: Hausse contra Studi-Crash
■ Fachhochschule Ottersberg gründet Aktienfonds / Gewinne für Notstipendien
Dominik R. weiß nicht mehr ein noch aus. In zwei Semestern will er sein Examen bauen. Und jetzt geht ihm das Geld aus. Das BAFöG-Amt streikt, genauso wie seine Eltern, die die zwei Praxissemester für überflüssig halten. Jobben gehen hat mitten in der Abschlußarbeit so gut wie keinen Zweck – ein echtes Dilemma.
Gegen solch studienbedrohende Situationen hat sich der AStA der gemeinnützigen Fachhochschule Ottersberg etwas ganz Neuartiges einfallen lassen: einen Aktienfonds. Sozusagen als „Notstipendium“, so Kurator Albrecht Lampe, können Studierende monatlich 365 Mark über einen Zeitraum von zwei mal acht Monate erhalten. „Und die Investoren stecken ihr Geld in Kreativität, Phantasie und Engagement“, so Lampe. Allerdings erhält nicht jeder Student oder jede Studentin Geld aus dem neuartigen Fördertopf. Voraussetzung für ein solches zinsfreies Aktiendarlehen ist ein abgelehnter Bescheid vom BAFöG-Amt und ein persönliches Gespräch mit der Vorsitzenden der Initiative, Marion Schindler. Sie verwaltet zusammen mit anderen Studierenden die Mittel aus dem Aktientopf. „Darum kann man nicht davon sprechen, daß ich hier die Alleinherrschaft habe. Die Entscheidungen fallen auf demokratischem Wege.“
Im Topf befinden sich mittlerweile 22.900 Mark. Angestrebt sind aber schnellstmöglich 50.000 Mark. Ab dieser Summe sollen dann erstmals Darlehen vergeben werden. Um diese Höhe zu erreichen und nicht nur auf Spenden aus der Wirtschaft angewiesen zu sein, sind die Studis auf die Idee mit den Aktien gekommen. Die ersten provisorischen Wertscheine mit Nennwerten von 20, 50 und 100 Mark sind bei einer Abschlußausstellung des vergangenen Trimesters am 10. Juli bereits verkauft worden. Die Abendbörse schloß mit dem sensationellen Fixing im Wert von fast 1.000 Mark.
Ab sofort wird die Aktie darum auch im offenen Verkauf angeboten – mit einem sensationellen Wertzuwachs: Bei einem Topf von 22.900 Mark liegt der Kurs bei 22,9 Punkten pro 100-Mark-Aktie. Er kann natürlich bei den ersten Ausschüttungen an Studierende wieder sinken. Es sei denn, es gibt genügend Spekulierende, die sich an dem ersten Aktienboom beteiligen. Oder man wartet, bis die Aktien nach Darlehen im Keller stehen. Allerdings hoffen die InitiatorInnen darauf, daß Aktiengewinne schnell wieder in den Studierendentopf reinvestiert werden.
Zumal eine völlig außergewöhnliche Dividende lockt. Anläßlich der einmal jährlich stattfindenden AktionärInnenversammlung wird es ein großes Festmahl mit kulinarischen, künstlerischen und kulturellen Leckerbissen geben. Kulinarisches zu zaubern stellt an der Fachhochschule Ottersberg kein Problem dar. Die Studierenden kochen ohnehin für sich selbst – in Ermangelung einer Mensa. Der Rest ist nach dieser Kür Pflicht. Künstlerische Darbietungen gehören zum Studienalltag in den angebotenen Studien-Fächern Kunst- oder Schauspielpädagogik.
Über die Notierung ihrer Aktien erfahren die Besitzer zunächst Mittwochs und Sonntags über die Rothenburger Markt-Rundschau. Zudem will die Vorsitzende Marion Schindler Verkaufsausstellungen zu Gunsten des Fonds arrangieren, ein Benefizkonzert zusammen mit der Freien Rudolf-Steiner-Schule im November veranstalten, und sie vertraut auf die Akquisition von Spenden aus der hiesigen Wirtschaft. Die Aktienscheine selbst werden dazu noch von den Studierenden entworfen. Das macht die Sache auch so crashunabhängig. Bei derart wertvollen Dividenden darf sich niemand beschweren, wenn der Markt von Ottersberg-Aktien überschwemmt wird.
Jens Tittmann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen