Hartz-IV-Bezieher in Hamburg: Gesteigerte Taktzahl

In Hamburg müssen Hartz-IV-Bezieher in Zukunft häufiger bei ihren Sachbearbeitern erscheinen als bisher. Dank des jetzt in Kraft tretenden „Kontaktdichtekonzepts“.

In Zukunft Gegenstand noch intensiverer Befassung: Sogenannte Kundschaft wartet vor einem Jobcenter. Bild: dpa

HAMBURG taz | In Hamburger Jobcentern haben alle Dinge einen Namen: Das ausgezahlte Geld heißt hier „Leistung“, ein Praktikum nennen die Mitarbeiter „AVGS-MAG“, die arbeitslosen Menschen werden als „Kunden“ bezeichnet. Wenn so eine Kundin ihre kleinen Kinder allein erzieht und deshalb nicht arbeiten gehen kann, ist ihre Situation für das Jobcenter eine „Profillage“ – Prädikat: schwer vermittelbar.

Bisher mussten Arbeitslose in Hamburg unterschiedlich oft zum Gespräch erscheinen – je nach ihrer persönlichen Profillage. Menschen, deren Chancen auf dem Arbeitsmarkt eh als sehr gering galten, wurden seltener einbestellt als andere. Ab dem heutigen Donnerstag soll sich das ändern: In einer internen Arbeitsanleitung, die der taz vorliegt, stehen neue „Mindestvorgaben“, die am 1. August in Kraft treten.

So sollen die Jobcenter-Angestellten nun alle Arbeitslosen, die älter sind als 25 Jahre, alle drei Monate zum Beratungsgespräch laden, unabhängig von der individuellen Lebenssituation. Jüngere Arbeitslose müssen sogar noch aktiv werden: Mindestens einmal im Monat sollen sie mit einem Mitarbeiter telefonieren, alle zwei Monate persönlich erscheinen.

Die Gespräche im Hamburger Jobcenter protokollieren dessen Mitarbeiter in einer Eingliederungsvereinbarung. In diesem Dokument werden Rechte und Pflichten der Hartz-IV-Empfänger festgehalten.

Pflichten sind etwa die Teilnahme an Maßnahmen wie Alltagstrainings oder Ein-Euro-Jobs oder das Schreiben von Bewerbungen. Zu den Rechten kann die Kostenübernahme von Fahrtkosten durch das Jobcenter gehören.

Nicht eingehaltene Termine werden sanktioniert: Ein Jobcenter-Gespräch zu verpassen, kann zehn Prozent weniger Geld bedeuten, eine verordnete Maßnahme nicht anzutreten, eine Kürzung von 30 Prozent.

Das neue Konzept sei „ein Optimierungsergebnis“, sagt Jobcenter-Sprecherin Kirsten Maaß. Schließlich seien Arbeitslose per Gesetz dazu aufgerufen, „konkrete Schritte zur Behebung ihrer Hilfebedürftigkeit zu unternehmen“. Tim Golke, der für die Linke in der Hamburgischen Bürgerschaft sitzt, sieht das anders. Für ihn ist die neue „Kontaktdichte“ bloß „ein weiteres Druckmittel“ der Behörde. Schließlich biete der Hamburger Arbeitsmarkt keine zusätzlichen Jobs, in welche die Jobcenter ihre Kunden jetzt vermitteln könnten.

Sanktionen drohen

Auch stünde hinter den Einladungen zum Gespräch immer die Androhung von Sanktionen: Wer nicht kommt, dem wird das Geld gekürzt – in der Folge, so Golke, bedeuteten mehr Einladungen auch schärfere Kürzungen. Jobcenter-Sprecherin Maaß weist das zurück: „Der Vorwurf, dass es sich hierbei um eine Sanktionserhöhung handelt, ist nicht zutreffend.“

Jobcenter-Angestellte, die sich anonym an die taz gewandt haben, teilen Golkes Befürchtung dagegen sehr wohl: „Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sollen durch dieses Konzept den Druck auf die Kunden des SGB II erhöhen und die Integrationszahlen nach oben bringen“, schreiben sie. „So ist ein menschenwürdiges Arbeiten und Zusammenarbeiten nicht mehr möglich.“

Denn das neue Konzept erhöht auch den Druck auf die Angestellten. Bereits im vergangenen Jahr hatte das Hamburger Institut für Sozialforschung herausgefunden, dass die Mitarbeiter in Hamburger Jobcentern angeben, häufig doppelt so viele Arbeitslose zu betreuen, wie es gesetzlich vorgeschrieben ist.

Kein Bemühen in Jobcentern

Dieser Studie zufolge, die von den Kirchen sowie der Gewerkschaft Ver.di finanziert worden war, sind schwer vermittelbare Menschen deshalb nur noch „verwaltet“ worden. Das Jobcenter, heißt es darin weiter, habe „geringe oder gar keine Bemühungen unternommen, diese in Arbeit zu bringen“.

Das soll sich nun offenbar ändern. Das neue „Kontaktdichtekonzept“ verdoppelt die Zahl der Gespräche mit solchen Arbeitslosen, deren Profil den Mitarbeitern im Jobcenter verrät: Dass der Betroffene in weniger als einem Jahr wieder erwerbstätig sein wird, ist unwahrscheinlich.

Mehr als 19.000 Menschen standen im Juni als Langzeitarbeitslose in der Hamburger Statistik. An sie alle werden die Jobcenter-Angestellten wohl künftig mehr Briefe verschicken. Neue Kollegen, die sie bei dieser Kontakt-Offensive unterstützen könnten, bekommen sie nicht: „Zur Umsetzung des Konzeptes“, sagt Jobcenter-Sprecherin Maaß, würden „keine neuen Mitarbeiter eingestellt“.

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