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Hausbesuch Umweltbewusst und schön, engagiert und geliebt – vier Adjektive für Elisa GelewskiSich gehen sehen – und bleiben

Von Waltraud Schwab (Text) und Amélie Losier (Fotos)

Zu Besuch bei Elisa Gelewski in ihrer Hinterhofwohnung in Berlin-Mitte.

Draußen: Nichts los an einem regnerischen Samstag? Die Rückerstraße wirkt vergessen im hippen Ostzentrum der Hauptstadt, sie ist zu kurz, um Charakter zu haben. Natürlich, die Mieten dort sind hoch.

Drinnen: Das „Berliner Zimmer“ in Gelewskis Wohnung ist Küche, Arbeits-, Ess- und Wohnzimmer in einem. „Berliner Zimmer“ sind jene gefangenen, großen Räume mit nur einem Fenster, die es in vielen Altbauwohnungen gibt. Die lange Wand ist bei Gelewski mit gelben, orangefarbenen und roten Quadraten bemalt. Wie bei Mondrian? „Wie bei Campino-Bonbons“, antwortet sie. Über einem der Farbquadrate steht der Schriftzug: „Ich will leben.“ Manche Details im Zimmer gehorchen Feng-Shui. Der abgedeckte Fernseher. Oder die Vase, die auf dem Kopf steht, auf der fünf Steine liegen. „Die fünf Geister heben einen Schatz“, bedeute das. Der Korb voll Münzen auf dem Esstisch wiederum steht vor einem Spiegel – das verspreche, dass das Geld sich vermehre. „Kein Quatsch, es wirkt“, sagt Gelewski. Es ist modernes Prekariat mit Humor.

Anfangen: Elisa Gelewski ist in Coburg geboren, „der Stadt, wo Adel wohnt“. Ihre Familie gehörte nicht dazu. In welchem Jahr sie zur Welt kam, bleibt ungesagt, Gelewski, groß, schlank, verdient manchmal als Model Geld, „da gilt ewiges Jungsein“. Ihre Großmutter betrieb den Süßwarenstand im Kino in Coburg, Gelewski durfte als Kind mit. „Dr. Schiwago“, „Vom Winde verweht“, das waren ihre ersten Filme. Was sie sah: „Zauber. Wunder.“ Von da an wollte sie Schauspielerin werden und verfolgte den Plan dickköpfig, spielte Theater im Gymnasium, „ich hatte immer die Hauptrollen“, studierte später Schauspiel und Tanz in Hamburg. Wann das war? „Ach, irgendwann in den Neuzigern“, sagt sie.

Halt: Aber irgendwann in den Neunzigern war auch der Einschnitt, der beinahe zum Finale wurde. Sie war 25, als der Tumor in der Nebennierenrinde wuchs. Es dauerte, bis er diagnostiziert wurde. Ihr Körper spielte verrückt, der Kreislauf lief Amok; Bluthochdruck, der sofort zum Herzinfarkt führte, wechselte sich mit Blutdruckabfall ab – ihr Körper brach zusammen. „Ich hatte Nahtoderfahrungen.“ Sie sah sich gehen. Und blieb.

Neu anfangen: Gelewski strahlt Zerbrechlichkeit aus. Darauf angesprochen, verneint sie: „Ich bin zäh.“ Als klar war, sie würde nicht sterben, wurde „das Wunder: Leben“ für sie unschätzbar wertvoll. Da wurden die „Wahrnehmung der Endlichkeit“ und die „Verantwortung fürs Leben“ groß. Sie spricht mitunter in unvollständigen Sätzen, benutzt nur Nebensätze; sagt: „das Bedürfnis, dass ich die Zeit, die ich hier bin, sinnvoll nutze“; sagt: „dass ich alles tue, um den Planeten ein Stück weit zu retten“. Ein Brecht-Zitat aus „Johanna der Schlachthöfe“ wird ihr Motto: „Schnell verschwindend aus dieser Welt ohne Furcht / Sage ich euch: / Sorgt doch, daß ihr, die Welt verlassend / Nicht nur gut wart, sondern verlaßt / Eine gute Welt“. Ihr damaliger Freund, ihre Freundinnen hätten sie nicht mehr verstanden. Nach der Krankheit war der Karrierefokus weg, sie konnte nicht mehr Party machen, tanzen. Feldenkrais, Ganzheitlichkeit, Eigensinn nahmen den Platz ein. „Bei Feldenkrais darf man Fehler machen.“

