piwik no script img

Hebammen und PolitikWer haftet für das Risiko Geburt?

Der Beruf der Hebamme ist gefährdet. Die Politik sucht nach Lösungen. Die wichtigste Frage ist, wer zahlt, wenn etwas schiefläuft.

In der Klinik oder zu Hause? Bis jetzt kann das noch jede Frau selbst entscheiden Bild: dpa

Timo soll auf natürliche Art zur Welt kommen. Doch die Hebamme, die ihn im Geburtshaus entbindet, macht viele Fehler. Am Ende wird er im Krankenhaus per Kaiserschnitt geholt. 3980 Gramm, 54 Zentimeter, Herzschlag: 0, Atmung: 0, Reflexe: 0. Der Kinderarzt kämpft um sein Leben, nach fünf Minuten endlich: erste schwache Herzschläge.

Heute ist Timo acht Jahre alt. Er kann seine Muskeln nicht kontrollieren. Er kann nicht sitzen, nicht stehen, nicht laufen. Versicherungstechnisch gesehen ist Timo ein „Personengroßschaden“.

Anne Fromm, Redakteurin im Ressort taz2/medien, hat Timos Familie getroffen. In der taz.am wochenende vom 13./14. Dezember erzählt sie ihre Geschichte und sucht Antworten auf die Fragen, die damit verbunden sind.

Für Kinder wie Timo sind die Kosten für Schmerzensgeld, Therapie, Pflege und hypothetischem Verdienstausfall heute so hoch wie nie zuvor. Nicht, weil Hebammen immer mehr Fehler machen. Sondern weil die Lebenserwartung für sie dank moderner Medizin immer höher wird.

taz.am Wochenende

Ein Kind zu bekommen, ist keine Krankheit. Tausende Mütter gehen deshalb nicht in eine Klinik, sondern zu einer Hebamme. Ein Beruf, der vielleicht bald verschwindet. Über das älteste Gewerbe der Welt lesen Sie in der taz.am wochenende vom 13./14. Dezember 2014. Außerdem: Die Schüsse auf den rechten Rabbiner Yehuda Glick zeigen, wie am Tempelberg in Jerusalem derzeit täglich Kriege beginnen können. Die Geschichte eines Anschlags. Und: Endlich Fahrradzeit! Wenn die Kälte klirrt und die Finger am Lenker steif werden, hat man die Straßen endlich für sich. Am Kiosk, //taz.de/%21p4350%3E%3C/a%3E:eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

6.274 Euro Haftpflichtprämie

Deshalb sind in den vergangenen Jahrzehnten die Versicherungsprämien der freien Hebammen immens gestiegen. Zahlten sie 1981 noch 30,68 Euro im Jahr für die Versicherung, sind es heute 5.092 Euro. Im kommenden Jahr könnte die Haftpflichträmie dem deutschen Hebammenverband zufolge auf 6.274 Euro steigen.

Immer wieder gingen Hebammen deshalb auf die Straße. Sie fürchteten, ihr ganzer Berufsstand sei gefährdet, wenn sie sich diese Prämien nicht mehr leisten können. Hunderttausende unterstützten eine Online-Petition des Hebammenverbandes. Es scheint eine große Sympathie für die natürliche Geburt zu geben, außerhalb von Kliniken. Das stellte auch die taz.am wochenende fest, als Sie in dieser Woche etliche Zuschriften zur Streitfrage "Hausgeburt oder Krankenhaus?" erhielt, teils mit flammenden Plädoyers für die Hausgeburt von Müttern, die selbst zu Hause entbunden haben.

„Technik per se ablehnen ist irrational“

Wie erklärt sich der Wunsch nach einer natürlichen Geburt in einer Gesellschaft, die in der High-Tech-Medizin großgeworden ist? „Wenn die Medizin immer technischer wird, werden die Menschen automatisch wieder traditioneller“ sagt die Medizinethikerin Diana Aurenque. Einerseits sehnen wir uns danach, natürlich behandelt zu werden, andererseits haben wir auch das Bedürfnis nach größtmöglicher Kontrolle.

Das richtige Maß sei eben wichtig, betont ihr Kollege Giovanni Maio. „Technik per se abzulehnen hat etwas Irrationales“, sagt er in der taz.am wochenende. Aber die Hebamme sei weiterhin unersetzbar. „Die zentrale Aufgabe der Hebamme besteht darin, sensibel auf die Schwangere zu hören, um durch ihr Können und durch ihre Gegenwart der Schwangeren die Angst zu nehmen.“

Wer haftet?

