piwik no script img

Hartz-IV-GesetzeArme können nicht einfach sparen

Der Paritätische Wohlfahrtsverband fordert einen höheren Regelsatz und die Wiedereinführung der "einmaligen Leistungen" für Haushaltsgeräte und Möbel.

Kein Spiel, sondern für viele bittere Realität: Hartz IV-Berechnungen. Bild: dpa

BERLIN taz | Der Paritätische Wohlfahrtsverband rügt die Anhebung des Hartz-IV-Regelsatzes zum 1. Januar 2015 als unzureichend. Der Regelsatz sei „mutwillig kleingerechnet“ und erfülle nicht die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. Nach eigenen Berechnungen des Paritätischen sei eine Erhöhung des Regelsatzes um 24 Prozent auf monatlich 485 Euro notwendig, hieß es in einer Erklärung des Verbandes am Montag.

Nach den gesetzlichen Vorgaben wird der Regelsatz von derzeit 391 Euro auf 399 Euro ab 1. Januar erhöht. Die Steigerung orientiert sich an der Entwicklung der Preise und Nettolöhne. Zusätzlich zum Regelsatz bekommen Hartz-IV-Empfänger noch die Kosten für Unterkunft und Heizung erstattet.

Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen, Ulrich Schneider, wirft der Bundesregierung vor, bereits bei der Berechnung der Regelsätze im Jahre 2011 sei „getrickst“ und manipulativ in die Statistik eingegriffen worden. Bei der Ermittlung der Regelsätze im Jahre 2011 wurden alle Ausgaben des ärmsten Fünftels der Einommensbezieher in den Blick genommen, dabei jedoch einige Posten abgezogen. So wurden die Ausgaben für alkoholische Getränke und Tabakwaren herausgestrichen. Durch die statistische Streichung der durchschnittlichen Ausgaben für Alkoholika und Tabak ergaben sich Regelsatzminderungen auch für Leute, die keinen Alkohol trinken und nicht rauchen.

Die Ausgaben für Haustiere und Zimmerpflanzen und für Gaststättenbesuche wurden bei der Berechnung als „nicht regelsatzrelevant“ eingestuft, was der Paritätische gleichfalls rügt.

30 Euro im Monat ansparen ist zuviel

Das Bundesverfassungsgericht hatte die Regelsätze im Juli 2014 als „verfassungsgemäß“ bezeichnet, allerdings Korrekturen in den Bereichen Mobilität, Hausrat und Energiekosten gefordert. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb seitens der Bundesregierung darauf noch nicht reagiert wurde, heißt es in der Expertise des Paritätischen.

Politisch umstritten ist die Tatsache, dass die Kosten für die Anschaffung von Möbeln und Haushaltsgeräten und deren Reparatur bei der Einführung von Hartz IV im Jahre 2005 anteilig in den monatlich gewährten Regelsatz hineingerechnet wurden. Im Gegenzug wurden diese einmaligen Leistungen, die es früher auf Antrag gab, gestrichen. Derzeit liegt der Anteil im Regelsatz dafür bei rund 30 Euro im Monat. In der Praxis jedoch können die Empfänger der Grundsicherung nicht monatlich 30 Euro zurücklegen, um für eine eventuelle Reparatur oder Ersatzbeschaffung gewappnet zu sein, weil das Geld einfach zu knapp ist. Sozialwissenschaftler rügen daher schon seit Längerem, dass man von Armen nicht eine „Spardisziplin“ wie bei Normalverdienern verlangen kann.

Die Jobcenter können für wichtige Ersatzbeschaffungen zwar zinslose Darlehen an Hartz-IV-Empfänger geben, diese müssen aber dann von ihrem Regelsatz allmonatlich abgestottert werden.

Haushaltsstrom sollte übernommen werden

Der Paritätische Wohlfahrtsverband fordert daher, diese sogenannten einmaligen Leistungen wieder einzuführen, „um dem notwendigen Bedarf bei Anschaffungen von Möbeln, Hausrat und Ähnlichem gerecht werden zu können“, heißt es in der Expertise. Auch die Kosten für Haushaltsstrom sollten in voller Höhe übernommen werden. Würden die beiden Forderungen erfüllt, sei eine Erhöhung des Regelsatzes auf nur noch 457 Euro hinreichend.

Das Deutsche Kinderhilfswerk beklagte am Montag, dass sich zehn Jahre nach Einführung der Hartz-IV-Gesetze insbesondere die Zahl der von Armut betroffenen Kinder drastisch erhöht hat.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

13 Kommentare

 / 
  • Grundeinkommen!!!Es gibt nicht genug Arbeit für alle!!Du die Arbeitsplätze werden auch noch weniger! Trotzdem wird die Arbeitskraft der Menschen nicht hoch geschätzt und besser bezahlt. Und diese Rechnerei um Haustiere und Zimmerpflanzen und die verdienen sich doof und dusselig . Diätenerhöhung , lukrative Nebenjobs und Partner die auch noch Knatter haben. Was machen die eigentlich mit dem ganzen Geld?

  • Zusammen mit den anderen Leistungsbeziehern aus der Grundsicherung sind es 5 Millionen Empfänger dieses Hartz IV Geldes, die mit leerer Kasse ins neue Jahr starten. Weihnachten, Neujahr wird sich abgespart, die Rechnungen kommen dann im neuen Jahr und sind unvermeidlich. Ein Grundeinkommen wäre eine Alternative zum Sparkurs an den Arbeitslosen.

