Hartz IV: Eine Million sind arm trotz Job
Aufschwung auf niedrigem Niveau: Obwohl mehr Menschen Jobs finden, beziehen viele weiter ALG 2, weil die Löhne zu niedrig sind. Auch für Ausländer sind deutsche Jobs wenig attraktiv.
BERLIN taz Der Aufschwung hat auch die Hartz-IV-Empfänger erreicht. 400.000 Langzeitarbeitslose haben seit Januar wieder eine reguläre Stelle gefunden. Das Arbeitsministerium, der Deutsche Städtetag und die Bundesagentur für Arbeit legten gestern gemeinsam eine "Halbjahresbilanz Hartz IV" vor. Sie fassten dort statistische Erkenntnisse zusammen, die sich verstreut schon in den Tabellen des letzten Arbeitsmarktberichts vom Juni finden.
Insgesamt haben seit Januar 1,9 Millionen Hartz-IV-Empfänger ihre offizielle Arbeitslosigkeit verlassen. Den meisten gelang dies allerdings nur, weil sie in eine Fördermaßnahme wechselten. Bis Ende Juni waren dies 1,28 Millionen Langzeitarbeitslose. Allein 400.400 von ihnen versahen im letzten halben Jahr einen 1-Euro-Job.
Vor allem Jugendliche unter 25 Jahren sollen von den diversen staatlichen Maßnahmen profitieren. Im Januar waren knapp 448.000 Jugendliche offiziell arbeitslos - bis Ende Juni ist diese Zahl auf 366.000 gesunken.
Es ist allerdings ein sehr seltsamer Effekt zu beobachten: Obwohl die offizielle Zahl der Langzeitarbeitslosen abnimmt, ist die Zahl der Hartz-IV-Empfänger gestiegen. Im Januar erhielten 5,085 Millionen Menschen Arbeitslosengeld II, wie der damalige Arbeitsmarktbericht ausweist. Jetzt im Juni waren es 5,358 Millionen. Ein Grund: Immer mehr Erwerbstätige beziehen nebenher ergänzendes Arbeitslosengeld II.
Der Städtetag präsentierte die neuesten Zahlen: Insgesamt 1,18 Millionen Erwerbstätige waren "Aufstocker" und erhielten ergänzendes Arbeitslosengeld II. Etwa die Hälfte hat nur Minijobs - aber 602.000 sind regulär sozialversicherungspflichtig beschäftigt. 440.000 davon haben sogar einen Vollzeitjob.Vor allem bei der Saisonarbeit, im Bau- und Gaststättengewerbe reichen die Löhne nicht aus, um eine Familie zu ernähren. Das Sozialsystem würde "von den Arbeitgebern missbraucht", kritisierte gestern Stephan Articus, Hauptgeschäftsführer des Städtetags.
Allerdings beobachtet der Verband auch eine statistische Verzerrung: Früher haben die Geringverdiener oft Wohngeld beantragt - das es auch heute noch gibt und dessen Empfänger nicht in den Statistiken der Bundesagentur auftauchen. Doch die meisten Niedriglöhner melden sich jetzt lieber in den Jobcentern, um dort ergänzendes Arbeitslosengeld II zu beantragen und sich die "Kosten der Unterkunft" (KdU) erstatten zu lassen. Denn die KdU-Sätze finanzieren die ganze Miete, während das Wohngeld schon lange stagniert und zudem die Unterkunftskosten nur teilweise ersetzen soll. Articus warb daher dafür, "das Wohngeld an die Mietpreise anzupassen".
Inzwischen sind die Löhne in Deutschland so niedrig, dass viele Osteuropäer lieber in Großbritannien anheuern, als in Deutschland Spargel zu stechen. Der Vizechef der Bundesagentur, Heinrich Alt, hielt es daher gestern für gefahrlos, den deutschen Arbeitsmarkt für die östlichen EU-Staaten zu öffnen.
Eigentlich ist die Freizügigkeit noch bis April 2009 beschränkt. Am Dienstag jedoch hatte der Staatssekretär im Arbeitsministerium, Gerd Andres (SPD), vorgeschlagen, die Grenzen schon früher zu öffnen, um dringend benötigte Fachkräfte anzuwerben. Der DGB widersprach und warnte vor einem "Lohndumping ungeahnten Ausmaßes".
Das Arbeitsministerium hat derweil zu einer offiziellen Sprachregelung gefunden. Staatssekretär Rudolf Anzinger (SPD) erinnerte gestern daran, dass sein Kollege Andres doch betont habe, dass die Freizügigkeit nur eingeführt werden dürfe, wenn sie an einen Mindestlohn gekoppelt sei.
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