Unentbehrlich ist der Berufsstand der Hebamme also, doch stellt sich weiterhin die Frage, wer das Risiko für außerklinische Geburten in Zukunft tragen soll: die Hebamme, die gebärende Frau oder doch die gesamte Gesellschaft?

Die Politik will nun eine Lösung finden. Der Gesundheitsminister will kommende Woche einen Gesetzesentwurf im Kabinett diskutieren. Demnach sollen Hebammen nur dann haften, wenn sie vorsätzlich oder grob fahrlässig Fehler bei der Entbindung gemacht haben. Für Schäden wie bei Timo würden die Krankenkassen aufkommen, die Gesellschaft also.

Ist das der richtige Weg? Was meinen Sie? Wenn Frauen weiterhin frei entscheiden sollen, wie sie Kinder auf die Welt bringen, wer haftet dann für das Risiko? Oder sollte eine außerklinische Geburt in Zukunft ein „Luxus“ sein, den Eltern privat bezahlen müssen?

Diskutieren Sie mit!

Die Ganze Geschichte „Timo will leben. Dann soll er“ lesen Sie in der taz.am wochenende vom 13./14. Dezember 2014.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

21 Kommentare

 / 
  • Die neuen Richtlinien der britischen Gesundheitsbehörde NHS sorgten in den letzten Tagen international für Schlagzeilen. Laut dem National Health Service ist eine Geburt zu Hause oder im Geburtshaus nicht nur ebenso sicher, sondern für gesunde Schwangere sogar sicherer als eine Geburt im Spital. Darum sollten schwangere Frauen mit geringem voraussehbarem Risiko besser ausserhalb eines Krankenhauses gebären. Hier mehr dazu:

     

    http://www.srf.ch/gesundheit/gesundheitswesen/hausgeburt-sicherer-als-im-spital

  • Also ganz ehrlich: wo ist doch persönliche Ansichtssache. Hauptsache jede kann so wie sie will und hat auch die Möglichkeit dazu!

  • Die Gesellschaft hat was davon wenn Kinder geboren werden. Wieso sollte sie nicht einen Teil der Kosten übernehmen wenn sie sonst Vorteile von vielen Kindern hat?

    Eine Geburt ist ein vollkommen normales Ereignis im Leben einer Frau/eines Mannes. Mit Risiko hat das in den wenigsten Fällen zu tun.

    Wenn man sich die Praxis in Kliniken ansieht, fragt niemand, ob Gebären nach Uhr & massenweise kostenspielige unnötige medikamentöse Interventionen nötig sind. Die bezahlt die Gesellschaft & niemand beschwert sich darüber. Schon bei der Nackenfalten-Messung, wird selten von Ärzten gefragt, ob die Eltern einverstanden sind, dass sie gemacht wird & sie damit vor die Frage gestellt werden ob sie ihr ungeborenes weiteren unzähligen, mathematisch ungenauen, Tests aussetzen möchten um am Ende evtl. vor der Frage zu stehen, ob sie ihr ungeborenes abtreiben wollen.

    Von diversen Statistiken zur gestiegenen Säuglings- & Mütter-sterblichkeit in Kliniken, trotz gestiegener Sectio-Rate in Industrienationen will ich gar nicht sprechen. Es ist Fakt, dass außerklinische Geburten nicht mehr mit Risiken verbunden sind als innerklinische Geburten. Ich führe hierzu Ina May Gaskins Farm-Geburten-Statistik an, in der die Sectio-Rate bei weniger als 2% liegt. In Holland ist es bspw. normal zu Hause zu gebären.

    Aber in Deutschland, werden "Wunschkaiserschnitte" auf Kassenkosten durchgeführt, über deren Risiken wird geschwiegen, denn dafür gibt es ja jemanden der aufkommt - die Gesellschaft.

