unternehmen überprüfen kann. Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz verpflichtet große Unternehmen, sicherzustellen, dass sie nicht von Menschenrechts- oder Völkerrechtsverletzungen profitieren.

Wenn ein Unternehmen feststellt, dass Rechtsverletzungen stattgefunden haben, muss es Gegenmaßnahmen ergreifen. Es ist zu Präventionsmaßnahmen wie auch Abhilfe verpflichtet. Und das auch, wenn der Anspruch mit geltendem Recht in Drittstaaten kollidiert.

Mit einem Umsatz von 21,3 Milliarden Euro im Jahr 2024 und über 4600 Beschäftigten in Deutschland fällt Heidelberg Materials unter das Gesetz. Es ist demnach verpflichtet, auf Menschen- und Völkerrechtsverstöße von Hanson Israel zu reagieren. Auch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa), das kontrolliert, ob Unternehmen das Gesetz einhalten, könnte eine Untersuchung einleiten und Maßnahmen einfordern.

Auf eine Anfrage der taz, ob Ermittlungen eingeleitet wurden, antwortete das Bafa: „Die Veröffentlichungen des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte (OHCHR) haben wir zur Kenntnis genommen.“ Zu Einzelfällen könne sich das Bundesamt aber nicht äußern.

„Die Besatzungsaktivitäten sind menschenrechtswidrig; sie verstoßen in schwerwiegender Weise gegen das Menschenrecht auf Selbstbestimmung und diskriminieren die palästinensische Bevölkerung“, so Goldmann. Heidelberg Materials riskiere mit seinen Verstößen gegen diese Sorgfaltspflicht nicht nur hohe Bußgelder, sondern darüber hinaus auch den Ausschluss von öffentlichen Auftragsvergaben in Deutschland und der Europäischen Union. „Heidelberg Materials muss also Hanson Israel zur Besserung auffordern und bei Nichtbeachtung die Geschäftsbeziehung beenden“, so der Völkerrechtsexperte.

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