Katharsis: Schon vorher meinte sie, sie hätte diesen Drang gehabt, dass durch Theater etwas bewegt werde, dass die Menschen dadurch bewegt würden. Sie suchte den politischen Anspruch, die feministische Haltung – aber zu oft dürften Frauen, meint sie, auf der Bühne doch nur Hysterikerinnen sein. Ihre Lieblingsrollen fand sie in den großen mythischen Frauenfiguren, die immer auch Handelnde waren: Phädra, „die tragisch Verlassene“, die vor Verleumdung nicht zurückschreckt. Medea „mit alter Schamanenkraft, Medea, die den Verrat an der Liebe erlebte, Medea, die ihre Kinder tötete, als letztes Mittel, dem Mann einen reinzuwürgen“. (Selbst sei sie auch schon öfter verlassen worden.) Auf den Spuren dieser Heldinnen hat sie sich in die Westtürkei rund um Troja verliebt.

Sehnsucht: Sie habe sich aus dem Theater „rausemanzipiert“. Stattdessen macht sie seit Jahren Aktionskunst. Die Filme, in denen sie zu sehen ist, sind im experimentellen Bereich, sind Kunst, Theater, Performance in einem. Was sie macht, soll Schönheit in die Welt bringen „und die Welt heilen“. Deshalb hat sie zudem das Artemis-Projekt ins Leben gerufen. Ziel: Umweltthemen künstlerisch zu vermitteln. Als am Landwehrkanal in Berlin etwa Bäume abgeholzt werden sollten, initiierte sie „Menschenketten gegen Kettensägen“. Am 8. März, dem Internationalen Frauentag, wird sie um 16 Uhr auch beim Frauenprotest am Brandenburger Tor sein. In zu vielen Ländern würden Frauenrechte eingeschränkt. Trump, Putin – die Mächtigsten der alten Kalte-Krieg-Parteien ziehen an einem antiemanzipatorischen Strang, und viele Länder ziehen im Windschatten mit. Sie will das nicht.

Bei sich sein. „Social Entrepreneur“ nannte sie mal jemand, weil sie vieles macht, so ist sie auch Botschafterin der internationalen Organisation „Erd-Charta“, die sich für eine nachhaltige, gerechte, friedvolle Welt einsetzt. Arbeitet sie als Model, nimmt sie keine sexistischen Aufträge an – „wie Veruschka“, die sei aber adlig, für die spiele es keine Rolle, 400 Euro mehr oder weniger zu haben. „Ich möchte nicht anders leben“, sagt Gelewski, aber es gäbe Zeiten, wo es ihr wehtue, dass sie nicht dazugehört. Wo dazu? „Zum Mainstream mit bürgerlichem Beruf und Haus und Kinder und so.“

Ach, Liebe auch. Mit ihrem Artemis-Umweltprojekt stellt sie derzeit ein Permakultur- und Lehmbauprojekt in der Türkei bei Bodrum auf die Beine. Aber die Türkei – „das ist Liebe und Schmerz“. Bei den Gezi-Park-Protesten hat Gelewski mitdemonstriert. Ihren Lebensgefährten, den türkischen Lyriker (und Segellehrer) Arif Erguvan, der damals ebenfalls demonstrierte, kannte sie da noch nicht. Dass sie beide dort waren, sieht sie als Zeichen.

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