    Meiner Meinung nach ist es eine beunruhigende Entwicklung Frauen ihr Selbstbestimmungsrecht & Selbstbewusstsein ein Kind aus eigener Kraft zu gebären, zu nehmen. Es ist ein Menschenrecht, zu entscheiden wo das eigene Kind zur Welt kommt. Im Krankenhaus sterben Säuglinge oder tragen Behinderungen davon, ohne dass irgendwer Schuld daran trägt. Wieso sollte diese Tatsache vor Hausgeburten halt machen? Auch wenn es ein schwacher Trost ist hat sie nichts mit Hausgeburten zu tun.

  • Sie polarisieren. Es geht keineswegs darum, eine Hausgeburt um jeden Preis durchzusetzen. Jeder vernünftig und verantwortlich denkende Mensch ist dankbar, dass die moderne Medizin heute noch helfen kann, wo man vor 300 Jahren nur beten konnte. Allerdings gilt nach wie vor, dass eine Geburt ohne Eingriffe, also eine natürliche Geburt, die beste Option für Mutter und Kind ist. Daher lautet die Formel: so natürlich wie möglich, so medizinisch wie nötig. Und ganz ehrlich: eine Rate von mehr als 93 % pharmakologischen und / oder operativen Eingriffen bei einem primär selbsttätigen Lebensprozess wie derzeit in Deutschland üblich, ist nach meinem Empfinden ein geburtshilflicher Offenbarungseid.

    In Wirklichkeit geht es darum, die Lösung geburtshilflicher Schwierigkeiten nicht allein in der Pharmakologie und der Chirurgie zu suchen, sondern das Jahrhunderte alte, bewährte geburtshilfliche Wissen wieder zu heben und die alten Lösungswege der modernen Medizin voranzustellen. Denn dass das geburtshilfliche Wissen schwindet, bedauern auch renommierte Vertreter der ärztlichen Zunft. Die immerzu beschworene Unvorhersehbarkeit der Komplikationen ist der großen Unwissenheit geschuldet - Unwissende, die die Zeichen nicht mehr kennen und deuten können, können selbstverständlich Komplikationen nicht vorhersehen. Um das Bild des Straßenverkehrs noch einmal zu bemühen: man sollte schon wissen, dass man bei roter Ampel abbremsen und halten sollte, weil es sonst zu Unfällen kommt. Dass man wegen der unzweifelhaft vorhandenen Gefahren lieber gar nicht mehr ins Auto steigt oder nur noch Panzerfahrzeuge zumVerkauf anbietet, fordert ja auch niemand ernsthaft. Und auch eine vorausschauende, defensive Fahrweise hilft. Genau dieses Verhalten führt dazu, dass die Ergebnisse der außerklinschen Geburtshilfe nach einer Studie der Spitzenverbände der Krankenkassen mit der klinischen Geburtshilfe "mehr als mithalten kann" und in vielen Details sogar deutlich besser ist.

  • Ich bin enttäuscht, dass in dieser Zeitungein so schlecht recherchierter Artikel erscheint. Beispielsweise betrifft das aktuelle Versicherungsproblem genauso die Krankenhaushebammen, also ALLE Hebammen in ganz Deutschland. Ich weiß ja nicht, ob wir Deutschen ab kommenden Jahr unsere Kinder nur noch ausschließlich per Kaiserschnitt durch einen Arzt oder als Alleingeburt zur Welt bringen möchten...

  • ich finde den ersten Teil des Artikels gut, denn er beschreibt sehr genau das Problem, um das es eigentlich geht: die Kosten, die entstehen (für viele Jahrzente), wenn ein behindertes Kind zur Welt kommt. Die Frage dahinter: wer trägt diese Kosten? Dass es nicht mehr auf die Eltern allein abgewälzt wird, ist gut! Im Moment landen sie bei den Hebammen/ denen, die "was falsch" gemacht haben - keiner will zahlen.

    Letztlich läuft es auf die Frage hinaus: wollen wir (als Gesellschaft) Menschen mit Behinderung mittragen? (und wie lösen wir das Problem, wenn nicht?...) Können wir es aushalten, als Gesellschaft, dass es Bereiche im Leben gibt, die wir nicht unter Kontrolle haben? Und trotzdem dafür einstehen?

    Abgesehen davon zieht der Artikel am Ende die falschen Schlüsse. Es geht nicht nur um Hausgeburten, sondern um die Geburtshilfe an sich! Auch mit Hochsicherheitsgeburten können wir die Rate der behindert geborenen Kinder nicht weiter senken. (schon das so zu schreiben, finde ich absurd! Was für ein Weltbild steht dahinter!)

