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„Hartz-IV-Rebellin“ Inge HannemannRheuma zählt nicht

Inge Hannemann will ihre Stelle in der Hamburger Sozialbehörde nicht antreten. Sie hat Rheuma und braucht Bewegung. Die Richter überzeugte das nicht.

Der Weg zum Kopierer reicht ihr nicht: Inge Hannemann Bild: dpa

HAMBURG dpa | Die als „Hartz-IV-Rebellin“ bekanntgewordene Jobcenter-Mitarbeiterin Inge Hannemann muss einen neuen Posten in der Hamburger Sozialbehörde auch gegen ihren Willen vorerst antreten. Nach dem Arbeitsgericht wies am Donnerstag auch das Landesarbeitsgericht ihren Antrag auf eine einstweilige Verfügung ab.

Hannemann, die nach eigenen Angaben bis Ende des Monats krankgeschrieben ist, will zurück an ihren alten Arbeitsplatz im Jobcenter Hamburg-Altona. Dort war sie im April 2013 suspendiert worden, weil sie öffentlich gegen das „System Hartz IV“ kämpft. Sie weigerte sich, Sanktionen gegen Langzeitarbeitslose zu verhängen, die Termine nicht einhielten oder Stellenangebote ablehnten.

Das Landgericht verneinte wie schon die vorherige Instanz die Eilbedürftigkeit, welche eine einstweilige Verfügung rechtfertigen würde. Auch Hannemanns neuen Hinweis, dass der Job als Sachbearbeiterin im Referat Integrationsamt ihrer Gesundheit nicht förderlich und damit unannehmbar sei, wies das Gericht zurück.

Die „Hartz-IV-Rebellin“ hatte zwar anerkannt, dass ihrem Rheuma-Leiden durch eine entsprechende Ausstattung des Büros Rechnung getragen werde. Gleichwohl wolle sie den Posten aber nicht antreten, da er – anders als ihre Arbeit im Job-Center – hauptsächlich aus Büroarbeit bestehe, sie aber aus gesundheitlichen Gründen Bewegung brauche. „Es reicht nicht der Weg zum Kopierer“, sagte Hannemann, die bei der Bürgerschaftswahl 2015 für die Linken kandidiert.

Über die Versetzung wurde nicht verhandelt

„Eine offensichtliche Rechtswidrigkeit können wir hier nicht sehen“, sagte dagegen die Vorsitzende Richterin. Der Anwalt der Sozialbehörde argumentierte, dass Hannemann die Stelle bislang noch gar nicht angetreten habe, deshalb auch nicht beurteilen könne, ob sie ihrer Gesundheit schade. Trotz der für Hannemann nachteiligen Entscheidung des Gerichts (Az. 7 SaGa 4/14) riet die Vorsitzende Richterin den Parteien jedoch, grundsätzlich über einen Vergleich, also eine andere Arbeitsstelle für die „Hartz-IV-Rebellin“ nachzudenken.

Im aktuellen Berufungsverfahren ging es allein um die Frage der einstweiligen Verfügung. Über die Rechtmäßigkeit der Versetzung an sich wurde vor dem Landesarbeitsgericht nicht verhandelt. Dieser Hauptsache-Prozess ist nach wie vor in erster Instanz beim Arbeitsgericht anhängig. Zuletzt war ein für Ende November angesetzter Termin wegen Erkrankung des Vorsitzenden Richters auf Mitte Dezember verschoben worden. Ein weiteres Verfahren, das die Rechtmäßigkeit der Suspendierung klären soll, wurde inzwischen ausgesetzt.

Die Sozialbehörde möchte Hannemann zu gleichen Vergütungskonditionen als Sachbearbeiterin im Referat Integrationsamt einsetzen. Das will die „Hartz-IV-Rebellin“ jedoch nicht, weil sie neben der nun neu vorgetragenen Sorge um ihre Gesundheit fürchtet, den Anforderungen in dem neuen Job fachlich nicht gewachsen zu sein.

Außerdem sei sie der Auffassung, dass es keinen sachlichen Grund für eine Versetzung gebe, sie vielmehr nur schikaniert werden solle. Hannemann wurde im Gerichtssaal von rund 30 Sympathisanten begleitet. Sie verwiesen auf Schildern auf das Essay „Empört Euch“, in dem der ehemalige französischen Widerstandskämpfer und UN-Diplomat Stéphane Hessel gegen den Finanzkapitalismus wettert.

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11 Kommentare

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  • Weil sie sich für Menschen und deren Schutz einsetzte, indem sie die Wahrheit sagte und weigerte sich die verfassungswidrigen Sanktionen zu verhängen, wird sie bestraft.

