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Hausbesuch Das Haus der „Wawi“ ist ein besonderes: Es ist ein Steckhaus, das sich schnell wieder zusammenfalten und mitnehmen lässt. Die Bewohnerin mag es. Sie hat schon reichlich Ballast abgeworfenFestgesteckt. Und zum Aufbruch bereit

von Ann Esswein (Text) und Michaela Handrek-Rehle (Fotos)

Zu Besuch bei Barbara Mahler in ihrem mobilen Steckhaus in Wertingen in Bayerisch-Schwaben.

Draußen: Nebel. Der Ortskern von Wertingen, 8.000 Seelen, mit Moschee und Zirkuszelt. Links das alte Industriegebiet, ein Sägewerk, Felder in grünbraunen Farben. Rechts, fußläufig keine fünf Minuten vom Künstleratelier „KUK“, wohnt Barbara Mahler, genannt „Wawi“. Ihr Haus fällt auf. Auf 24 „Erdschrauben“ schwebt ein 15 Meter langes Holzkonstrukt, bestehend aus drei Rechtecken. Die Wände sind aus Pressspan, vier Türen zeigen in alle Himmelsrichtungen („meist unabgeschlossen“). Eine Klingel gibt es nicht, aber viele Fenster. Die massive Holzvertäfelung täuscht Beständigkeit vor, in Wirklichkeit kann das Haus inklusive Möbel zusammengeklappt („in nur einem Tag“) und an jeden Ort der Welt transportiert werden.

Drinnen: 70 Quadratmeter Wohnfläche. Es riecht nach Holz und Kachelofen. Eine bunt bemalte Schiebetür trennt den Arbeits- von Wohnbereich und Küche. Das Wichtigste in ihrem Häuschen, sagt Wawi, sei der lang gezogene Holztisch und das Gästezimmer. Es sieht aus wie eine Schiffskoje. Im Regal: Harry-Potter-Bücher. Wawis Schlafzimmer ist nur durch einen Vorhang abgetrennt.

„Wawi“: Eingerahmt von moosgrünen und seeblauen Möbeln, sitzt sie über einer dampfenden Tasse Schokoladentee. Ihr mobiles Steckhaus, einzigartig in Deutschland, nennt sie „ein Meisterwerk“ und ihre persönliche Höhle: „Ich wollte einen Platz haben, der nicht mehr infrage gestellt werden kann.“ „Wawi“, eigentlich „Wawerl“, ist die bayerische Version von Barbara. Wawi ist Oberbayerin, aber schon mit acht nach Schwaben umgesiedelt. In der Jugend ist Wawi ein Exot – „nicht nur wegen des Dialekts“. Ihr Elternhaus, sie ist Einzelkind. 35 Kilometer weiter, in Augsburg, studiert sie Kunstpädagogik und Theaterwissenschaft. Da lernt sie ihren Mann Norbert kennen. Gemeinsam arbeiten sie im Theater, ziehen schließlich nach Berlin. Als die Mauer fällt, entscheidet sich die hochschwangere Wawi, in ihr Elternhaus zurückzukehren. Heute ist sie 53, eine Künstlerin mit hennarotem Lockenkopf, Kunstlehrerin, Raumvisionärin aus Versehen und Vollzeitmutter aus der Ferne.

Familie: Minütlich vibriert das Handy, das neben Walnüssen und selbst gemachten Pralinen auf dem Tisch liegt. „Hallo, Schnuffi“, sagt Wawi, als sie abnimmt. Es ist einer der zwei Söhne (Geburtsjahre 1990 und 1991). Die seien ein gutes Team; in Nicaragua bauen sie gerade eine Surfschule auf. „Er ist auf dem Weg nach Hause“, freut sich Wawi. „Schnuffi“ ist der Jüngere. Er kommt zu Weihnachten. Wawi wird diesmal nicht allein feiern.

Veränderung: „Als Norbert sich das Leben nahm, hat es mir den Boden unter den Füßen weggezogen.“ Die ersten Pläne für das Mobilhaus hatten sie und Mann noch gemeinsam gezeichnet. Im lauen Sommer des Jahres 2013 war das. „Seitdem hat sich alles verändert.“ Das Haus realisierte sie schließlich allein, mithilfe eines befreundeten Schreiners. Die erste Nacht im neuen Eigenheim: ohne Strom, inmitten von Kerzenlichtern („total irrational und wunderschön“).