    Ich meine: ja, behinderte Menschem mittragen. Ja, dass wir uns wieder damit auseinandersetzen, dass zum Leben der Tod (und alles dazwischen) gehört.

    Und ja: Hausgeburten soll es weiter geben können, denn bur bei einer Hausgeburt und im Geburtshaus gibt es noch Geburten ohne medizinische Interventionen in nennenswerter Größe. (In den Kliniken sind das noch 3%!!!) Und nur, wenn Hebammen und Mediziner schon in ihrer Ausbildung genug natürliche Geburten begleiten können, können sie im Klinikalltag sicher die Entscheidung treffen, wann Intervention erforderlich ist, und wann es gut ist, einem Prozess seinen Lauf zu lassen, der von allein geschieht.

  • Ich bin wirklich schockiert über diesen Kommentar!!!

     

    Es wurden wenig Kinder geboren, bevor flächendeckend Geburtstationen eingerichtet wurden? Stimmt, das liegt daran, dass Hebammen so schlecht sind. Oder liegt es vielleicht daran, dass damals der Lebensstandard (z. B. wirtschaftlich) noch nicht so hoch war? Abgesehen davon haben Familien in Agrargesellschaften auch ohne Geburtenstationen viel mehr Kinder bekommen.

     

    Früher sind viel mehr Frauen und Kinder bei der Geburt gestorben. Stimmt, das liegt daran, dass die Hebammen so schlecht waren. Oder liegt es vielleicht daran, dass damals die Ärzte erst den Grippepatienten behandelt haben, dann kurz in die Leichenhalle sind und dann ein Kind entbunden, ohne sich einmal zwischendurch die Hände zu waschen? Neben Hygiene sind auch Bluttransfusionen, erhöhte Lebenserwartungen oder Medikamente usw. natürlich auch keine Gründe. Es liegt allein daran, dass die Hebammen absichtlich die Kinder und Frauen haben sterben lassen. Das Wissen über Hygenie oder medizinische Risiken, vernachlässigen Hebammen absichtlich, weil sie keine Ärzte sind. Auch ihr Wissen über Atemtechniken, Entspannungsübungen oder die Wissensvermittlung vor der Geburt setzen Hebammen nicht ein, weil die Geburt ja ansonsten unkompliziert verlaufen könnte. Was dann aus den ängstlichen Müttern und Vätern wird, die zu Ärzten rennen, mag man sich gar nicht ausmalen.

     

    Es ist fahrlässig, "nur" eine Hebamme zu haben? Diese Aussage bringt mich wirklich zum Weinen, so sehr verletzt mich diese Ignoranz persönlich. Ich arbeite mit so verantwortungsbewussten, tollen Hebammen zusammen. Und ein so unwissender Mensch bringt es wirklich zustande, so heftig zu urteilen!

    Ärzte beschäftigen sich mit Krankheiten. Wenn man schwanger ist, ist man nicht krank. In meiner Familie gab es letztens einen Fall, bei dem das Neugeborene nach der Geburt 4 Wochen (!!!) im Krankenhaus war, weil es bei einem (Wunsch-)Kaiserschnitt zu Komplikationen kam.

  • ich schließe mich der lesermeinung, dass dies ein sehr schlecht recherchierter bericht ist an. es betrifft die komplette geburtshilfe nicht nur die hebammen. die haftpflichtversicherungsprämien sind auch für die kliniken nicht mehr zu bezahlen. es gibt kliniken in nrw die gar keine haftpflichtversicherung mehr haben. die haben anscheinend keine versicherungspflicht. hebammen aber schon.

    desweiteren sind ca. 25% aller geburten in kliniken von freiberuflichen hebammen betreut. in bayern sogar deutlich mehr. diese brauchen auch eine eigene haftpflichtversicherung. also wieder kein marginales problem für familien die außerklinisch gebären wollen.

    in england wurde vor wenigen tagen die hausgeburt für frauen mit geringem risiko von der gesundheitbehörde empfohlen (s. hier: http://www.frauensicht.ch/Artikel/Koerper/Behorde-jetzt-fur-Hausgeburten) und auch in deutschland konnte bei der letzten gkv-studie kein größeres risiko bei außerklinischen geburten festgestellt werden. hmmmm....

  • Die bisherigen Leseräußerungen irritieren mich.

    Bei der Hausgeburt meiner Söhne vor 25 Jahren war es selbstverständlich, dass die Hebamme mit einem Arzt zusammen gearbeitet hat. Ebenfalls hatte für den Notfall ein Arzt Hintergrundbereitschaft.

    Klar, ein halbes Krankenhaus mit medizinischen Geräten war nicht dabei.

     

    Die Aussage, dass man während der Schwangerschaft keinen Rohmilchkäse essen soll, ab einem Stadium, oder bei der und der Komplikation die Nähe von Kindern meiden soll (was macht da eigentlich eine Mutter, die schon Kinder hat?) und vieles weiteres, gab es vor 20 Jahren entweder schlicht nicht - oder wurde uns nicht mitgeteilt.

    Oh Du schöne neue Welt, der krampfhafte versuch "alle" Gefahren auszuschalten führt sicherlich zu 0,(Komma) weiß ich nicht - mehr gesunden Geburten.

     

    Ich erinnere mich wie meine Frau drei Wochen vor der Geburt aus ca. 2 Meter höhe von der Leiter fiel. Was für ein Schreck!

    Zunächst legte sie sich hin, dann nach dem sie sich beruhig und ausgeruht hatte, fuhren wir zum Frauenarzt um abzuchecken, ob alles o.K. sei, der verordnete zwei Tage Schonung und gut wars.

    Eine solche Handlungsfolge scheint mir heute in Deutschland nicht nur unvorstellbar, sondern würde vermutlich als unverantwortlich bezeichnet.

    Die Aussage "eine Schwangerschaft ist keine Krankheit" trifft bei uns in meinem Erleben leider immer weniger zu.

    Es ist ein wesentlicher unterschied, ob wir als Gesellschaft festlegen, dass Schwangere z.B. ab dem 5 Monat in einen Schwangerschaftsschutz gehen dürfen, da wir das den Frauen und baldigen Erdenbürgern gönnen, oder wie es heute geschieht fast jede Schwangere irgendwann krank geschrieben wird.

  • Eine Hausgeburt ist vielleicht etwas schönes, aber letztendlich muss man überlegen wieviele Kinder man bekommen hat, bevor Flächendeckend Geburtstationen eingerichtet wurden und vorallem wieviele Kinder/Frauen (werdende Mütter?) bei der Geburt starben.

     

    Auch wenn eine Geburt keine Hochrisikooperation ist, ist es finde ich trotzdem mit einem hohen Risiko verbunden und wer sich darauf verlässt, dass eine Hebamme "ausreicht" für den Fall handelt in meinen Augen schon fahrlässig.

     

    Desweiteren sinkt durch Hausgeburten die Auslastungsraten von Geburtsstationen, leider ist das dann ein Grund eben diese zu schließen und dadurch (längere Anfahrtswege) kann sich das Risiko für Mütter erhöhen die sich auf ein Krankenhaus verlassen wollen.

     

    Das soll jetzt kein Plädoyer sein, den Berufsstand der Hebamme ab zu schaffen. Sondern einfach ein dafür, dass sie sich auf spezielle Aufgaben spezialisieren. Dazu gehört aber nicht das Entbinden bei Komplikationen.

     

    Begleiten der werdenden Mutter, Beratung zu den ersten Kindesmonaten/Jahren, Geburtshilfe bei unkomplizierten fällen. Alles ganz klar wo ich eine Hebamme nicht missen möchte.

     

    Aber an dem einen speziellen Tag, an dem Entbunden wird, sollte definitiv ein Arzt in der Nähe sein, der bei komplikationen eingreifen kann. (Der Arzt muss jetzt nicht dabei stehen oder jede Entbindung vornehmen. Aber innerhalb von 5 Minuten (Finde das ist schon eine enorm lange Zeit.) Muss einfach ein Arzt der sich mit Entbindungen auskennt (Also kein Notarzt) zur Stelle sein können.Alles andere würde ich als fahrlässig bezeichnen.

