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Haus der Kleinen Forscher10.000 kleine Revolutionen von unten

Morgen wird die 10.000ste Kita zum "Haus der Kleinen Forscher" ernannt. Der Schnellkurs in Neugier bringt einen völlig neuen Lernbegriff in die Kitas.

Es wird Zeit, dass die Kleinen Forscher die Schulen erobern. Bild: woodley wonderworks – Lizenz: CC-BY

Überall lagen Plastikpipetten herum. Weiß geschürzte Vierjährige sogen Wasser auf. Anschließend pipettierten sie es auf einen schwarzen Filzerfleck, der auf einem Kaffeefilter gemalt worden war. Und dann begann das große Staunen, wie viele Farben ein ein schwarzer Filzstift freigibt - wenn, ja wenn man ein Experiment mit ihm macht.

Am Freitag wird Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich diesen Versuch in der Kita "Gänseblümchen" machen. Vielleicht auch die Teebeutel-Rakete oder den Flaschentornado. Die Dresdner Kita ist die 10.000 Einrichtung in Deutschland, die zum "Haus der Kleinen Forscher" ernannt wird.

In solchen Kreativhäusern werden einfache wissenschaftliche Versuche gemacht, die Erzieherinnen in einer Fortbildung gelernt haben. Es ist weniger naturwissenschaftliches Wissen, das dabei vermittelt wird, sondern vielmehr eine andere Art des Lernens: Neugier, Spaß am Experiment, Staunen.

Wir erinnern uns an den damaligen Ministerpräsidenten Bayerns, Edmund Stoiber, der den Bildungsplan für die bayerischen Kitas vorstellte, indem er tatsächlich die Worte Lehr- und Stundenplan im Munde führte. Es war eine Horrorvorstellung für Eltern, dass Kitas ähnlich wie bayerische Ja-Sager-Kabinette zu Strammsteheinrichtungen werden könnten.

Das "Haus der Kleinen Forscher", getragen von der Helmholtz-Gemeinschaft, dem größten deutschen Forschungsarbeitgeber, hat glücklicherweise eine ganz andere Richtung eingeschlagen. Versuchen und Spaß haben heißt ihre Lernphilosophie, aber nicht pauken und schwitzen. "Wir wollen keine fertigen Antworten liefern", sagt Geschäftsführer Peter Rösner.

Die Helmholtz-Gemeinschaft will ihr Programm nun sogar ausweiten – auf die Schulen. Das muss eine sehr beunruhigende Nachricht für die Länderkultusminister sein. Denn die lassen sich bekanntlich nicht gern hineinregieren in ihre Lehrplananstalten. Aber auch wenn der Helmholtz-Präsident, Jürgen Mlynek, es noch vorsichtig formuliert, seine Ankündigung, die offene Suche nach Antworten in die Schulen zu tragen, ist eine veritable Kampfansage.

Denn in den Grundschulen wird noch ganz anders gearbeitet. Offene Suche nach Antworten, das findet man dort allenfalls in den beiden ersten Lernjahren. Ab der dritten Klasse gibt es dort, nicht zuletzt weil rücksichtslose Eltern ihre Kids Richtung Gymnasium gepeitscht sehen wollen, alles möglich zu erleben – nur keinen Spaß am Lernen.

In Bayern steht man kurz davor, eine Art Grundschulabitur einzuführen – 22 Prüfungen in der vierten Klasse. Drittklässler müssen fest formatierte Prüfungen im Multiple-Choice-Verfahren schreiben, damit der Übergang aufs Gymnasium – man höre und staune – gerecht zugeht. Taucht mal eine offene Frage auf, wird der Verweis angebracht: "Es muss alles richtig geschrieben sein!" Die Kids haben täglich zwei Stunden Hausaufgaben.

Wenn man Kindern den Spaß am Lernen und die Liebe zu einem Gegenstand beibrigen will, dann muss man es so machen. In Nordrhein-Westfalen laufen die Eltern in Scharen den Boot-Camp-Grundschulen davon. Es gilt für ganz Deutschland: Die bei weitem dramatischste Flucht in die Privatschulen findet bis zur vierten Klasse statt. Die Zahl der privaten Grundschüler, obwohl es sie qua Grundgesetz nur in Ausnahmefällen gibt, hat seit Pisa um 63 Prozent zugenommen.

In Deutschland ringen sei je zwei pädagogische Stile miteinander: der preußische, der Schulen wie effiziente Behörden organisiert und das Wissen gewissermaßen von oben in die Köpfe hineinadministrieren will. Und die reformpädagogische Linie von Friedrich August Fröbel und anderen, die Kinder als vollwertige, neugierige Wesen begreift, die vor allem eins können: selbständig lernen.

Jeder weiß es und Videostudien aus dem Unterricht belegen es, dass die industriell bürokratische Schule des 19. Jahrhunderts ("Einer an alle") die nach wie vor dominante ist. Freilich schreiben wir das Jahr 2009, und die Lernform des 21. Jahrhunderts ist die des individuellen, selbständigen Lernens. In den Web2.0-Communities heißt das Prinzip Schwarmintelligenz. ("Alle mit allen").

Stoff und Sinn kommt nicht aus dem Lehrplan – den machen wir selber. So praktizieren es die wenigen modernen Schulen, und das "Haus der Kleinen Forscher" ist eine Variante davon. Es wird Zeit, dass die Kleinen Forscher die Schulen erobern.

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6 Kommentare

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  • C
    ciffi

    @karl kraus: die allerwenigsten privaten schulen gibt es bei den grundschulen. da sind sie strenggenommen nicht mal erlaubt. da musste allerdings im grundgesetz nachgucken und nicht bei wiki, mister superbrain. den rest kommentier ich erst gar nicht. weia

  • G
    gerd.

