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Haushaltsberatung im BundestagMarkenkern Schuldenfreiheit

Erstmals seit 1969 soll der Haushalt schuldenfrei werden. Ökonomen kritisieren, dass die Regierung nicht mehr Geld in Investitionen stecken will.

So ein Haushalt macht den Schäuble glücklich. Bild: ap

BERLIN taz | Die Große Koalition hält an ihrer Linie fest: Zum ersten Mal seit 1969 will die Bundesregierung für das kommende Jahr einen Bundeshaushalt ohne neue Schulden beschließen. Dieses Versprechen einzuhalten berühre den „Markenkern der Union“, heißt es in der CDU-Fraktion. Auch die Haushaltspolitiker der SPD tragen diese Politik mit. Währenddessen mahnen Ökonomen höhere Ausgaben für Investitionen an oder stellen, wie Marcel Fratzscher, der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), das Null-Schulden-Ziel infrage.

Seit diesem Dienstag berät der Bundestag über den Haushalt 2015. Vor dem Hintergrund des mehrjährigen Aufschwungs will Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) ein altes Ziel endlich umsetzen: Die Ausgaben sollen die Einnahmen nicht mehr übersteigen. Konjunkturprogrammen auf Pump erteilte er eine klare Absage. Stattdessen mahnte er mehr private Investitionen an, um die Wirtschaft in Europa anzukurbeln.

Doch nachdem das Vorhaben bis vor einigen Monaten realistisch erschien, trübt sich die Perspektive aktuell ein. Der Aufschwung in Deutschland stockt, die Wirtschaft im Euroraum wächst wenig, und es verbreiten sich Sorgen einer Deflation. So sagt DIW-Chef Fratzscher: „Bei einer erneuten Vertiefung der Krise sollte der Bund den gesamten Spielraum nutzen, den die Schuldenbremse bietet. Dann muss die Konjunktur mit höheren Ausgaben gestützt werden.“ Fratzscher identifiziert damit einen Spielraum von etwa zehn Milliarden Euro jährlich. Denn der Bund darf sich höchstens mit 0,35 Prozent des nominellen Bruttoinlandsprodukts verschulden.

Hinzu kommt eine zweite Debatte. Fratzscher, aber auch Ökonomen wie Christine Lagarde, die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), attestieren Deutschland eine Schwäche bei den Investitionen. Unternehmen würden zu wenig Geld für Forschung ausgeben, und der Staat kümmere sich nicht ausreichend um den Erhalt der öffentlichen Infrastruktur. Deren Wert und Leistungsfähigkeit nehme damit ab. So seien Brücken und Straßen oft in schlechtem Zustand, die Leitungen für die Datenübertragung in vielen Regionen veraltet.

26 Milliarden Euro sollen im Haushalt 2015 für Investitionen zur Verfügung zur Verfügung stehen. Insgesamt beinhaltet der Etat Ausgaben von knapp 300 Milliarden Euro. Schäuble argumentiert, für Verkehrsinfrastruktur werde im kommenden Jahr eine Milliarde Euro zusätzlich ausgegeben. Ein ähnlicher Betrag stehe zusätzlich für Bildung, Wissenschaft und Forschung bereit. Darüber hinaus gebe es nur dann mehr Geld, wenn der Haushalt Überschüsse verzeichne, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Zwar wollen Deutschland und Frankreich demnächst einen gemeinsamen Plan für höhere Investitionen im Euroraum vorlegen. Ob sich damit aber an der deutschen Linie in der Haushaltspolitik etwas ändert, muss sich erst zeigen.

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4 Kommentare

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  • Ein wenig Kenntnis in Buchhaltung und Bilanzierung wäre bei den Haushältern schon nützlich: da addieren sich nämlich beide Seiten immer zu Null. Übertragen auf die volkswirtschaftliche Saldenmechanik heißt das bei Außenwirtschaftssaldo gleich Null (was der Regelfall sein sollte, will man Wirtschaftskriege vermeiden): Wenn der Privatsektor, also Unternehmen und Privathaushalte, sparen will, dann muss es beim Staatshaushalt ein Defizit geben; wenn der Staatshaushalt Schulden zurückzahlen, also Haushaltsüberschüsse haben will, dann muss es zwangsläufig im Privatsektor ein Defizit geben bei gleicher Wirtschaftslage; wenn aber im Privatsektor auch noch gespart wird, dann geht es mit der Wirtschaft bergab, Deflation. Ist doch eigentlich ganz einfach, oder? MMT ist da ein bemerkenswerter Ansatz zum Nachdenken, da wird für Defizit-Eulen plädiert.

  • 9G
    90191 (Profil gelöscht)

    "Erstmals seit 1969 soll der Haushalt schuldenfrei werden."

     

    Das verspricht man uns seit 1969.

  • Laut aktuellem EU-Bericht ist in Deutschland die Besteuerung der Arbeitnehmer und der gesamten Mittelschicht zu hoch, während die Besteuerung von Kapitaleinkünften,

    insbesondere von hohen Kapitaleinkünften zu niedrig ist.

    Vergleich Deutschland zur EU:

    So betragen in Deutschland die Steuern auf Löhne/Gehälter 56,6 % des gesamten

    Steueraufkommens, der EU-Durchschnitt liegt jedoch nur bei 51 %.

    Die Steuern auf Kapitaleinkünfte, insbesondere auf hohen Kapitaleinkünfte liegen in

    Deutschland bei 16 % der EU-Durchschnitt liegt jedoch bei 20,8 %.

    Fazit: Deutsche Gesetzgeber (CDU/CSU-FDP-SPD-GRÜNE) besteuern die Menschen grob

    ungerecht.

    • 9G
      90191 (Profil gelöscht)
      @Willi:

      Der Deutsche läßt sich´s ja gern gefallen. Der läßt sich auch noch klaglos 80 oder 90% von seinem Lohn abknapsen, damit Bänker und Bonzen sich schadlos halten und Politiker ihre dilettantischen, milliardenteuren Murksprojekte finanzieren können.

      Motzen tut er lieber über Muslime und Flüchtlinge.