    • @Sascha:

      Zum Abschluss: Wer führt denn im Krankenhaus die Geburt durch? Nein, das ist nicht der Arzt. Auch das macht die Hebamme. Der Arzt kommt nur, wenn es Probleme gibt. Und diese Probleme treten häufiger auf, weil die Krankenkassen diese Probleme viel höher honorieren als Normalfälle (siehe Kaiserschnitt). Diese Probleme existieren auch deswegen häufiger, weil die fortschrittliche, vorsichtige Medizin viel mehr Risikofälle macht. Was sind denn heute Risikoschwangerschaften? Frauen, die über 35 Jahre alt sind oder Diabetes haben, wären früher nie schwanger geworden. Im Gegensatz zu Ärzten behandeln Hebammen übergewichtige oder ältere Frauen aber nicht wie "Risikofälle", sondern lassen ihnen alle Unterstützung zu kommen.

       

      Und was macht man denn bei einer Hausgeburt, wenn da Komplikationen auftreten? Da kann man ja gar nichts machen, immerhin ist kein Arzt in der Nähe. Oder warte mal, wie heißen diese neumodischen Fernsprechgeräte doch gleich? Klar, man kann dann einen Arzt rufen. Und die spezialisierte Hebamme hat sogar so viel Wissen, dass sie ganz genau weiß, wann sie das machen muss. Der Arzt kann sogar im Krankenwagen kommen, sodass die Frau bei Problemen sogar direkt ins Krankenhaus gebracht werden kann. Klar, kann dieser Weg zu lang sein und Frau und Kind können sterben. Aber das kann auch im Krankenhaus passieren. Das kann man nie ausschließen. Wer ist denn eigentlich daran Schuld, wenn ein Kind im Krankenhaus bei Anwesenheit des Arztes stirbt?

       

      Anstatt die Geburt zu pathologisieren, kann man sich auf seine Hebamme verlassen.

      Die Statistik spricht sogar eher dafür, dass es "fahrlässig" ist, sich im Krankenhaus verrückt machen zu lassen.

       

      Zum Nachlesen: - http://www.aerztezeitung.de/medizin/krankheiten/hormonstoerungen/article/842304/hausgeburten-nicht-immer-riskanter-klinik.html

      - http://www.ndr.de/nachrichten/schleswig-holstein/Eltern-kaempfen-fuer-kleine-Geburtsstationen,geburtshilfe109.html

    • @Sascha:

      Am Ende sagst du aber einen richtigen Satz. Jeder soll sich spezialisieren. Das haben die Hebammen getan, sie haben sich auf die Geburtshilfe spezialisiert. Zu dieser Spezialisierung gehöre nicht das Entbinden bei Komplikationen. Das ist zwar auch nicht ganz richtig, weil auch da die Hebamme mit ihrem Wissen Unterstützung leisten kann. Das ist sogar im Gesetz verankert, wo vorgeschrieben wird, dass bei JEDER Geburt eine Hebamme dabei sein muss (eine Hebamme muss dabei sein, kein Arzt - laut Gesetz!). Aber trotzdem sollte bei Entbindungen mit Komplikationen ein Arzt dabei sein, das stimmt.

      Jetzt kommt aber der Knackpunkt: In den aller seltensten Fällen ist eine Komplikation bei der Geburt vorhanden. Studien haben gezeigt, dass nur bei 0,3% der Geburten ein sofortiger Kaiserschnitt notwendig ist. Wenn es also "fahrlässig" ist, zu meinen, eine Hebamme "reiche" aus. Dann überlegen wir mal, was statistisch noch viel fahrlässiger ist als eine Hausgeburt (und auch mit dem Risiko des Todes von Menschen verbunden):

      - über eine rote Ampel fahren

      - die Geschwindigkeit zu überschreiten

      - beim Fahren zu telefonieren

      - beim Fahren aufs Handy zu gucken

      - überhaupt Auto zu fahren

      - zu fliegen

      - Alkohol zu trinken

      - zu Rauchen

      - Sport zu machen

      - usw.

    • @Sascha:

      Kaiserschnitt war nicht notwendig, sondern der wurde durchgeführt auf Wunsch der Mutter, die Angst vor der Geburt hatte, keine Hebammenbetreuung erhalten hat und auch der Arzt hat zu ihr gesagt, dass der Kaiserschnitt gefährlicher ist als die natürliche Geburt. Aber der Kaiserschnitt rentiert sich leider für Arzt und Krankenhaus. Immerhin muss bei der Geburt "nur" eine Hebamme anwesend sein, da werden dann 200 Euro abgerechnet. Bei einem Kaiserschnitt müssen mindestens 2 Ärzte (Anästhesist und Gynäkologe) sowie Schwestern anwesend sein. Da rechnet man locker ein paar tausend Euro ab, wenn es Komplikationen gibt, natürlich noch mehr.

