: Heavy Rotation
Im Klub N+K liest Mirko Bonné heute aus seinem Roman „Der junge Fordt“ ■ Von Karsten Clook
Mirko Bonné, 1965 in Tegernsee/Oberbayern geboren und in Hamburg lebend, ist bislang als Dichter und Übersetzer bekannt. Seine beiden Gedichtbände Langrenus und Gelenkiges Geschöpf wurden vom Rospo-Verlag veröffentlicht. Nun ist bei DuMont sein Debütroman Der junge Fordt erschienen, aus dem er heute auf Kampnagel im ehemaligen Foyer der Halle 4 lesen wird. „Klub N+K“ heißt der Ort nun, und immer donnerstags werden hier ganz unterschiedliche Genres wie Musik, Party, Kunst, Klassik und Film bedient.
Der junge Fordt ist die Reise in eine stecken gebliebene Explosion, auf der nachverfolgt wird, wohin es die Atome versprengt hat und warum es nicht weiterging. Eine Splittersuche an lebenden und toten Körpern. Die Bombe wurde in der Vergangenheit gezündet und heißt Familie. In ihrem Kern wurde schon vor der Explosion erdrückt, was sie zusammenhielt. Angehörige und Bekannte verstrickt in manuellen Zuwendungen, Zwietrachten und Geheimnissen, durch Geltungssucht und Geldgier getrieben.
In einer Art modernem Ritterroman wird dem Ich-Erzähler aufgetragen, dieses monströse Geflecht zu entschlüsseln und den roten Faden zu spielen. Er, der junge Fordt, soll die Mutter aus Italien heimholen, so wünscht es der Vater, der der Erfinder einer Schiffsschraube ist, die wie eine Metapher sich ebenfalls durchs Dickicht der Zeit und der Geschichte bohrt. Die Mutter konnte ihren Gnatterheini von Gatten nicht länger ertragen und flüchtete.
Es fächert sich dem Leser ein Panorama skurriler Typen auf, die sehr lebendig geschildert werden, die aber geisterhaft unwirklich an Fäden zappeln, die sich Beziehungen nennen. Als da wären: Seeler, ein Hausarzt von manischer Gelassenheit, der direkt neben dem Vater im Hausboot haust; die fußamputierte Mara Pecko, die auf den Junior in einer großartigen Zug-Szene eine seltsam-erotische Anziehungskraft ausübt; die geliebte Carina mit einer Pistole in der Jeans; Willy Brandt mit dem Tweed-Ja-ckett und einer Menge Nebenfiguren, die den Revolver im Kopf zum Rotieren bringen.
Die Reise wird dem Junior zur Flucht vor der Familiengeschichte, die ihn gefangen nimmt, hinein in die Frage „Wer bin ich?“. Und: Wer ist hier eigentlich wessen Vater? Und warum? Ziel des Romans schient es aber nicht zu sein, das gefangene Ich aus den familiären Widerständen herauslösbar zu zeigen, sondern die Idee des Sich-Befreiens zu überdrehen und ad absurdum zu führen. Heavy Rotation.
Das Drama besteht darin, dass die Figuren sich ihrer selbst nicht habhaft werden können, im Kontinuum zerfließen, und dass es nichts gibt, was über sich hinausweist und transzendierend wirken könnte. Die rasende Handlung, das ständige Bohren in Fragen hinein, auf die noch mehr Fragen folgen, zeigt die eigentliche Handlungsunfähigkeit der Figuren, die zappeln, aber sich nicht wirklich fortbewegen. Eine riesige Anstrengung, die sprachlich ungemein leicht und schwebend daherkommt. Was auch daher rührt, dass der Erzählerfigur äußere Bewegungen mehr ins Herz geschrieben sind als die inneren Beweggründe. So ist das Flüchten. Was diesen Roman von anderen Identitätssuchen unterscheidet, ist, dass er nicht in intrapsychische Refle-xionen führt.
Sehr atmosphärisch und meisterhaft erzählt sind vor allem die ers-ten hundert und die letzten fünfzig Seiten. Dazwischen fordert reichlich Personal seinen Tribut an ebener Atmosphäre. Es wird sehr schnell. Der junge Fordt wird fortgerissen und geht im Strudel hektisch mit diesem um. Was auch seinen Ausdruck findet. Querverweise und Rückschauen zersiedeln jede Fixierung auf Erlösung; Intensität existiert im Mittelpunkt der Verdrehungen.
Der junge Mann, der als Sprössling das Kinderflorett wohl zu bedienen wusste, erledigt seine Aufgaben nassforsch und angeekelt. Einer der Höhepunkte des Romans ist sicherlich das Begräbnis von Carina, bei dem sich der Protagonist selbst auch als Wurmfortsatz der Agonie erlebt und mit viel Nachdruck seinen Jähzorn verbreitet. „Im Hinterzimmer des Dorfgasthofs brauchte ich nur in die Runde zu schauen: Dummheit und Intelligenz hatten mit uns eigentlich nicht viel zu tun. Was uns reden und handeln, hassen oder lieben ließ, existierte auch ohne uns, es nahm nicht einmal Notiz davon, ob wir da waren und fühlten, oder dachten oder nicht.“
Helmut Heißenbüttels Satz „Den Blick öffnen auf das, was offen bleibt“ – in diesem Roman findet er seine Fordtsetzung.
heute, 22 Uhr, Klub N+K, Kampnagel (mit einer Videodekoration von Steffen Baraniak; anschließend Ambient mit Daniel); Mirko Bonné: „Der junge Fordt“. Roman. DuMont, Köln 1999, 277 Seiten, 39,80 Mark
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