  • Zu den Steuern in diesem Zusammenhang mit dem BG:

     

    Abschaffung ALLER Steuern auf Verbrauch, und natürlich auch der Steuer auf Steuer. Beispiel: Mwst auf Stromsteuer oder Heizöl oder Benzin.

    Diese Steuern sind einer der Auslöser der breiten Verarmung.

     

    Im Gegenzug Umlage von Kriegskosten auf die begünstigten Konzerne.

    Spekulation wie bei den "Kleine Leute-Wetten" wie Lotto usw., aber

    für Kapital-Anteile aller Art gestaffelt nach Haltedauer, ab 10 Jahren null %, steigend bis 50% bei unter einem Jahr.

     

    Einlommensteuern wie bei Beginn der BRD, aber dynamisiert.

    Arbeits- und Sozialversicherungs- Recht abolut gleich für alle einschl.

    abhängig Beschäftigter (Staatsdienste).

  • P. S.

     

    Noch ein berühmter Spruch der vergangenen 25 bis 30 Jahre:

     

    "Sozial ist, wer Arbeit hat!"

    Auch dieser glorreichen Erkenntnis stimmten alle zu! Auch die Grünen, die mit Sozialpolitik soundso nichts am Hut - pardon! - im Kopf haben.

     

    Diese Grünen mit den Bündnis90er , inzwischen reichlich zu Gelb Mutierten, sollten besser bei der Bekämpfung der Massentierhaltung, gegen Atomkraft, Energiewende, beim Verbraucherschutz und bei der Förderung des Radverkehrs bleiben. Auf diesen Gebieten hat diese Partei gesellschaftspolitisch, parlamentarisch zweifellos Wertvolles, Grundsätzliches, manchmal sogar Bahnbrechendes geleistet.

  • "Es gibt kein Recht auf Faulheit!", sagte einst ein Bundeskanzler Gerhard Schröder. Alle stimmten zu! Sie verlangten Sanktionen!

     

    Liebe Frau Dribbusch, dieser Aussage gehen Sie doch bitte einmal historisch nach - auch auf europäischer oder gerade auf europäischer Ebene, da ja jetzt die "Agenda 2020" droht!

     

    Selbstverständlich gab es ein "Recht auf Faulheit". Sogar ein "Recht auf Müßiggang"! Wann, wo und wie lange? Hunderte von Jahren! Bis zur Gründung der Bundesrepublik Deutschland. Da war erst einmal Schluß mit den Privilegien auf "Faulheit" und "Müßiggang".

     

    Ahnen Sie, was ich damit meine und auf welche Rechte ich anspiele? Danke.

  • "Haushaltsstrom sollte übernommen werden"

     

    Die Erhöhung der Regelsätze kann nur die allgemeine Inflationsrate, und nur teilweise kompensieren. Die überproportionalen Kosten der Energiewende (EEG Umlage) wurden überhaupt nicht berücksichtigt, wenn man die jährlichen Stromkostensteigerungen betrachtet.

    • @Stefan Mustermann:

      Die "überproportionalen Kosten der Energiewende", besser gesagt die unnötig hohen Kosten der EEG-Umlage, sollte man einfach vermeiden durch ein Verbot des Terminmarktes, siehe: http://www.sfv.de/pdf/Spotmarkt_only.pdf

  • Der Paritätische ist leider Teil des Problems - wie die gesamte Armutsindustrie.

    Helfen würde ein Bedingungsloses Grundeinkommen für Alle.

    Bedarfsabhängige und mit bürokratischen Hürden (Vermögens- und Bedürftigkeitsprüfung) versehene Transferleistungen ALLEINE sind völlig unzureichend:

    - Sie erreichen nicht alle wirklich bedürftigen Menschen.

    - Sie wirken zwangsläufig diskriminierend (da zwischen "Bedürftigen" und "Leistungsträgern" unterschieden werden muss - oder auch zwischen "Faulen" und "Fleißigen"...) und stigmatisierend, spalten also die Gesellschaft.

    - Sie müssen wegen des Lohnabstandsgebots grundsätzlich möglichst niedrig sein...(anders gesagt: wegen der Anrechnung von Einkommen wirken sie kontraproduktiv in Bezug auf den Übergang in den Erwerbsarbeitsmarkt).

    - Wichtige aber unbezahlte gesellschaftliche Arbeit (Sorgearbeit, Demokratiearbeit, Kunst, Kultur, Innovation) wird erschwert bis unmöglich gemacht durch das (mit erheblichem Druck durchgesetzte) Primat der Erwerbsarbeit.

    - Sie schaffen eine breite, von der Willkür politischer Eliten bzw. ihrer Aufführenden in den Ämtern abhängige Schicht von direkt oder mittelbar existentiell bedrohten Menschen mit allen Folgen für die öffentliche Gesundheit, volkswirtschaftliche Produktivität und gesellschaftliche Stabilität.

     

    Allerdings verschafft "Hartz IV" der Armutsindustrie Existenzberechtigung, Arbeitsplätze - und Macht.

  • Info.-Empfehlung:

     

    DGB-Mini-Mindestlohn von "8,50 Euro" brutto, befördert Altersarmut, Hartz-IV-Strafvollzug und Sozialhilfe im Alter, -- so bereits die objektive Feststellung im Juni 2011.

     

    Merke: Lohnverzicht, Hartz-IV und weiterer Sozialabbau befördert die Dividenden-Multimillionäre und Erbschafts-Kapital-Milliardäre, -- auch in deren Deutschland AG.

     

    Siehe hierzu auch:

    www.trend.infopartisan.net/trd0611/t340511.html

     

    Trotz alledem!