      Das Neugeborene hatte eine Infektion wegen Wasser in der Lunge, das kann bei einer natürlichen Geburt gar nicht passieren. Wer bezahlt eigentlich die Langzeitfolgen dieses "Fehlers"? Und wer ist daran eigentlich Schuld? Bestimmt nicht der Arzt, der hat den Kaiserschnitt zwar gegen besseren Wissens (denn ja, selbst Ärzte sagen, die natürliche Geburt sei das Beste) durchgeführt, aber es ist ja nicht "fahrlässig" sich auf einen Arzt zu verlassen. Ein Arzt weiß im Gegensatz zur Hebamme natürlich alles und macht keine Fehler.

       

      Durch Hausgeburten sinken die Auslastungsraten von Geburtstationen? Das ist eines das lächerlichste Argument gegen Hausgeburt, das ich jemals gehört habe. Klar, bei ca. 1% Hausgeburten in Deutschland machen die natürlich den Löwenanteil aus und sind eine echte Bedrohung für Geburtenstationen. Außerdem sollten Frauen und Familien lieber auf ihre individuellen Wünsche, z. B. eine Hausgeburt zu machen, verzichten, damit die Krießsäle nicht schließen müssen! Wo kämen wir denn da hin, wenn in unserer so fortschrittlichen Gesellschaft auf individuelle Bedürfnisse Rücksicht genommen wird. Und abgesehen davon führt sich dieses Argument logisch selbst ab absurdum. Wer sorgt denn für eine flächendeckende Geburtshilfe? Das sind die Hebammen!

  • Die taz folgt einer undifferenzierten Debatte!

     

    Erstens, es gibt eine Menge Studien (der KV-Verbände und anderer), die belegen, dass Hausgeburten nicht riskanter sind als Klinikgeburten, nur eben weniger invasiv.

     

    Zweitens, die hohe Haftpflichtprämie gilt nicht nur für Hausgeburten oder Geburtshausgeburten, sondern AUCH für sämtliche Geburten in Belegkliniken, es betrifft also außer die wenigen Universitätskliniken fast alle Hebammen in Deutschland, also AUCH die, die in Kliniken Geburten begleiten.

     

    Drittens, die Haftpflichprämien steigen auch für Belegärzte und ärztinnen, es ist also nicht allein ein Problem des Berufstandes.

     

    Viertes, in England wird gesunden Frauen empfohlen, außerklinisch zu gebären, "weil die Hausgeburt die Entbindung der ersten Wahl, weil die Rate der geburts­hilflichen Interventionen (von Regionalanästhesie über Episiotomie und assistiere Geburt mit Zange oder Saugglocke bis zum Kaiserschnitt) geringer ist, ohne dass sich die Komplikationsrate erhöht" http://www.aerzteblatt.de/blog/61117/England-auf-dem-Weg-zur-Hausgeburt

     

    Fünftens kann man in den Niederlanden sehen, dass Hausgeburten kein Problem einer der Technik überdrüssigen Gesellschaft sind (eine allzu banale Erklärung!), sondern einer geburtshilflichen Tradition entspringen.

     

    Sechstens wird in all jenen Berichten kontra natürlicher Geburt (hierunter zählt eine Spontanentbindung, egal wo) immer verdrängt, dass in der klinischen Geburtshilfe ebenso schlimme Fehler passieren (können), dass die hochinvasive Klinikgeburt allerlei Risiken in sich trägt, inkl. einer Menge irreparabler Folgeschäden durch die hohen Kaiserschnittraten (Allergien, Verwachsungen, Komplikationen bei nachfolgenden Geburten).

     

    Und natürlich ist es richtig, dass Schäden in der Geburtshilfe - wie etwa bei Medikamentenschäden auch - vergesellschaftet werden und bei vorsätzlichem Handeln die Hebamme dennoch belangt werden kann. Bitte nachrecherchieren!

    • @Marc Lehmann:

      Ja, es gibt tatsaechlich Forschungsergebnisse zum Thema. Auch in Deutschland etabliert sich die Hebammenwissenschaft- warum konnte die Taz nicht mit einer promovierten Hebamme sprechen anstatt mit ungenauen und falschen Zahlen um sich zu werfen?