    @Karl Kraus

    "Zurzeit wird so getan, als müsse man Kindern 'einfach nur die Möglichkeit zum selbstständigen Lernen bieten', damit aus ihnen die tollen Leistungsträger von morgen werden. Das ist Bullshit"

     

    Nein, das ist kein Bullshit, sondern es funktioniert. In Summerhill seit über 80, in Sudbury-Schulen seit gut 40 Jahren.

     

    "dabei aber nicht ein einziges Mal richtig in die Tiefe geführt wurde"

    Kinder und Jugendliche führen sich selbst in die Tiefe. Leider trainieren wir es ihnen mit Eintritt in die erste Klasse ab - sobald ihnen vorgeschrieben wird, was, wie und wann sie es zu lernen haben. Jetzt aber 45 min Mathe. Oder eine Wochen Projektarbeit über den Wald. Interessier dich gefälligst dafür!

    Wenn Kinder in die Tiefe gedrängt werden, dann haben sie entweder riesiges Glück gehabt, dass es zufälligerweise ihren Interessen entsprach, oder sie werden alles mögliche lernen, und davon ganz viel sekundäres Wissens (à la wie komme ich hier mit einer brauchbaren Note durch) und absolut uneffektiv im Vergleich zu eigenmotiviertem Lernen.

  • RK
    Rüdiger Kalupner

    ".. die offene Suche nach Antworten in die Schulen zu tragen, ist eine veritable Kampfansage." Wer eine solche Kampfansage formuliert, sollte die Dinge auch auf den Durchsetzungs-Punkt zu Ende denken.

     

    Das Ergebnis des Zu-Ende-Denkens kann ich hier angeben: Die Idee und der Wunsch nach einer 'Ordnung einer KREATIVEN Gesellschaft' ist eine fundamentale und revolutionäre Kampfansage an jedes Ancien Régime, d.h. an des herrschende 2%Wachstumszwang-Regime. Das ist die 'Idee', deren Zeit gekommen ist. DIE KREATIVEN werden ihren evolutionslogischen Vormachtanspruch in der Politik anmelden müssen, d.h. die Systemfrage stellen, und den Machtkampf-Parteien auf dem Wahlzettel und mit einem kulturrevolutionären KREATIVEN-Projekt-Programm entgegentreten.

     

    Wenn die Machtfrage an das aus ökonomischen Interessen gewachsene Anti-KREATIV-SYSTEM nicht gestellt wird, kommt immer nur eine weitere Anti-KREATIV-Variante heraus. Nicht nur im Bildungsbereich. Den Fehler 'Denkfaul und Feig' sollten wir uns nicht länger leisten. Sonst heißt es noch in 100 Jahren "Es wird Zeit, dass die Kleinen Forscher die Schulen erobern."

     

    DIE KREATIVEN waren schon immer die natürlichen, über- und dennoch stets unterlegenen Gegner, die geheimen Tot-Feinde und manchmal auch die Totengräber der MÄCHTIGEN, der KONFLIKTAUSBEUTER, des Ancien Régimes, der Stoibers usf. Wir haben bisher nur nicht erkannt, dass wir, DIE KREATIVEN, einen natürlichen Vormachtanspruch in der Demokratie haben und ihn organisieren sollten. Doch jetzt haben wir erkannt.

  • AD
    Axel Dörken

    In meinen Augen ein toller Schritt in eine andere Richtung:

     

    Der Abschied von der Paukerei und von der Schulung (der Vorgabe, was als "richtig" zu gelten hat).

     

    In meinen Fall hatte diese "prähistorische" Plackerei und diese "prähistorische" Er-Zieh-ungsart (Ich zieh dich dahin, wo ich dich haben will) dazu geführt, dass ich mich nach der Schule für Jahrzehnte geweigert habe zu lernen.

     

    Tragisch. Das Schulsystem, wie wir es alle erlebt haben und wie es heute noch vom Kultusministerium als sinnvoll hochgehalten wird, hat ver-sagt!

     

    Das zu erkennen kann die Gunst der Stunde sein.

  • KK
    Karl Kraus

    Au weia, hier hat aber einer mal so gar keine Ahnung, wovon er spricht. Fröbel bei Wikipedia nachschlagen gildet nicht! Zunächst mal ist die Massenflucht der Grundschuleltern auch dadurch so viel stärker, weil es mehr private Grundschulen und grundschulähnliche Projekte gibt als Alternativen zu Gymnasien, Realschulen und Hauptschulen. Darüber hinaus scheint hier jemand auch noch Bildung und Lernen in einen Topf zu werfen. Zum Lernen benutzen Schulen sinnvollerweise in der Tat individualisierte Methoden. Für die Bildung aber, die eben nicht nur in Methodenkompetenz oder ein paar Gruppenergebnissen besteht, bedarf es eines Lehrers. Und für den tiefen, exemplarischen Einstieg in ein Thema, für die vollständige Durchdringung eines Phänomens braucht es MeisterInnen. Zurzeit wird so getan, als müsse man Kindern "einfach nur die Möglichkeit zum selbstständigen Lernen bieten", damit aus ihnen die tollen Leistungsträger von morgen werden. Das ist Bullshit, der sich bald auch als solcher erweisen wird. Nämlich dann, wenn jeder irgendwie seins vor sich hin gelernt hat, dabei aber nicht ein einziges Mal richtig in die Tiefe geführt wurde von jemandem, der - man höre und staune - ein Fach auch studiert hat. Diese Schülergeneration wird genau so zufällig gut oder nicht gut sein, wie die, die jetzt kritisiert wird.

  • V
    Vldck

    Ein Schritt weiter in eine Welt in der Freizeit nichts mehr Wert ist. Die Menschen werden langsam darauf vorbereitet 24 Std. am Tag zu Arbeiten...