Heftiger Streit über Blockaden am 1. Mai: Grüne kündigen der FDP
FDP-Fraktionsvize Jotzo sieht in Debatte um 1. Mai die Grünen auf dem Weg "in die Meinungsdiktatur". Die sind entsetzt: Jetzt sei "jedes Tischtuch der Zusammenarbeit zerschnitten".
Eine heftige Auseinandersetzung in der Parlamentsdebatte zum 1. Mai belastet das Verhältnis zwischen Grünen und FDP. Beide galten bislang als mögliche Partner in einer Koalition nach der Berlin-Wahl 2011. "Jedes Tischtuch der Zusammenarbeit" sei zerschnitten, erwiderte Grünen-Fraktionschef Volker Ratzmann auf eine von vielen erregten Zwischenrufen begleitete Rede des FDP-Fraktionsvize Björn Jotzo. Der hatte die Grünen auf einem Weg gesehen, der "letztlich in die Meinungsdiktatur führt". Parlamentsvizepräsident Uwe Lehmann-Brauns (CDU) erteilte Jotzo eine Rüge.
Hintergrund war die umstrittene Sitzblockade von Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) gegen die Nazi-Demo am 1. Mai, an der sich mehrere Grünen-Abgeordnete beteiligt hatten, unter anderem der innenpolitische Sprecher Benedikt Lux. Jotzo vertrat in seiner Rede das Prinzip der radikalen Meinungs- und Demonstrationsfreiheit, die nach seinem Verständnis auch für eine Nazi-Demo gelten muss. Er argumentierte dabei mit einem abgewandelten Rosa-Luxemburg-Zitat: "Für uns Liberale steht fest: Freiheit in einer demokratischen Ordnung ist auch die Freiheit des Andersdenkenden." Wer das nicht erkenne, "der sollte gegebenenfalls prüfen, ob er nicht auf der anderen Demo hätte mitmarschieren müssen".
Die Grünen fühlten sich dadurch in die rechte Ecke gestellt. Ratzmann, bei dem zuvor ebenfalls Kritik an der medienwirksamen Thierse-Blockade rauszuhören war - er dankte ausdrücklich jenen Demonstranten, "die zu Tausenden auf der Straße standen jenseits von Kameras und Blitzlichtern" -, sah für Jotzo keinen Platz mehr im Abgeordnetenhaus. SPD-Fraktionschef Michael Müller nannte die Rede "eine Schande".
In seiner Fraktion ist Jotzo, seit 2006 im Parlament, neben dem Chef Christoph Meyer der starke Mann. Er ist nicht nur Vize, sondern auch innenpolitischer Sprecher und parlamentarischer Geschäftsführer. Mit dem Grünen Lux, dem er Nähe zu Linksradikalen vorwarf, konnte man ihn in anderen Sitzungen im vertrauten Gespräch sehen. Die FDP-Fraktion stellte sich hinter ihn: "Wir halten die Rüge für ungerechtfertigt", sagte Fraktionschef Meyer der taz. Jotzo habe sich zwar deutlich geäußert, "aber das muss in einer parlamentarischen Debatte erlaubt sein".
STEFAN ALBERTI
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW
Jahresrückblick Erderhitzung
Das Klima-Jahr in zehn Punkten
Anschlag von Magdeburg
Aus günstigem Anlass