      Hauptursache fuer die reduzierte Muettersterblichkeit seit dem 19. jahrhundert sind nicht Kaiserschnitte sondern die allgemeine Verbesserung der Lebensbedingungen.

    • @Marc Lehmann:

      Danke für diese kenntnisreiche und differenzierte Antwort! Ein Lichtblick in dieser Debatte. Unfassbarbar für mich das miserable Niveau, auf offenbar sogar die TAZ argumentiert....

  • Bei natürlicher Geburt auf Wunsch der Mutter, muss die Mutter haften.

     

    Bei unvorhersehbaren Komplikationen, die keine Hebamme der Welt verhindern hätte können, muss die Gesellschaft haften.

     

    Bei Fehlern durch die Hebammen, muss die Hebamme haften.

     

    Bei einer Mischung der oben genannten, wird die Haftung prozentual nach 'Schuld' verteilt.

     

    Also bitte, so kompliziert is des doch echt net

  • Selbst die taz schafft es nicht, dieses Thema in seiner vollen Bandbreite zu erfassen und macht daraus die Diskussion 'Hausgeburt versus Krankenhaus', die absolut absurd ist, da es genügend Statistiken darüber gibt, die besagen, dass beides gleich sicher ist. (Teurer ist hingegen die Krankenhausgeburt.)

    Die allerbesten Ergebnisse erzielen hebammengeleitete Kreissäle. In denen, sowie in etlichen herkömmlichen Geburtskliniken, arbeiten auch freiberufliche Hebammen und Ärzte. Auch diese Stationen werden reihenweise geschlossen aufgrund der steigenden Haftpflichtbeiträge für Hebammen und Ärzte.

    Sylt hat keine Geburtsklinik mehr. Das Ergebnis: Seitdem die Frauen wochenlang auf dem Festland einquartiert werden, um dort zu entbinden, stieg die Kaiserschnittrate der Sylter Frauen auf 100%.

    Weltweit gibt es die Ansicht, dass all das: der Stress, die Demütigung, im Auto (aufgrund der immer länger werdenden Wege zur nächsten Klinik) oder auf dem überfüllten Klinikflur mit überlastenden Hebammen und Ärzten zu entbinden, okay ist, solange am Ende Mutter und Kind wohlauf sind. Bei jeder Blinddarmoperation würde man sich über diese Zustände mehr aufregen.

    Bei dem Streit um die steigenden Haftpflichtbeträge geht es genau darum: Dass es flächendeckend möglich ist, Kinder gut auf die Welt zu bringen, in Würde und mit der Zuwendung von Fachpersonal, so entspannt wie möglich.

    Und nicht, ob das in einem Krankenhaus, einem Geburtshaus, oder zu Hause stattfindet. Freiberufliche Ärzte und Hebammen gibt es überall da, wo Kinder auf die Welt kommen.

  • "Ein Kind zu bekommen, ist keine Krankheit." - der schöne alte Satz, der immer wieder zitiert wird.

     

    Wie wäre es mit dieser Sichtweise: Seit Jahrtausenden wird ohne medizinische Betreuung geboren. Natürlich - aber natürlich auch mit entsprechenden Komplikationen. Die moderne Medizin konnte viele Geburtsrisiken mindern. Wer das für sich nicht möchte, kann das Risiko gern wieder steigern.

     

    Einen Zwang zu mehr Sicherheit - analog etwa zur Gurtpflicht beim Autofahren - gibt es für werdende Mütter ja nicht.

     

    Aber dann hoffen, dass im Fall der Fälle der Notarzt rechtzeitig gerufen wird, schnell genug vor Ort ist und auch noch etwas ausrichten kann.

     

    Wer einmal unvorhersehbare Komplikationen miterlebt hat, für den ist eine Hausgeburt oder Geburtshaus wie Seiltanz ohne Trapez und doppelten Boden - warum sollte man auf diese Sicherheitsnetze verzichten wollen.

  • Bei einem meiner Kinder gab es nicht vorhersehbare Komplikationen, die nach Aussage der behandelnden Ärztin bei einer Hausgeburt vermutlich lebensbedrohlich für Mutter und Kind verlaufen wären. Für mich ist die Antwort auf Ihre Frage daher eindeutig.