Erinnerungen: Fast nur das Klacken sei geblieben, erklärt Wawi und öffnet die Klappe des Brotschranks in der Küche. Norbert kannte das Geräusch. Das Klacken war ihre Frühstücksmelodie, mit der auch die Söhne aufwuchsen, damals im alten Elternhaus. Jetzt hallt es durch das Holzkonstrukt als altes Echo. Das Elternhaus war immerhin viermal so groß, das Haus, in dem sie mit Norbert lebte. Nach seinem Tod gibt sie alles weg außer dem Brotschrank: „Das hat sich gut angefühlt.“

Das Landleben: „In der Stadt tut es nicht weh, allein zu sein“, sagt Wawi über ihre Zeit in Berlin, „auf dem Dorf schon.“ Wertingen, das sei ein Ort, in dem viele Familien schon seit Generationen leben, und es sei „einengend und nah“. „Ich stelle mich aber nicht mehr so infrage wie damals“ – als Jugendliche, als sie in derselben Gegend gewohnt hat.

Heimat: Das seien keine Häuser, sondern was sie umgibt. Die Natur rund um Wertingen, das Donauried, die Herbstfarben, der dunkle Moorboden, der milchige Nebel, das weiche Sonnenlicht („fast mystisch“). Und ein einfaches soziales Netzwerk. Heimat sei, im Supermarkt mit 100-prozentiger Wahrscheinlichkeit ein bekanntes Gesicht zu sehen („Obwohl, eigentlich ist ,Heimat' nur man selbst“). Heimat ist für Wawi Kopfsache. Und am Ende genauso mobil wie ihr Steckhaus.

Wann ist sie glücklich? „Ganz oft“, stellt Wawi fest und nennt Dinge, die mit ihrem häuslichen Alltag zu tun haben. Wenn sie mal nicht unterwegs ist, wenn die Gedankenmühle ruht. In der Badewanne, beim Nachhausekommen und Rausschauen. Auf der kleinen Holztreppe vor der Gartentür. „Natürlich wäre es mir lieber, die Jungs hätten keine Surfschule und Norbert wäre noch da“, sagt sie. Die letzten drei Jahre diktiert von dem Selbstmord, einem Bankencrash, dem Erbe, dann der Flucht der Söhne. Ein langer Weg, der zu ihrem Haus führte. „Das Leben wird wieder normaler“, sagt Wawi, und eine Gedankenpause später: „Ich kann mich sehr glücklich schätzen, meine Kinder zu haben. Räumlich fern, aber emotional nah.“

Mobilität: Wawi vermisst ihre Söhne. Vor ein paar Monaten hat sie sie besucht, in Nicaragua. Für das Haus hat sie jedoch andere Pläne, Nicaragua fällt als Ziel aus („wegen der Termiten und der Hitze“). Irland könnte sie sich vorstellen, vielleicht Kanada. Wawi ist auf Veränderungen vorbereitet, das Haus sowieso. Es könnte rollstuhlgerecht ausgebaut werden oder bald an einem anderen Ort in der Welt stehen. Die Ungewissheit fühlt sich für sie sicher an, und die Sicherheit, zumindest die räumliche, bleibt ungewiss: „Vielleicht brauch ich irgendwann nicht mal mehr diese Wände.“

Und dann, diese eine Frage noch, die über das Private hinausgeht: Wie finden Sie Merkel? Sie „schlägt sich wacker“, sagt Wawi, macht eine kurze Pause und lacht: „Aber wer weiß, auf wessen Kosten?“ Humorlos und unnahbar nennt sie Merkel noch. Könnte sie mit der Bundeskanzlerin einen Tee trinken, würde sie gerne von ihr hören, was sie zum Lachen bringt oder welche Musik sie mag – was also hinter der politischen Fassade steckt. Mit Merkel tauschen würde sie nicht: „Ich weiß nicht, ob man als Politikerin glücklich sein kann.“

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