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Hausbesuch Es ist eine ganz normale Familie – irgendwie. Fünf Kinder, die Stefanie Behrens „Mama“ nennen, den Kollegen „Papa“. Und Großeltern gibt es auch. Eine Familie im SOS-Kinderdorf HarksheideSie bekommt vier Sterne von dreien

von Luciana Ferrando (Text) und Miguel Ferraz (Fotos)

Zwanzig Kilometer nördlich von Hamburg: zu Besuch bei Familie Behrens im SOS-Kinderdorf Harksheide in Norderstedt.

Draußen: Wie im Ferienlager sieht es aus, nur dass die Hütten gepflegte Familienhäuser sind mit Spielplatz, Fußballfeld, einem Hügel, auf dem sich im Winter Schlitten fahren lässt. Geparkte Kinderfahrräder und eine Laubkarre stehen vor der Tür des Hauses Nummer 13, namens „Louis“, wo Stefanie Behrens als Dorfmutter von fünf Kindern wohnt und arbeitet.

Drinnen: Mitten im Zimmer steht der Holztisch und die Couch, groß genug für eine große Familie. Dazu ein Klavier, ein Kratzbaum für Tinka, die Katze. Jedes Haus im Kinderdorf wird von seinen Bewohnern eingerichtet. Bei Behrens sind überall Porträts der Kinder: am Strand, im Herbst, mit Blumen. An der Wand ein Plakat mit den Hausregeln: „Es wird nicht gepetzt!“ – „Behandele andere, wie du selbst behandelt werden möchtest.“ – „Am Wochenende darf ab 8 Uhr Fernsehen geguckt werden.“ Auch die Putzplan-Uhr und ein Essensplan hängen an der Wand. „Ich muss erst mal gar nichts“ steht auf einer Tasse.

Die Mutter: „Schon als Kind war mir klar: Mein Beruf muss mit Kindern zu tun haben“, sagt Stefanie Behrens, während sie die Champignonsoße für das Mittagessen rührt. Die 36-Jährige war Einzelkind und glaubt, dass das eine Rolle beim Berufswunsch spielte. Mit 20 war sie Erzieherin und probierte sich in verschiedenen Institutionen aus. „Heime waren nichts für mich: Die Jugendlichen sahen mich als Kumpel, ich hatte keinen Abstand.“ Als sie in ihrer Heimatstadt Cuxhaven keine Stelle fand, ging sie als Au-pair in die USA. Und weiter nach Australien, von dort wieder zurück. „Ich suchte das Richtigste für mich“, sagt sie. „In einer Kita ist man mit den Kindern nur drei Jahre, man hat keinen richtigen Einfluss auf ihre Entwicklung.“ Eines Tages googelte sie „Familie und Erzieherin“ und kam auf die Seite des SOS-Kinderdorfs.

Das Dorf: Sofort wusste sie: Das ist es. „SOS-Kinderdörfer sind realitätsnah, familiär, aber nicht so eng wie Pflegefamilien“, sagt sie. „Eine perfekte Mischung aus Institution, Familie und Heim.“ 2010 fing sie als Praktikantin im SOS-Kinderdorf Harksheide an und erlebte ein Jahr lang den Alltag dort. Später begleitete sie als Mitarbeiterin das Leben einer etablierten Familie – so der übliche Weg, um Dorfmutter zu werden. „Von null einzusteigen geht nicht, man muss in der Praxis erfahren, worauf man sich einlässt.“ Seit 2012 baut sie ihre eigene Dorffamilie auf.

Das Land: Zwischendurch war Behrens im SOS-Kinderdorf in Berlin, aber Harksheide gefiel ihr besser. „Es gibt Natur, kaum Verkehr, die Kinder toben frei rum“, sagt Behrens. Sie findet es richtig, dass das Dorf diesen Erholungscharakter hat, denn die Kinder, die im Kinderdorf leben, haben Wunden zu heilen. „Sie müssen lernen, wieder zu vertrauen, wieder Kind zu sein. “

Die Kinder: Wie jeden Tag um 12.30 Uhr kommen die ersten Behrens-Kinder aus der Schule. Man hört die Fahrräder und das „Mama, Mama“. Sidney (10), Leo­nie (10) und Timo (7) stürmen rein. Nadine (6) und Jordan (6) sind noch im Kindergarten. In zwei Tagen kommt Andre (7) dazu – der neue Bruder. Am Anfang als Dorfmutter nahm Behrens zwei Kinder auf, mit Andre erreicht sie das Maximum von sechs Kindern. „Wie in jeder Familie bekommt man nicht alle auf einmal. Wir wachsen zusammen und gucken, ob neue Kinder zu uns passen.“ Die Meinung aller sei dazu wichtig. „Wenn sie alt sind und ausziehen, sind vielleicht neue Kinder da, und man fängt von vorne an“, sagt Behrens. Ihr Ziel: „Mindestens eine Generation großziehen.“ Dass die Kinder sicher sind und feste Bindungen haben, sei das A und O. Von Anfang an war ihr klar: „Ich muss 15 Jahre meines Lebens investieren. Oder mehr.“

Die Kindheit: Behrens’Kindheit war „schön, ohne traumatische Erfahrungen“. Trotzdem könne sie sich in die Kinder, die nicht ihr Glück hatten, reinversetzen. Empathie sei wichtig, Pragmatismus ein Plus. Es gehe nicht um Mitleid, vielmehr darum „zu schauen, was sie brauchen“. Ein Kollege und eine Kollegin helfen ihr im Alltag. „Obwohl es keine Dorfväter gibt, fangen die Kinder an, den Kollegen Papa zu nennen.“

Das Leben: Privates und Berufliches sei bei ihr schwer zu trennen. Selbst ihre Eltern sagten: „Bring die Enkelkinder zu uns.“ Leibliche Kinder hat Behrens keine. „Es ist schwer, einen Partner zu finden, der dich als Alleinerziehende von sechs Kindern akzeptiert.“ Ihre private Wohnung gab sie irgendwann auf. „Der Kühlschrank war immer leer, die Pflanzen halbtot.“ Fernweh hat sie nicht mehr. Selbst im Sommer, wenn die Kinder in Ferien sind, bleibt sie meist zu Hause und genießt es, alleine zu sein. An ihrem wöchentlichen freien Tag übernachtet sie oft in einem Hotel, macht Wellness. „Normale Mütter können sich solche Urlaube nicht immer leisten.“

Der Alltag: „Ausschlafen ist das Schönste am Wochenende“, sagt Leonie, während sie nach dem Essen den Tisch abräumt, die Nägel pink lackiert wie Behrens. „Ausflüge“, „Fernsehen“, „Reiten“, ergänzen Timo und Sidney. Alle wollen etwas zeigen, machen Kopfstand, Spagat, Leo­nie und Sidney spielen Klavier, „Das Lied von Titanic“. Der Alltag sei „normalerweise harmonisch, aber manchmal gibt es natürlich Ärger“. Selbst wenn nicht alles so gut läuft, sei Behrens geduldig. Aber wie sie als Mama wirklich ist, das müsse man die Kinder fragen. „Steffi ist besser als perfekt“, sagt Timo. „Tausend Sterne“, sagt Leonie. „Vier Sterne“, korrigiert Sidney. „Vier Sterne von drei.“

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