     

    Ein Beweis mehr dafür, dass die sozialschwachen Menschen und auch Arbeitnehmer in Deutschland immer noch benachteiligt werden. Ein Beweis mehr dafür, dass einige Regelungen in den entsprechenden Sozialgesetzbüchern des HARTZ IV immer noch verfassungswidrig sind.

     

    Hoffentlich kann Frau Hannemann es bis zum Bundesverfassungsgericht schaffen.

     

    Dass es immer noch solche Menschen, wie Frau Hannemann in Deutschland gibt, die sich für die Gerechtigkeit und Menschenrechte Anderer einsetzten, kann man ruhig sagen, dass Herr Hans Litten, der beste Anwalt, den der Deutsche Boden je getragen hat, hat sein Leben nicht umsonst geopfert.

  • @HTO - dass Frau Hannemann einem Wirtschaftswachstumswunderglauben anhängt wage ich zu bezweifeln.

    Sollten Sie sich mit der Idee einer repressionsfreien Existenzsicherung auseinandergesetzt haben, dann wundert mich, dass sie das Bedingungslose Grundeinkommen

    als ignorant-arrogante Idee abtun. Vielleicht interessiert Sie folgender Beitrag über Solidarische Ökonomie und Grundeinkommen:

    http://www.kritisches-netzwerk.de/forum/antikapitalismus-auf-zwei-beinen-solidarische-oekonomie-grundeinkommen

    • 6G
      688 (Profil gelöscht)
      @Ute Plass:

      Ach, du glaubst also auch die "armen" bewußtseinsbetäubten Wohlstands- und Gewohnheitsmenschen von und zu Kreuzchen auf dem Blankoscheck müßten zuerst ein Grundeinkommen beziehen, dann wird aus dieser Bequemlichkeit heraus DAS DENKEN zum Zusammenbruch des Systems führen, und die Revolution der Menschlichkeit wird die Welt wirklich-wahrhaftig wie von allein globalisieren???

      • 6G
        688 (Profil gelöscht)
        @688 (Profil gelöscht):

        Wirtschaftsschrumpfungswunderglauben ;-)

  • 6G
    688 (Profil gelöscht)

    In "Sozial"behörde und Jobcenter würde ich auch Rheuma bekommen.

  • @BERND NICHT/ @SOMMER Gregor -

    Wieso stellen Sie das Verhalten von

    Inge Hannemann in Frage und nicht

    das Hartz-Regime?

    Was wir in diesem unserem Lande dringend brauchen sind Menschen, die eben "nicht weisungsgebunden"

    unterwegs sind, sondern sich solidarisieren mit Menschen, die per Gesetz drangsaliert und stigmatisiert werden.

    http://antjeschrupp.com/2014/11/17/was-wirklich-an-hartz-iv-falsch-war/

    • 6G
      688 (Profil gelöscht)
      @Ute Plass:

      "nicht weisungsbebunden" - Wer wie Frau Hannemann an dieses ignorant-arrogante "Bedingungsloses Grundeinkommen" glaubt, der läßt sich weiter leicht hinters Licht führen und glaubt auch weiterhin an die scheinbar unausweichliche Symptomatik von Wettbewerb und wachstumwahnsinnige Wirtschaftswunder, und ist somit immernoch gebunden an Bildung / Hirnwäsche zu systemrationaler Suppenkaspermentalität, was die Drangsale und die Stigmatisierung per Gesetz und Verordnung geradezu als gottgegebene Menschenwürde legitimiert!

       

      Ein Leben OHNE Steuern zahlen, OHNE "Sozial"-Versicherungen, OHNE manipulativ-schwankende "Werte", usw., ist absolut machbar!!!

  • also ich find die Frau gut. Ist an der Zeit, dass mehr Menschen aufmucken gegen ungerechte Praktiken. Klar is sie 'privilegiert' und kann sich's erlauben, daher wär's ja noch schlimmer, wenn sie einfach so weitermacht wie alle anderen Beamten

  • 7G
    738 (Profil gelöscht)

    Jetzt stellen wir uns einmal einen Moment vor, die "Rebellin" wäre Mitarbeiterin in einem mittelständische Betrieb - hier jammert eine Privilegierte auf verdammt hohen Niveau.

    • @738 (Profil gelöscht):

      Ist sie aber nicht.

      Sie arbeitet für Vater Staat und leistet es sich, ihren Arbeitgeber gelegentlich auf die Bestimmungen des Grundgesetzes hinzuweisen.

      Problem nicht verstanden, oder?

    • 6G
      688 (Profil gelöscht)
      @738 (Profil gelöscht):

      Jetzt stellen wir uns mehrmals / fortwährend und nachhaltig vor, es gäbe so'n Scheiss wie mittelständische Betriebe nicht, weil alle Arbeit auf der unkorrumpierbaren Basis von gemeinschaftlich-ökologischem Eigentum gestaltet wird!!! ;-)